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PolitikSudan

Humanitäre Lage im Sudan verschärft sich weiter

19. Oktober 2024

Der anhaltende Konflikt in Khartum und anderen Regionen des Sudan flammt erneut auf. Humanitäre Organisationen ziehen sich aus dem Land zurück. Lokalen Organisationen fehlt es an Mitteln, sich gegen die Krise zu stemmen.

Frau und Kind sitzen am Eingang zu einem Zelt im Flüchtlingslager
Elf Millionen Menschen wurden im Sudan durch die Kämpfe rivalisierender Gruppierungen vertriebenBild: Mohamed Jamal Jebrel/REUTERS

Zehntausende wurden bereits bei den Konflikten im Sudan getötet, doch die Kämpfe zwischen der sudanesischen Armee (SAF) und den paramilitärischen Truppen der Rapid Support Forces (RSF) flammen gerade erneut auf.

Schauplatz der jüngsten Eskalation ist Khartum, die Hauptstadt des Landes, in der die SAF eine umfassende Offensive gestartet hat, um Gebiete unter Kontrolle der RSF zurückzugewinnen. Emergency Response Rooms, eine zivile Hilfsorganisation, die dieses Jahr für den Friedensnobelpreis nominiert war, berichtet, dass bei den Zusammenstößen zahlreiche Menschen auf den Märkten Khartums getötet wurden.

Die sudanesische Armee und die RSF befinden sich seit April 2023 in einem Bürgerkrieg, der den Sudan in eine humanitäre Krise gestürzt hat. Ursprung des Konflikts ist ein Machtkampf zwischen dem Befehlshaber der regulären Armee, Abdel Fattah al-Burhan , und dem Anführer der RSF,  Mohamed Hamdan Daglo. Nach einem Militärputsch im Jahre 2021 hatten sich die beiden Generäle zunächst die Macht geteilt.

Bürgerkrieg verschärft Hungersnot im Sudan

03:06

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Mindestens 20.000 Menschen haben seitdem ihr Leben verloren, doch die Zahl der Todesopfer liegt vermutlich deutlich höher. Die anhaltenden Kämpfe und der Zusammenbruch des Gesundheitswesens machen es unmöglich, Opferzahlen zu erfassen.

Der Krieg hat Angaben der Vereinten Nationen zufolge zudem die größte Flüchtlingskrise weltweit ausgelöst: Mehr als elf Millionen Menschen wurden vertrieben und leben in Flüchtlingslagern im Sudan und angrenzenden Ländern. Anfang Oktober warnten die UN außerdem, dass die ohnehin verzweifelte Lage durch Hungersnöte und Krankheiten wie Cholera weiter verschlimmert würde.

'Katastrophale Lage' in Al-Faschir

Auch in der Nähe der seit Beginn des Bürgerkriegs heftig umkämpften Stadt Al-Faschir in Darfur im Westen des Sudan gerieten Märkte unter Beschuss. "In den vergangenen zehn Tagen ist der Beschuss intensiver geworden", erzählt Salah Adam, ein Bewohner des Flüchtlingslagers Abu Shouk und aktives Mitglied der Emergency Response Rooms, der DW. Er berichtet, dass die RSF einen Markt, auf dem er am Montag Lebensmittel kaufen wollte, aus der Luft angegriffen hätten. Während die Marktbesucher um ihr Leben rannten, wurden drei Personen getötet und zehn weitere verletzt. "Sie können sich nicht vorstellen, wie katastrophal unsere Lage ist", sagt Adam. "Es gibt keine Organisationen, die Hilfe leisten. Wir sind die einzigen, die vor Ort etwas tun, und es fehlt uns einfach an allem." Die Menschen litten Hunger, seien verletzt oder krank, berichtet er. "Jeden Tag sehe ich Kinder sterben. Das sind die schlimmsten Momente."

Mindestens 20.000 Menschen wurden bislang bei den Kämpfen getötetBild: Volunteer Group South Khartoum Emergency Room/Xinhua/IMAGO

Laut der Nachrichtenagentur Reuters nehmen Plünderer der RSF verstärkt internationale humanitäre Organisationen ins Visier. Michelle D'Arcy, Sudan-Länderdirektorin von Norwegian People's Aid, macht deutlich, dass der Zugang zu humanitären Hilfeleistungen nur eines von vielen Problemen ist. "Lokal geführte humanitäre Initiativen wie die Emergency Response Rooms und die Gemeinschaftsküchen brauchen Schutz, denn sie sind bei ihrer Arbeit in den Konfliktgebieten weiterhin Bedrohungen und Unsicherheit ausgesetzt", sagt D'Arcy gegenüber der DW.

