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Neues "Sherlock Holmes"-Adventure-Game aus Kiew

11. April 2023

Das Kiewer Studio Frogwares veröffentlicht ein sehr düsteres Videospiel, das komplett in Zeiten des Krieges entstanden ist. Wie hat das die Entwicklung von "Sherlock Holmes: The Awakened" beeinflusst?

Cover des Videospiels "Sherlock Holmes: The Awakened" zeigt Sherlock Holmes und Dr. Watson vor einem Kraken
In "Sherlock Holmes: The Awakened" müssen die Spielenden mysteriöse Fälle entschlüsselnBild: Frogwares

"Wir können nicht einfach zusehen", twitterte das ukrainische Entwicklungsstudio Frogwares wenige Stunden nach der russischen Invasion am Morgen des 24. Februars 2022. Seitdem nutzt das Kiewer Studio seine Social-Media-Kanäle nicht mehr nur für Videospiel-Trailer und Ankündigungen, sondern zeigt auch, wie es ist, mitten im Krieg zu leben und zu arbeiten.

Geteilt werden Familienfotos und Aufnahmen von zerstörten Gebäuden, von Männern in Tarnkleidung und Zivilisten, die in Bombenkellern und U-Bahn-Schächten ausharren. Zu sehen sind Bilder von Frauen und Kindern auf der Flucht und Menschen, die mit ihrem Laptop in der Badewanne oder auf dem Boden sitzend arbeiten. Persönliche Geschichten, wie die der Künstlerin Svitlana Gunchenko, die seit 20 Jahren als 2D-Artist bei Frogwares arbeitet, dokumentieren den alltäglichen Wahnsinn: von überfüllten Schutzräumen, von einer Rakete, die genau auf ihr Haus zugerast kam und kurz vor dem Einschlag noch abdrehte, von Flucht und Rückkehr in die Heimat.

"Wir wollten ein wenig Licht ins Dunkel bringen", sagt Sergey Oganesyan im Zoom-Gespräch mit der DW. Er trägt ein blaues T-Shirt und wirkt angespannt und hoffnungsvoll zugleich. "Da wir ein Spieleunternehmen sind, wollten wir insbesondere die Spieler erreichen und sie über die Schrecken informieren, die tagtäglich in der Ukraine passieren." Der 33-Jährige lebt und arbeitet in Kiew als Head of Publishing für das unabhängige Entwicklerstudio Frogwares, das am 11. April 2023 das gruselige Detektiv-Abenteuer "Sherlock Holmes: The Awakened" veröffentlicht.

Im Krieg entwickelt - das neue Sherlock Holmes-Spiel

Kiew ist nicht nur die Hauptstadt der Ukraine, sondern auch das Zentrum der ukrainischen IT-Industrie. Mehr als 250.000 Menschen arbeiteten vor der russischen Invasion im Februar 2022 in der Tech-Branche, darunter Zehntausende im Gaming- und E-Sports-Bereich. Tatsächlich boomt die Tech-Branche trotz des Krieges. In technischen Studiengängen gibt es dem ukrainischen Digitalministerium zufolge europaweit nirgendwo mehr Hochschulabsolventen als in der Ukraine. Im kommenden Jahr soll sich die Zahl der Tech-Spezialisten auf 450.000 erhöhen, so die Prognose.

Das neue "Sherlock Holmes"-Spiel der Adventure-Spezialisten aus Kiew ist innerhalb nur eines Jahres entstanden und wurde komplett in Zeiten des Krieges entwickelt. Ursprünglich war ein neues Open-World-Spiel geplant, doch das Studio entschied sich für ein Remake ihres 2007 erschienen Titels, der damals gute Kritiken erhalten hatte.

"Sherlock Holmes: The Awakened" wird im Spielverlauf immer düstererBild: Frogwares

Nachdem der Krieg begonnen hatte, brauchte das Studio ein Projekt, das auch unter schwierigen Bedingungen realisierbar und erfolgsversprechend sein würde. Dass die Geschichte durch die Vorlage schon vorgegebenen war, erleichterte die Umsetzung. Via Crowdfunding sammelten die Entwickler zusätzlich rund 250.000 Euro ein. Ende März 2022 machten sie sich an die Arbeit.

Improvisation nach russischer Invasion

Unmittelbar nach der Invasion wurde das Kiewer Studio Frogwares zunächst geschlossen. "Wir haben beschlossen, den Menschen die Zeit zu geben, die sie brauchten, und ihnen alle Unterstützung zukommen zu lassen, die wir ihnen bieten konnten, damit sie entweder umziehen oder das Land verlassen oder irgendwo im Westen der Ukraine eine Unterkunft finden konnten", sagt Oganesyan. 

Er ist offenherzig und freundlich, doch im Gespräch entweicht ihm selten ein Lächeln. Zu ernst sind die Umstände, von denen er berichtet. Manche seiner Kolleginnen und Kollegen haben sich Hilfsorganisationen angeschlossen, andere der ukrainischen Freiwilligenarmee, um an der Front für ihr Land zu kämpfen.

