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Politik

Seehofer auf Anti-Schengen-Kurs

Richard A. Fuchs
18. März 2018

Der Innenminister liefert Schlagzeilen. Jetzt fordert er dauerhaft mehr Grenzkontrollen, solange die EU-Außengrenzen schwach gesichert sind. Er riskiert damit Krach in der GroKo - und ein EU-Vertragsverletzungsverfahren.

Horst Seehofer - Innenminister - Islam und Deutschland
Bild: Imago/IPON/S. Boness

Der neue Innen- und Heimatminister Horst Seehofer (CSU) hat sich in seiner ersten Amtswoche vorgenommen, die öffentliche Debatte in Deutschland gänzlich zu vereinnahmen. Und es ist ihm gelungen. Denn nachdem er zunächst via Zeitungsinterview eine Islamdebatte vom Zaun brach, legte er jetzt im Interview mit der "Welt am Sonntag" nach. Darin forderte er, das Schengen-Abkommen auf unbestimmte Zeit auszusetzen. "Die Binnengrenzkontrollen müssen so lange ausgeführt werden, solange die EU es nicht schafft, die Außengrenzen wirksam zu schützen und zu kontrollieren", so Seehofers neuer Kurs. "Auf absehbare Zeit sehe ich im Augenblick nicht, dass ihr das gelingen wird", gab er sich selbst die Antwort.

Der "Tod" für Europa

Mit seinem Angriff auf die Reisefreiheit in Europa beweist Seehofer Gespür fürs Timing. Die Flüchtlingsdebatte aus dem Jahr 2015 und die Terroranschläge von Paris, Brüssel und Berlin haben dazu geführt, dass derzeit ohnehin nur ein "Schengenraum light" existiert. Mit Verweis auf die Terrorgefahr durch illegale Migration hatten sich die Länder Schweden, Dänemark, Österreich und Deutschland das Recht erstritten, vorrübergehend Grenzkontrollen wieder einzuführen. Die EU-Kommission hatte das zwar genehmigt, aber mit der Auflage versehen, dass diese Kontrollen keinen dauerhaften Charakter bekommen dürften. Seit 1995 garantiert das Schengen-Abkommen völlige Reisefreiheit zwischen 26 Staaten, darunter 22 EU-Staaten und den Nicht-Mitgliedern Norwegen, Island, Schweiz und Liechtenstein. Die Abschaffung der Binnengrenzen sollte durch eine strenge Kontrolle der Außengrenze ersetzt werden.

Seehofer wünscht sich Grenzkontrollen auf unbestimmte ZeitBild: Getty Images/J. Simon

Der zuständige EU-Innenkommissar Dimitiris Avramopoulos wurde zuletzt nicht müde, den Staats- und Regierungschefs ins Gewissen zu reden, die Reisefreiheit innerhalb Europas nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. "Wenn Schengen stirbt, wird Europa sterben", sagte Avramopoulos mehrfach. Und Bulgarien, was derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, erinnerte seine deutschen Freunde jüngst an just diese Verantwortung. Geht es nach der EU-Kommission und der bulgarischen Ratspräsidentschaft, dann müssen ab Mai die temporären Kontrollen wieder abgebaut werden. Die Grenzen innerhalb des Schengen-Raums müssten offen sein, damit die Wirtschaft nicht leide, sagte die bulgarische Außenministerin Ekaterina Zaharieva im Februar. Ihr Land hofft, bis Ende des Jahres dem Schengen-Raum beitreten zu können.

Seehofer scheint das nicht sonderlich wichtig zu nehmen. Er sprach sich in der "Welt am Sonntag" sogar für eine deutliche Ausweitung der Kontrollen auf noch mehr Grenzpunkte aus. "Auch darüber wird nun zu reden sein", sagte Seehofer. Sollte er allerdings mit einer Ausweitung der Grenzkontrollen allein voranpreschen, droht auch dem selbstbewussten Bayern in Berlin Ungemach aus Brüssel. Denn eine Neuregelung des Schengen-Statuts bedarf der einstimmigen Überarbeitung durch alle Mitgliedsstaaten. Geht Seehofer also ungefragt voran, müsste die EU-Kommission mit einem weiteren Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland antworten - eines von inzwischen vielen gegen den einstigen EU-Musterschüler Deutschland.

