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Politik

Streitfall Nothilfe

19. August 2017

Mehr Opfer, mehr Helfer, aber zu wenig Geld: Am Welttag für humanitäre Hilfe offenbart sich eine enorme Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit internationaler Nothilfe.

Irak Mosul Nothilfe
Bild: Getty Images/AFP/A. Al-Rubaye

Die guten Nachrichten zuerst: Noch nie wurde weltweit so viel Geld für humanitäre Hilfe aufgebracht, und noch nie gab es so viele Menschen, die in Krisen- und Kriegsgebieten humanitäre Hilfe leisten.

Doch damit ist die Erfolgsbilanz bereits beendet. Denn Krieg, Klimawandel und Verelendung treiben immer mehr Menschen in die Flucht. Rund 130 Millionen Menschen waren 2016 nach UN-Angaben auf humanitäre Hilfe angewiesen.

"Die Menschen sind keine Wohlstandsflüchtlinge, es sind Elendsflüchtlinge", sagt Pater Frido Pflüger, Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland (JRS). Angesichts der Kriege und Konflikte im Jemen, Syrien, am Horn von Afrika und in Afghanistan  hält er die Debatte über den Schutz der EU-Außengrenzen für "Augenwischerei".

"Die Leute werden sowieso kommen. Sie werden weiter in Libyen warten, bis es eine Überfahrtmöglichkeit gibt", prognostiziert er. "Wir tun immer so, als ob das nur unser Ding wäre, aber sie haben auch einen Anspruch auf ein Leben in Würde."

Geizige Geber

Für ein Leben, das auch die Würde der Menschen in Krisengebieten wahrt, bräuchte es allerdings mehr Geld. Nach Angaben des UN-Sekretariates für Nothilfe OCHA (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) klafft zwischen den angeforderten Hilfsgeldern und den tatsächlich geleisteten Zahlungen eine riesige Lücke.

In diesem Jahr sind von den 23,5 Milliarden Dollar an benötigter Nothilfe, die auf internationalen Geberkonferenzen zugesagt wurden, erst 9,4 Milliarden Dollar ausgezahlt worden. Deutschland hat seine Mittel 2017 auf einen Höchstwert von 1,4 Milliarden Euro aufgestockt.

"9,4 Milliarden Dollar ist viel zu wenig! Ich fordere die Weltgemeinschaft auf, noch mehr zu tun, um diese Lücke zügig zu schließen", fordert Bärbel Kofler, Beauftragte für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe der Bundesregierung, in einer Stellungnahme für die DW. Die Weltgemeinschaft sei in der Lage, allen notleidenden Menschen zu helfen.

"Grenzkontrolle allein keine Lösung"

Wie die meisten Akteure im Bereich der humanitären Hilfe dringt auch die SPD-Politikerin Kofler auf den Ausbau legaler Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge: "Wir brauchen europäische Antworten und müssen endlich legale Wege der Migration schaffen, die es den Menschen ermöglicht, ohne die lebensgefährliche Überfahrt auf dem Mittelmeer Schutz in Europa zu finden", sagt die Menschenrechtsbeauftragte.

Menschenrechtsbeauftragte Kofler: "Viel zu wenig"Bild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Unterstützt wird Kofler dabei von dem Mann, der als Direktor der EU-Grenzschutzagentur Frontex für die Sicherung der EU-Außengrenzen mitverantwortlich ist: Fabrice Leggeri. "Grenzkontrolle alleine ist kein Allheilmittel", stellt Leggeri im DW-Interview klar. Eine Lösung müsse aus mehreren Elementen bestehen.

"Erst müssen die Ursachen für die Migration beseitigt werden, also Krieg, Konflikte, Armut und Hunger", so Leggeri. "Und schließlich muss es auch legale Wege geben, auf denen Flüchtlinge Asyl beantragen können, ohne sich in die Hände von Menschenhändlern zu begeben."

Seit Ende 2016 beteiligt sich Frontex im Rahmen der EU-Militär-Operation "EUNAVFOR Med" an der Bekämpfung von Schleusernetzwerken. Unter anderem schult die Agentur auch Offiziere der libyschen Küstenwache.

Seenotretter in Not

Seenotrettung gehört ebenfalls zu den Aufgaben von Frontex. Nach Angaben der Grenzschutzagentur hat der Einsatz von Frontex allein in Italien und Griechenland im vergangenen Jahr zur Rettung von 90.000 Menschen beigetragen.

Flüchtlingsrettung im Mittelmeer: Auch die Helfer begeben sich in LebensgefahrBild: picture alliance/dpa/Italian Coast Guard

Für Tausende von Flüchtlingen kommt jedoch jede Hilfe zu spät. Sie ertrinken im Mittelmeer. Doch nicht nur sie, auch humanitäre Helfer begeben sich immer häufiger in Lebensgefahr. In den Statistiken der "Aid Worker Security Database" (AWSD) sind im Zeitraum von 2007 bis 2017 insgesamt 3159 gewaltsame Angriffe gegen humanitäre Helfer registriert, 1122 von ihnen wurden ermordet. Die meisten Attacken (965) ereigneten sich in Afghanistan.

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen wirft den EU-Mitgliedsstaaten vor, die humanitäre Arbeit von Hilfsorganisationen mehr und mehr zu behindern. "Die von der EU massiv unterstützte libysche Küstenwache droht humanitären Seenotrettern, sie notfalls mit Waffengewalt aus der neu deklarierten Such- und Rettungszone zu vertreiben", so Volker Westerbarkey, Chef von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland. "Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang."

Seine Bilanz zum Welttag für humanitäre Hilfe, der zum Gedenken an die Opfer des Anschlages auf das UN-Hauptquartier in Bagdad am 19. August 2003 ausgerufen wurde, fällt bitter aus. "Das Klima gegenüber zivilen Rettungseinsätzen wird immer feindseliger", sagt Westerbarkey. "Wir beobachten, dass der Schutz von Menschen auf der Flucht oft der Abschottung Europas untergeordnet wird."