Die Demokratiebewegung muss sich immer wieder neu erfinden. An diesem Freitag läuft die neueste Idee vom Stapel: Eine Menschenkette nach baltischem Vorbild. Auch Studentenführer haben sich etwas ausgedacht.
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Seit nunmehr zehn Wochen beteiligen sich Millionen Hongkonger an den Kundgebungen, bei denen sie für Demokratie und Meinungsfreiheit und gegen den wachsenden chinesischen Einfluss in ihrer Stadt demonstrieren. Dabei ist neben Durchhaltekraft vor allem Kreativität gefragt, um immer wieder neue Aufmerksamkeit zu erzeugen: An diesem Freitag wollen die Demonstranten eine Menschenkette formieren - auf den Tag genau 30 Jahre nach der bislang längsten Menschenkette der Geschichte: Beim "Baltischen Weg" am 23. August 1989 hatten sich über eine Million Esten, Letten und Litauer an den Händen gefasst und ein Menschenband durch die kompletten drei heute eigenständigen Länder gebildet, um für ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion einzustehen.
Hörsäle bleiben leer
Im September wollen dann die Studenten zum Start des neuen Semesters zwei Wochen lang die Vorlesungen boykottieren. So wollen die Organisatoren gewährleisten, dass die Teilnahme an regulären Demonstrationen vorerst hoch bleibt.
Menschenkette für Freiheit und Unabhängigkeit
Im Spätsommer 1989, als die Sowjetunion vor dem Zusammenbruch stand, schrieb das Baltikum Geschichte. Millionen Esten, Litauer und Letten demonstrierten am 23. August mit einer Menschenkette für ihre Unabhängigkeit.
Bild: picture-alliance/dpa
Opfer des deutsch-sowjetischen Paktes
Die Menschenkette in der estnischen Hauptstadt Tallinn: Fast zwei Millionen Balten bilden am 23. August, dem Jahrestag der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Nichtangriffspaktes, eine Menschenkette quer durch die baltischen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen. Das Baltikum war durch den Nichtangriffspakt an die UdSSR gefallen. Nun fordern die Balten ihre Freiheit.
Bild: picture-alliance/dpa
Ein unkalkulierbares Risiko
Ein Teil der mehr als 600 Kilometer langen Menschenkette, hier in Vilnius, der Hauptstadt der damaligen Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Die Balten erkennen die Zeichen des Umbruchs. Niemand weiß, wie die sowjetischen Machthaber auf die Demonstration reagieren. Doch gemeinsam fühlen sich die Balten stark.
Bild: picture-alliance/dpa/TASS/K. Jankauskas
Die Macht der Straße
Die Resonanz ist überwältigend: Männer, Frauen, Kinder, Alte und Junge aller Schichten gehen auf die Straße. Auch kommunistische Lokalpolitiker nehmen teil. Nachbarn bringen Essen, Ordnungskräfte halten den Verkehr an. Um genau 19 Uhr halten sich rund zwei Millionen Menschen für eine Viertelstunde an den Händen zur längsten Menschenkette der Welt. Bilder, die um die Welt gehen.
Bild: picture-alliance/AP Photo/R. Tonsing
Den Umbruch im Blick
15 Minuten Freiheit, 15 Minuten, die als "baltischer Weg" Geschichte schreiben. Während der Menschenkette schwenken die Balten trotzig von der Sowjetunion verbotene Flaggen und singen anschließend bis spät in die Nacht alte Volkslieder. Die Menschen ahnen: Eine Unabhängigkeit der drei Sowjetrepubliken scheint tatsächlich möglich zu sein.
Bild: picture-alliance/dpa
Moskau in der Defensive
1989 leben rund acht Millionen Menschen im Baltikum. Dass zwei Millionen von ihnen auf die Straße gehen, zeigt die Bedeutung des Ereignisses. Moskau schreitet nicht gewaltsam ein, bemüht sich aber, die Menschenkette klein zu reden. Langfristig jedoch kann die Sowjetunion nichts gegen den Freiheitsdrang der Balten ausrichten. 1991 gewinnen Lettland, Estland und Litauen ihre Unabhängigkeit zurück.