Nach ein paar Wochen haben die verbliebenden Mitarbeitenden in der Ukraine und im Ausland die Arbeit wieder aufgenommen. Sie programmierten, designten und konferierten von zuhause aus oder kamen ins Büro - je nachdem, wo sie lebten, wie sicher der Weg zur Arbeit war, und wo sie genug Strom hatten, um die Computer anzuschalten und ihre Laptops aufzuladen.

Der Job helfe dabei, nicht die ganze Zeit an den Krieg zu denken, erzählt Sergey Oganesyan. Und er bringt natürlich Geld, das dringend benötigt wird. Die Spendenbereitschaft ist hoch. Laut eigenen Angaben hat im Durchschnitt jedes Frogwares-Teammitglied seit Kriegsbeginn rund 2.800 Euro gespendet und damit vorrangig die ukrainische Armee sowie die humanitäre Hilfe unterstützt.

Ausnahmezustand ist zum Normalzustand geworden

Sergey Oganesyan vom ukrainischen Entwicklerstudio FrogwaresBild: Frogwares

Inzwischen hätten sich die Menschen in Kiew an den Ausnahmezustand gewöhnt, sagt Sergey Oganesyan. Stromausfälle gäbe es nicht mehr, aber noch immer heulten mehrmals täglich Sirenen auf, um die Bevölkerung vor Luftangriffen zu warnen. Doch viele Menschen in der Hauptstadt würden darauf gar nicht mehr reagieren.

Statt bei jedem Alarm in den Schutzraum zu laufen, hofften sie, dass schon nichts Schlimmes passieren werde. In Städten im Osten der Ukraine und in umkämpften Orten wie Charkiw, Cherson oder Saporischschja, die täglich unter Beschuss der russischen Streitkräfte stehen, sei das natürlich ganz anders.

Düsteres Adventure: "Sherlock Holmes"-Remake

Der Krieg hat und hatte enormen Einfluss auf die Entwickler und damit auch auf das Horror-Adventure "Sherlock Holmes: The Awakened". Denn die Schrecken des Krieges lassen sich nicht einfach ausblenden.

"Ich denke, das kann man nicht trennen. Als Künstler versuchen wir, uns selbst und das, was wir sehen, und die Erfahrungen, die wir machen, durch unsere Werke auszudrücken", sagt Sergey Oganesyan. "Ich glaube nicht, dass das Spiel so düster geworden wäre, wie es jetzt ist."

Die Spielenden schlüpfen in die Rolle des Meisterdetektivs Sherlock Holmes. Ihre Aufgabe ist es, durch cleveres Kombinieren Kriminalfälle aufzuklären. Mithilfe eigener Beobachtungen, gefundener Dokumente und Gegenstände sowie der Aussagen von Zeugen und Verdächtigen werden Tathergänge rekonstruiert und Täter aufgespürt.

 

Die Geschichte startet 1882 in Sherlock Holmes' Nachbarschaft. Holmes, der stets seinen Freund Dr. Watson an seiner Seite hat, ist ein junger Detektiv und exzellenter Beobachter, der durch seine klugen Fragen und logischen Schlussfolgerungen eine intellektuelle Überlegenheit ausstrahlt. Von einem wohlhabenden Londoner wird er engagiert, dessen verschwundenen Hausangestellten wiederzufinden. 

Sherlock Holmes im Lovecraft-Universum

Die Erzählung, die ganz profan beginnt, dreht jedoch nach und nach ins Fantastische. Inspiriert vom Cthulhu-Mythos, den der US-amerikanische Horror-Autor H. P. Lovecraft (1890-1937) erschaffen hat, wird die Welt um Sherlock Holmes immer bizarrer und furchterregender. Cthulhu wird bei Lovecraft als eine außerirdische Gottheit beschrieben, die riesig ist und die gesamte Menschheit ins Verderben stürzen kann. Zu seinen Merkmalen gehören fledermausartige Flügel, viele Tentakel im Gesicht und ein fieser Gestank.

Sherlock Holmes und Dr. Watson ermitteln am Tatort: Die Spielenden müssen Hinweise sammeln und kombinierenBild: Frogwares

Auch im Spiel tauchen im Verlauf immer mehr mystische Symbole und Verweise auf den Cthulhu-Mythos auf. Sherlock Holmes findet sich plötzlich an übernatürlichen Orten wieder und hat Schwierigkeiten damit, die mysteriösen Wendungen einzuordnen, so dass er langsam an seinem Verstand zu zweifeln beginnt.

Den Spielenden obliegt es nun, einen kühlen Kopf zu bewahren und logische Schlüsse zu ziehen, was nicht immer auf Anhieb gelingt und zuweilen dazu führt, dass die gesammelten Indizien wild kombiniert werden - mit der verlockenden Aussicht darauf, dass eine Verknüpfung schon stimmen und die Geschichte weiter vorangetrieben wird. Das Spiel lässt die Spielenden bei der Suche nach des Rätsels Lösung ganz bewusst weitestgehend allein, was manchmal frustrierend sein kann. Andererseits wäre ein Detektivspiel, bei dem die grauen Zellen nicht aktiviert werden müssten, wohl eher langweilig. 

"Sherlock Holmes: The Awakened" ist am 11. April 2023 für alle Plattformen erschienen.

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