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PolitikAsien

HRW klagt Verbrechen in Xinjiang an

William Yang
20. April 2021

Menschenrechtsverletzungen gegen die Uiguren und andere Minderheiten: Mit diesem Vorwurf konfrontiert ein aktueller Bericht von Human Rights Watch und der Universität Stanford Chinas Regierung.

DW Investigativ Projekt: Uiguren Umerziehungslager in China ACHTUNG SPERRFRIST 17.02.2020/17.00 Uhr MEZ
Bild: AFP/G. Baker

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch und die Juristische Fakultät der Universität Stanford legen der chinesischen Regierung Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den Uiguren und an Angehörigen anderer Turkvölker in der Autonomen Region Xinjiang zur Last.

Auf der Basis bereits veröffentlichter Forschungsergebnisse, von Medienberichten und Regierungsdokumenten sowie anderer Daten aus China kommt ein gemeinsamer Bericht zu dem Schluss, dass Peking flächendeckend und systematisch massenhafte Internierungen, Folter und Unterdrückung der Kultur der Minderheiten betreibt.

Sophie Richardson von HRW: Schritte inner- und außerhalb des UN-Rahmens gefordertBild: Human Rights Watch

"Pekings Rhetorik kann Realität nicht verschleiern"

"Die chinesischen Behörden verfolgen die Muslime der Turkvölker (in Xinjiang) systematisch in ihrer Existenz, in ihrer Religionsausübung, in ihrer kulturellen Identität", erklärt Sophie Richardson, Leiterin der China-Abteilung von HRW, gegenüber der DW. "Die chinesischen Formulierungen wie 'Berufsausbildung'  und 'De-Radikalisierung' können die grausame Realität der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verschleiern."

Dem Bericht zufolge hat sich die chinesische Regierung in Xinjiang fast aller der in Artikel 7 des Statuts von Rom des Internationalen Strafgerichtsgshofs (ICC) aufgelisteten Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht, von Mord, Folter, Inhaftierung oder schwerwiegendem Entzug persönlicher Freiheiten über sexuelle Gewalt und weitere inhumane Akte unter bewusster Herbeiführung von physischem oder seelischem Leid bis hin zur Verfolgung bestimmter ethnisch-religiöser Gruppen und dem gewaltsamen Verschwindenlassen einzelner Personen. 

Kashgar in Xinjiang: Westliche Besucher angeblich "willkommen".Bild: Mathias Bölinger/DW

Untersuchungskommission gefordert

Die Autoren des Berichts schlagen die Einrichtung einer Untersuchungskommission durch den UN-Menschenrechtsrat vor. "Diese Untersuchungskommission muss das Mandat erhalten, die Tatsachen festzustellen, die Täter zu identifizieren und Empfehlungen auszusprechen, wie die Betreffenden zur Rechenschaft zu ziehen sind. Die Kommission sollte aus anerkannten Persönlichkeiten zusammengesetzt sein, darunter Experten für humanitäres Völkerrecht und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, für die Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten, und für Genderfragen", heißt es im Bericht von HRW und der Juristischen Fakultät der Universität Stanford.   

Am vergangenen Freitag machte Chinas Vizeaußenminister Le Yuchang im Interview mit der Nachrichtenagentur AP Pekings Haltung gegenüber der Idee einer solchen Untersuchungskommission deutlich. Demnach würde China "den Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (derzeit Michelle Bachelet - Red.) oder westliche Diplomaten in Xinjiang begrüßen, aber sie müssen als Besucher kommen, und nicht, um eine sogenannte Untersuchung durchzuführen … Wenn sie in das Haus von jemand anderem kommen als wäre das ihr eigener Raum, um dort in allen Ecken nach sogenannten Beweisen für Verbrechen zu suchen, dann sind sie nicht willkommen."

Die Baumwollindustrie in Xinjiang steht unter dem Verdacht von ZwangsarbeitBild: VCG/imago images

"Zweifellos Verbrechen gegen die Menschlichkeit"

In dem Bericht präsentiert HRW aktuelle Zahlen über die Verfolgungsmaßnahmen in Xinjiang. Demnach wurden dort seit 2017 geschätzt eine Million Einwohner in 300 bis 400 dafür geschaffenen Einrichtungen inhaftiert. In Xinjiang wurden laut offiziellen Statistiken im Jahr 2017 rund 21 Prozent aller Verhaftungen in China vollzogen, obwohl in der Region nur 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung Chinas lebt.

