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Literatur

"Hotlist"-Preis 2020 vergeben

Sabine Peschel
6. Oktober 2020

Der "Hotlist"-Preis geht in diesem Jahr an den Cass Verlag für den Krimi "Aufzeichnungen eines Serienmörders". Aber wie überleben kleine Verlage eigentlich in Pandemie-Zeiten?

Deutschland "Hotlist 2020" der Unabhängigen Verlage
Bild: re-book kommunikation

Glückliche Zufälle wie diesen wird es 2020, wenn die Frankfurter Buchmesse weitgehend digital stattfindet, nicht geben. Der koreanische Kriminalroman "Aufzeichnungen eines Serienmörders" fiel der Verlegerin Katja Cassing vor ein paar Jahren an einem Messestand in japanischer Übersetzung in die Hand. "Ich las die ersten paar Seiten und dachte, das ist ja ein großartiges Buch, das fängt schon so fantastisch an, das muss ich lesen." Cassing ist Japanologin, das muss man an dieser Stelle erwähnen, und der Cass Verlag, den sie gemeinsam mit ihrem Mann führt, veröffentlicht ausschließlich aus dem Japanischen oder Koreanischen übersetzte Bücher.

Auszeichnung für einen koreanischen Krimi

Verlegerin Katja Cassing Bild: Cass

Jetzt hat der Verlag aus dem thüringischen Bad Berka für den ganz außergewöhnlichen Krimi den "Hotlist"-Preis der Unabhängigen Verlage erhalten, einen Preis, dessen vergleichsweise geringe Dotierung weit hinter seiner Bedeutung zurückbleibt. Der Deutsche Verlagspreis, den Kulturstaatsministerin Monika Grütters erst im vergangenen Jahr, 2019, ins Leben gerufen hat, ist mit insgesamt einer Million Euro dotiert. Der des kleinen, aber viel älteren Bruders nur mit 5000. Trotzdem bewerben sich seit 2009, seitdem ihn zwanzig Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in einer spontanen Aktion ins Leben riefen, Jahr für Jahr weit über hundert Verlage mit ihren besten Büchern, den Spitzentiteln des Jahres, ob Roman, Lyrik oder erzählendes Sachbuch, um den Preis der "Hotlist".

Der nur 152 Seiten lange Roman "Aufzeichnungen eines Serienmörders" von Young-Ha Kim sei mit seiner unaufdringlichen Vielschichtigkeit und einer großen Sensibilität für Abgründe mehr als ein Gegenentwurf zum üblichen Kriminalroman mit seinem heldenhaften Ermittler, begründete die Jury die Auszeichnung. Die das Buch ausmachenden Tagebuchaufzeichnungen, mit denen der 'pensionierte' Serienmörder gegen seine fortschreitende Demenz ankämpft, zeichneten den Veterinärmediziner als Bestie und Philosoph in einem.

Auftakt in den Buchherbst

170 Verlage hatten sich in diesem Jahr um den besten Titel beworben, zehn hatten es auf die "Hotlist" geschafft (siehe Titelbild). Dabei ist das Auswahlverfahren besonders transparent, drei der zehn Titel werden nicht von der fünfköpfigen Jury auf die Liste gesetzt, sondern durch ein Online-Voting entschieden, an dem sich in diesem Jahr rund 3000 Menschen beteiligten. Ein zweiter Verlag durfte sich über den Nebenpreis freuen: Der Schweizer "Verlag die Brotsuppe" erhält für seinen in greller Aufmachung hervorstechenden Roman um eine obdach- und papierlos in Zürich gestrandete Drag Queen, "Neon Pink & Blue" von Christoph Schneeberger, einen Gutschein für den Satz eines Buches bei "Dörlemann Satz".