Seehofer riskiert einen Grundpfeiler des Koalitionsvertrags

Viel größer und viel unmittelbarer dürfte der Ärger für Horst Seehofer allerdings sein, der von Seiten der Koalitionspartner SPD und CDU auf ihn zukommen könnte. Schließlich ist es erst wenige Tage her, da wurde der gemeinsame Koalitionsvertrag unterschrieben. Unter dem Schlagwort "Ein neuer Aufbruch für Europa" hatten die Verhandler der drei Parteien die deutsche Europa-Politik zu einer zentralen Baustelle der gemeinsamen Arbeit erklärt. Unterschrieben, auch vom heutigen Bundesinnen- und Heimatminister Horst Seehofer, steht dort: "Wir sind uns einig in der klaren Absage an Protektionismus, Isolationismus und Nationalismus. Wir brauchen international mehr und nicht weniger Kooperation." Und mit nicht weniger wolkiger Rhetorik stellen die drei Regierungspartner das Prinzip der Solidarität ganz vorn an: "Wir treten gemeinsam dafür ein, dass Deutschland seiner europäischen Verantwortung in einem Geist partnerschaftlicher Zusammenarbeit und gegenseitiger Solidarität gerecht wird."

Wie Seehofers Vorstoß zu dieser Linie passt, das fragen sich jetzt nicht nur viele in den Reihen der SPD. Schließlich ließe sich sein Ziel - effektiver gegen illegale Migration vorzugehen - statt mit EU-Binnenschranken auch mit schärferen Kontrollen an den EU-Außengrenzen erreichen. Auch die Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt, kritisierte Seehofer scharf. Er habe anscheinend nicht begriffen, dass Deutschland keine Insel sei und europäische Probleme europäisch gelöst werden müssten.

Der GroKo-Koalitionsvertrag: Innenminister Seehofer (rechts) ignoriert die Kernaussagen Bild: picture-alliance/dpa/AA/E. Basay

Nehmen die Koalitionäre ihre eigenen Grundsätze ernst, dürfte der Aufschrei groß sein. Denn kaum 120 Stunden nach Vereidigung der neuen GroKo steht in der Europa-Politik Deutschlands viel auf dem Spiel: die Glaubwürdigkeit.

Wahlkampfhilfe für Bayern – und die AfD?

Und so unken viele im Netz, der Innen- und Heimatminister verfolge mit seiner Grenzkontrollen-Debatte eigentlich ganz andere Ziele. Mit Blick auf die bevorstehende Landtagswahl im Herbst in Bayern könnte er versucht sein, die CSU als treibende Kraft in Sachen Innere Sicherheit in Szene zu setzen. In diesem Fall, so werfen ihm vor allem Politiker aus dem linken Lager vor, schiele er darauf, abgewanderte Konservative von der AfD zurückzugewinnen. Die AfD-Fraktion hatte am Freitag im Bundestag in einem Antrag bereits gefordert, im Widerspruch zu den Schengen-Regeln zu "umfassenden Grenzkontrollen" zurückzukehren. Der Antrag der Rechtspopulisten wurde mit großer Mehrheit von 544 zu 84 Stimmen abgelehnt.

Das Pikante für Horst Seehofer und seine ganz persönliche Glaubwürdigkeit dürfte aber vor allem ein Umstand sein: Zu denen, die den AfD-Antrag abgelehnt haben, gehörte auch seine gesamte CSU-Bundestagsfraktion. Seehofer dürfte also alle Hände voll damit zu tun haben, seine Position von der Position der AfD-Fraktion abzugrenzen.

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