Auch gebe es Hinweise auf verschiedene Methoden, mittels derer die Behörden in Xinjiang zwei Drittel der Moscheen beschädigt oder zerstört hätten. Zu dem weitgespannten Überwachungsnetzwerk in Xinjiang gehören dem Bericht zufolge Zwangsübernachtungen von Funktionären bei Familien der Minderheiten, die dazu genutzt würden, DNS-Proben der Familienmitglieder zu entnehmen sowie Fingerabdrücke, Iris-Aufnahmen und Blutproben, all dies von einem Personenkreis im Alter zwischen zwölf und 65 Jahren. Des weiteren führt der Bericht Beweise für Zwangsarbeit, großflächige Überwachungsmaßnahmen und die ungesetzliche Trennung von Kindern von ihren Familien auf.

"Es gibt immer weniger Zweifel daran, dass die Politik und die Maßnahmen der chinesischen Regierung gegen die Angehörigen der muslimischen Turkvölker in Xinjiang als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß dem Völkerstrafrecht anzusehen sind", sagt Beth Van Schaack vom Stanford Center for Human Rights and International Justice gegenüber der DW. "Die Weigerung der (chinesischen) Regierung, diesen Verbrechen Einhalt zu gebieten, geschweige denn, die Verantwortlichen zu bestrafen, macht die Notwendigkeit eines starken und koordinierten internationalen Vorgehens deutlich."   

Laut Sophie Richardson hat HRW ein umfassendes Bild von den Maßnahmen der chinesischen Behörden in Bezug auf konkrete Gemeinden der ethnischen Minderheiten in Xinjiang in den vergangenen Jahren gewonnen. "Von daher können wir klar sagen, es handelt sich um ein flächendeckendes und systematisches Vorgehen." 

Institutionen wie der Internationale Strafgerichtshof sind alleine zu schwach als Gegengewicht zu PekingBild: Everett Collection/picture alliance

Vorwurf des Völkermords

Yonah Diamond vom Raoul Wallenberg Centre for Human Rights fordert eine UN-Untersuchungskommission, die nicht nur Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Xinjiang in den Fokus nehmen solle, sondern auch den Vorwurf des Völkermords. Diamond ist einer der Autoren einer unlängst in Washington vorgestellten unabhängigen Newlines-Studie, die Peking Verletzung der Konvention gegen Völkermord vorwirft. Diamond meint, die Schlussfolgerungen der beiden Berichte, also von HRW und dem Newlines-Institut, sollten nicht als konkurrierend betrachtet werden, sondern sich ergänzen.

Nach Ansicht von Sophie Richardson muss die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang unbedingt auf die Agenda des UN-Menschenrechtsrat gebracht werden. "Der Hohe Kommissar sollte nach zielführenden Wegen suchen, ob mittels einer Resolution, oder etwa mittels einer dringlichen Debatte. Es gibt auch Optionen außerhalb des UN-Rahmens", mahnt Richardson. "Es gibt die Möglichkeit für nationale Strafverfolgungsbehörden, Ermittlungen aufzunehmen, und es gibt Möglichkeiten durch das Weltrechtsprinzip."

Yonah Diamond vom Raoul Wallenberg Centre for Human Rights glaubt, es gebe einen "internationalen Konsens unter Juristen, wonach in Xinjiang Verbrechen gegen die Menschlichkeit geschehen und es eine starke Koalition aus allen Weltregionen gibt, die die Vorgänge in Xinjiang als Völkermord bezeichnen". Deshalb sollten Regierungen weltweit sich am amerikanischen "Global Magnitsky Act" von 2016 orientieren und Einzelpersonen und Organisationen, die für Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang verantwortlich sind, mit Sanktionen belegen. 

Uigurische Familie im Exil in der Türkei Bild: Tunca Ögreten/DW

Signal der Solidarität

Sophie Richardson ergänzt, es gehe auch darum, gegenüber Uiguren und anderen Minderheiten in Xinjiang und in Übersee Solidarität zu zeigen und Unterstützung zukommen zu lassen. "Wir wollen diesen Menschen signalisieren, dass uns der Albtraum, den sie durchleben, bewusst ist, und wir alles in unserer Macht Stehende tun wollen, damit die dafür Verantwortlichen Rechenschaft ablegen müssen."

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