Big Brother in Äthiopien
26. März 2014Natürlich würden die Telefone aller Aktivisten und Regimegegner in Äthiopien von der Regierung abgehört, "todsicher", schreibt die Frau, die in der Hauptstadt Addis Abeba lebt, über Twitter. Einem Telefoninterview will sie nicht zustimmen, auch ihren Namen will sie nicht veröffentlicht sehen - zu groß ist ihre Angst vor Repressalien. Denn die äthiopische Regierung hat ein Monopol über das gesamte Telekommunikationssystem des Landes, die Nachrichtendienste können praktisch unbegrenzt auf die Anrufdaten aller Telefonnutzer zugreifen. Das geht aus einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hervor, der am Dienstag (25.03.2014) in Berlin vorgestellt wurde. Er trägt den Titel: "Sie wissen alles, das wir tun." Ausgerüstet werde die Regierung vom chinesischen Telekommunikationsanbieter ZTE, der auch Verträge mit anderen autokratischen Regimen, wie etwa dem Iran oder Libyen, abgeschlossen habe.
Aktivisten, Journalisten und Oppositionspolitiker würden von der Regierung gezielt abgehört, sagt Felix Horne, Afrika-Experte von Human Rights Watch, der Missbrauchsopfer und ehemalige Mitarbeiter des Nachrichtendienstes interviewt hat. Oft reichten ein paar kritische Bemerkungen über die Regierung, um verhaftet, misshandelt, sogar gefoltert zu werden, so Horne: Elektroschocks und Auspeitschen seien relativ normal. Äthiopier, die Anrufe aus dem Ausland bekämen, seien besonders gefährdet. "Die Folge ist, dass viele Menschen, besonders von marginalisierten Volksgruppen, riesige Angst haben, Anrufe aus dem Ausland entgegenzunehmen." Auch trauten sich etliche Äthiopier in der Diaspora kaum, ihre Verwandten zuhause anzurufen.
Das bestätigt ein Journalist, der in Deutschland lebt: Mit seiner Familie rede er nie am Telefon über Politik. Denn die Konsequenzen im autoritären Äthiopien seien brutal: Horne erzählt von einer jungen Muslimin, die gefoltert und vergewaltigt wurde. Der Grund: Der Klingelton ihres Handys - ein muslimischer Gebetsruf - sei vom Nachrichtendienst als Indiz dafür gewertet worden, dass sie plane, die Regierung zu stürzen.
Überwachungstechnologie aus Deutschland?
Deshalb treffe sie sich immer persönlich mit Kontakten, um "sensible Themen" zu besprechen, schreibt die Aktivistin in Addis Abeba. Wenn das nicht möglich sei, dann laufe die Kommunikation mit anderen Regimekritikern über E-Mail, Facebook oder eben Twitter. Ob sie keine Angst habe, dass die Regierung sich vielleicht in ihren Computer einhacken könnte? Sie antwortet erst nach einer Weile: "Das kann man nie wissen." Sie schickt ein lächelndes Smiley hinterher. Natürlich habe sie große Angst, schreibt sie nach einer weiteren Pause. "Aber was sollen wir sonst tun?"
Die Angst der Aktivistin ist nicht unbegründet: In den vergangenen zwei Jahren habe die Regierung Überwachungstechnologie eingekauft, mit der sie sich in Computer einhacken könnte, sagt Cynthia Wong, Expertin für Internet von Human Rights Watch. Damit würden vor allem Regimegegner und Oppositionelle in der Diaspora belauscht, was besonders daran liege, dass im Land nur etwa ein Prozent der Bevölkerung Zugang zum Internet habe. Die Software könne E-Mails und Skype-Unterhaltungen aufzeichnen, aber auch Passwörter speichern und sich in die Mikrofone und Kameras des Laptops einhacken. "Der Computer wird praktisch in ein Abhörgerät in Echtzeit umgewandelt", fasst es Wong zusammen. Vor allem in Äthiopien könnten Aktivisten sich vor solchen Angriffen kaum schützen, sagt Horne. "Kaum einer kennt sich mit den Grundzügen der digitalen Sicherheit aus."
"Alle haben Angst"
Die Technologie haben den Recherchen von Human Rights Watch zufolge zwei europäische Firmen geliefert: So nutze die Regierung das Softwareprogramm Remote Control System des italienischen Anbieters Hacking Team. Eine Firma mit Sitz in Deutschland, Gamma International, die auch das deutsche Bundeskriminalamt Anfang 2013 mit einem Staatstrojaner ausstatten sollte, hat das Regime laut HRW mit der Software FinFisher beliefert. Der Verkauf von solcher Überwachungstechnologie sei de facto keinerlei Kontrollen ausgesetzt, kritisiert Wong. Human Rights Watch rufe deshalb europäische Regierungen auf, unverzüglich Schritte einzuleiten, um den Handel mit autoritären Regimen wie Äthiopien zu kontrollieren. Die Tatsache, dass Äthiopien ein wichtiger Partner für den Westen im Kampf gegen den Terrorismus in der Region sei, dürfe der Kritik nicht im Wege stehen, sagt Horne.
Human Rights Watch mahnt zur Eile: Die Regierung in Addis Abeba habe sich das Ziel gesetzt, die Nutzung von Internet und Smartphone in der Bevölkerung in den nächsten Jahren massiv auszubauen, so Horne. Trotz einer weitverbreiteten Angst vor Überwachung werde diese tatsächlich derzeit noch nicht umfassend eingesetzt. Das liegt nach Angaben von Human Rights Watch daran, dass die Kapazitäten innerhalb der Regierung fehlen und es auch zu Streitigkeiten zwischen einzelnen Ministerien komme. Doch das könne sich schnell ändern, warnt HRW-Aktivist Horne - vor allem im Vorfeld der Wahlen, die 2015 stattfinden sollen.
Letztlich sei es auch fast egal, ob die Regierung tatsächlich alle Menschen abhöre - oder eben nicht, schreibt ein äthiopischer Journalist, der in Deutschland lebt, auf Nachfrage über Facebook. Die Angst sei inzwischen so groß, dass kaum jemand sich traue, überhaupt Kritik zu üben. Sie hätten Angst vor der Regierung, aber auch voreinander. "Alle haben vor allen Angst."