Noch ein Zufall: Das Bild für das Buchcover des Romans von Kim Young-Ha entdeckte die Verlegerin in einer Ausstellung in Weimar

Der Oktober ist der Monat des Buches: Die Vergabe des Literaturnobelpreises steht am Donnerstag (08.10.2020) bevor. Das Buch des Jahres will demnächst mit dem Deutschen Buchpreis gekürt sein (12.10.2020). Die Frankfurter Buchmesse wird ab Mittwoch der kommenden Woche (14.10.) digital und mit Live-Veranstaltungen in der Stadt nach einer völlig neuen, hybriden Form suchen. Große Geschehnisse rund ums Buch, auch in Pandemie-Zeiten. Warum kommt dem Auftakt in den Buchherbst, den die Kleinen, die unabhängigen Verlage, am vergangenen Montagabend mit ihrer digitalen "Hotlist"-Preisverleihung machten, dann so eine große Bedeutung zu?

Überlebensstrategie: großer Einsatz und viel Mut

"Die Unabhängigen sorgen dafür, dass Vielfalt erhalten bleibt", sagt Axel von Ernst, Verleger des Düsseldorfer Lilienfeld Verlags und Pressesprecher der Hotlist. "Sie, die vielen kleinen Schiffchen zwischen den großen Verlagsdampfern, bringen junge Lyrik auf den Buchmarkt, sie entdecken neue Autoren, die später oft von den Großen übernommen werden, sie veröffentlichen Übersetzungen aus aller Welt, die zunächst nur ein kleines Publikum haben, legen ältere Texte wieder auf, manchmal nur für 500, 600 Leser." Das sei nur durch großen persönlichen Einsatz und viel Mut möglich. "Und sie machen noch Bücher mit Fadenheftung und Einlegebändchen - die unabhängigen Verlage pflegen auf diese Art die schönste Buchkultur."

Axel von Ernst, Verleger, Schriftsteller und Sprecher der "Hotlist"Bild: Uwe Alexander Kirsten

Wie viele unabhängige Verlage es in Deutschland gibt, lässt sich nur schätzen. Axel von Ernst spricht von etwa 480, wobei laufend neue, unbekannte Namen auftauchen, andere wieder verschwinden. Der Covid-19-Pandemie sei das in den wenigsten Fällen geschuldet. Eher leide die Branche noch unter den Folgen der Insolvenz des wichtigsten deutschen Buchgroßhändlers KNV und darunter, dass Libri, ein weiterer Grossist, auf den die Verlage angewiesen sind, viele Bücher ausgelistet habe. "Corona war da gar nicht der große Nackenschlag", sagt der Verleger. Zwar habe die Pandemie vor allem am Anfang vielen Angst gemacht. "Aber dank der tollen Aktionen der unabhängigen Buchhändler, dass der Buchhandel auf die eine oder andere Weise durchlief, sind die Verluste nicht so groß wie zum Beispiel in der Veranstaltungsbranche."

Wunsch nach struktureller Förderung

Trotzdem sind die kleinen Verlage dauerhaft in ihrer Existenz bedroht. Der deutsche Verlagspreis sei zwar ein Segen, sagt Katja Cassing, und habe ihren Verlag in diesem Jahr gerettet. Doch wenn sie, wie auch ihr Mann, nicht auch noch andere Jobs hätte, zum Beispiel als Übersetzerin für andere Verlage, könnten sie nicht jährlich vier Bücher veröffentlichen. Deshalb wünscht sich nicht nur die Preisträgerin eine längerfristig angelegte, strukturelle Förderung, die Monika Grütters' Verlagspreis ablösen könnte. "Wir zum Beispiel haben immer einen längeren Vorlauf, weil die Bücher erst übersetzt werden müssen. Da wäre es schön, wenn ich wüsste, in zwei oder drei Jahren habe ich immer noch so viel Geld, dass ich eine Übersetzung bezahlen kann."

Österreich, die Schweiz und Frankreich hätten es ja vorgemacht, wie eine solche Förderung aussehen könnte, kommentiert die Verlegerin. In der Schweiz beispielsweise gibt es eine solche Förderung seit vier Jahren. Sie ist umsatzabhängig, kleine Verlage erhalten eine Zulage von 5000 Franken im Jahr. Für die großen Verlage mit hohem Umsatz gibt es bis zu 80.000 Franken im Jahr. Katja Cassing fragt sich: "Könnte die Unterstützung für Verlage in Deutschland nicht wie dort als Instrument der Wirtschafts- und Kulturförderung eingesetzt werden?"

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