Vergessene Krise

Auch der UN-Menschenrechtsbeauftragte Volker Türk schlug kürzlich Alarm wegen der "wachsenden Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung" im Flüchtlingslager Abu Shouk bei Al-Faschir sowie im nahe gelegenen Lager Zamzam. "Die Menschen in diesen Lagern sind wegen ihrer – tatsächlichen oder vermeintlichen – Stammeszugehörigkeit ständig der Gefahr von Vergeltungsangriffen [durch die RSF] ausgesetzt", betonte Türk und fügte hinzu, dass der SAF nahestehende bewaffnete Gruppierungen in den Lagern für die RSF zu einem Ziel geworden sind.

Es ist davon auszugehen, dass sich die humanitäre Lage im Flüchtlingslager Zamzam, in dem mindestens 80.000 Personen leben, bald verschlechtern wird. Nachdem die RSF Hilfsaktionen behinderte und die SAF systematisch den Zugang zu Gebieten außerhalb des eigenen Einflussbereiches blockierte, stellte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) diese Woche ihre Aktivitäten ein, wie die Sudan-Koordinatorin Claire San Filippo erklärte.

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung im Sudan leidet akut unter HungerBild: Mohamed Khidir/Xinhua/picture alliance

"5000 mangelernährte Kinder, darunter 2900 stark unterernährte Kinder, erhalten nun keine weitere Unterstützung mehr", sagte San Filippo. "Die sudanesische Armee gewährt noch immer keinen Zugang für dringend benötigte Hilfe in Gebieten, die von den Rapid Support Forces kontrolliert werden. Diese wiederum plündern die Lieferungen, die es zu Teilen der Zivilbevölkerung in ihren Gebieten geschafft haben", bestätigt Mohamed Osman, der bei Human Rights Watch zum Sudan arbeitet. Es fehle an internationaler Aufmerksamkeit, meint er: "Diese Krise wird von allen vergessen."

Unklare Fronten

Die Lage werde immer komplizierter, sagt Hager Ali, wissenschaftliche Mitarbeiterin mit Fokus Sudan beim German Institute for Global and Area Studies (GIGA), der DW. Als der Krieg vor 18 Monaten begann, habe es sich noch um einen klaren Machtkampf zwischen der sudanesischen Armee und den Rapid Support Forces gehandelt. "Seitdem ist eine besorgniserregende Zersplitterung zu beobachten. Die verschiedensten Themen und Ziele haben zu einer Auflösung der einst klaren Front zwischen SAF und RSF geführt."

"SAF und RSF mussten innerhalb kurzer Zeit andere Fraktionen auf ihre Seite ziehen und Aufgaben auslagern und hatten wenig Zeit, neue Kämpfer auszubilden. Die paramilitärischen RSF warben besonders schnell neue Kämpfer an, diese haben also nie ein echtes Training durchlaufen. Das schwächt die Befehlskette, insbesondere wenn die Fraktionen die Autorität der RSF vor Ort in Frage stellen."

In einem Krieg, der in einem so großen Land an so vielen Fronten geführt wird, wird es Ali zufolge immer schwieriger, nachzuverfolgen, wer was tut, wer sich an Befehle hält und wer nicht. Sowohl bei den RSF als auch bei der SAF gibt es Anzeichen dafür, dass beide nicht länger die volle Kontrolle über die eigenen Truppen im Lande haben.

Dort, wo eine der beiden Gruppierungen Gebiete tatsächlich unter ihre Kontrolle gebracht hat, steht diese dann vor der Herausforderung, tatsächlich zu regieren, fügt Ali hinzu.

Das Fehlen von Hilfsleistungen, die schwindende Unterstützung und die anhaltenden Kämpfe zermürben Adam, das aktive Mitglied von Emergency Response Rooms. "Ich appelliere an die humanitären Organisationen und die Menschenrechtsaktivisten, sofortige Maßnahmen zu ergreifen und die Menschen von Al-Faschir zu retten", sagt er zu DW. Er sei kurz davor, alle Hoffnung fahren zu lassen, wenn sich nichts ändere, fügt er hinzu, so erschöpft sei er.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
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