Bild: picture-alliance/ dpa
Einmal drehen für ein Wunder
Zwischen der Kathedrale der litauischen Hauptstadt Vilnius und ihrem frei stehenden Glockenturm ist im Pflaster ein Stein eingelassen, der in farbigen Glaslettern das Wort "Stebuklas" (Wunder) trägt. Diese Stelle markiert einen der Endpunkte der baltischen Menschenkette zwischen Vilnius und Tallinn. Wer einen Wunsch hat, stellt sich auf den Stein, denkt an seinen Wunsch und dreht sich um 360 Grad.
Bild: picture-alliance/dpa/H. Heuse
Größte Menschenkette in Deutschland
Schon vor dem Baltischen Weg hat es Menschenketten als Zeichen des Protestes gegeben. In Deutschland gehen 1983 geschätzt fast 400.000 Anhänger der Friedensbewegung auf die Straße, um die Stationierung neuer US-Raketen im Zusammenhang mit dem NATO-Doppelbeschluss zu verhindern. Die Menschenkette ist rund zehn Kilometer lang und zieht sich durch den deutschen Südwesten.
Bild: picture-alliance/AP Photo/T. Meyer
Taiwans Protest gegen Chinas Raketen
Auch außerhalb Europas setzen Menschenketten politische Zeichen. Aus Protest gegen die Bedrohung Taiwans durch Raketen Chinas bilden im Februar 2004 nach Schätzungen bis zu zwei Millionen Taiwanesen eine 500 Kilometer lange Menschenkette. Die von den Balten inspirierte sogenannte "Hand-in-Hand-Kundgebung" erstreckt sich von der nördlichsten Stadt Keelung bis nach Jiadong an der Südspitze Taiwans.
Bild: Getty Images/AFP
Hongkonger hoffen auf ein Wunder
Zum 30. Jahrestag der baltischen Proteste wollen auch die Demonstranten in Hongkong eine möglichst lange Menschenkette bilden. Auch sie wollen ein Zeichen für Unabhängigkeit setzen und pochen auf den Hongkonger "Sonderstatus" gegenüber China. Falls sich die Regierung in Peking davon nachhaltig beeindrucken lassen würde, wäre das wie ein Wunder. Manchmal gibt es sie in der Geschichte.
Bild: picture-alliance/AP Images/K. Kataoka
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Am vergangenen Wochenende hatten sich laut Veranstaltern erneut 1,7 Millionen Menschen trotz strömenden Regens an den Protesten beteiligt. Die Hongkonger Kundgebungen bilden die stärkste Demokratiebewegung in China seit 1989, die damaligen Studentenproteste wurden auf dem Tiananmen-Platz von der Armee blutig niedergeschlagen. Die Pekinger Regierung hat kürzlich große Militäraufgebote nach Shenzhen verlegt, die Nachbarstadt der Sonderverwaltungszone Hongkong, das scheint viele Demonstranten jedoch kaum zu beeindrucken.
Youtube löscht 210 Kanäle
Twitter und Facebook hatten vorgelegt - nun entfernt auch die Online-Videoplattform Youtube Inhalte zu den Kundgebungen in Hongkong. 210 Kanäle wurden gesperrt, die in einer geplanten Aktion Stimmung gegen die Demokratiebewegung in Hongkong gemacht haben sollen. Auf den Kanälen seien in koordinierter Art und Weise Videos zu den Protesten in Hongkong hochgeladen worden, erklärte der Mutterkonzern Google. Die Erkenntnisse würden sich decken mit Erklärungen der Onlinedienste Twitter und Facebook zu China.
Twitter und Facebook hatten China zu Wochenbeginn vorgeworfen, eine Online-Manipulationskampagne gegen die Demokratiebewegung in Hongkong zu fahren. Die US-Konzerne sperrten deswegen zahlreiche Nutzerkonten. Twitter sprach vom Versuch, "politische Zwietracht" in Hongkong zu säen. Ziel sei es unter anderem gewesen, die "Legitimität und die politischen Positionen der Protestbewegung" in der chinesischen Sonderverwaltungszone zu schwächen.
Drei Monate Proteste
Die seit Juni andauernden Proteste hatten sich an einem von der pro-chinesischen Hongkonger Regierung geplanten Auslieferungsgesetz entzündet. Für die ehemalige britische Kronkolonie Hongkong gilt bis 2047 das Versprechen, gemäß der Regel "Ein Land, zwei Systeme" demokratische Rechte hochzuhalten. Aus Sicht vieler Hongkonger ist Peking jedoch längst dabei, diese Zusage schon vor Ablauf der Frist zu unterminieren.