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Politik

Ukraine-Hilfe: Spenden gegen das Böse

10. Mai 2022

In Dresden werden Hilfsgüter für die Ukraine gesammelt und nach Nordrumänien gebracht. Dort werden sie von Freiwilligen aus dem ukrainischen Czernowitz abgeholt. Es ist die Geschichte einer besonderen Hilfsroute.

Humanitären Hilfstransport von Dresden nach Czernowitz via Nordrumänien
Deutsche und ukrainische Helfer organisieren Spendentransporte nach CzernowitzBild: Keno Verseck/DW

An einem kalten Frühjahrsmorgen passiert der kleine Lastwagen die fast leere ukrainisch-rumänische Grenze. Tagsüber warten hier auf beiden Seiten oft hunderte Autos. Doch an diesem Morgen um kurz vor acht Uhr ist kaum Verkehr.

Hinter der Windschutzscheibe des Lastwagens prangen ein Zeichen des Roten Kreuzes, ukrainische Fähnchen und die Aufschrift "Humanitäre Hilfe". Oksana, Serhij, Wassyl und Witalij zeigen den rumänischen Grenzbeamten ihre Pässe und Dokumente der ukrainischen Regierung, die sie als Helfer ausweisen. Sie werden schnell durchgelassen.

Mit einem Kleinlastwagen fahren Oksana, Serhij (r.), Wassyl und Witalij nach RumänienBild: Keno Verseck/DW

Nur ein paar hundert Meter hinter der Grenze wartet ein rumänischer Mann mit seiner Tochter. Die beiden wohnen in einem nahegelegenen Ort und haben Oksana und Serhij vor ein paar Wochen bei einem Hilfstransport kennengelernt. Seitdem bringen sie immer, wenn der kleine Lastwagen wieder über die Grenze kommt, ein paar Kartons voller Spenden. An diesem Tag sind es ein Sack Kartoffeln, Öl, Konserven, Nudeln und Waschmittel. Ein herzlicher Dank, eine schnelle Umarmung, dann geht die Fahrt weiter.

Schnittstelle für Hilfslieferungen

Oksana Matijtschuk, Serhij Lukanjuk und ihre beiden Gefährten, Wassyl Samaschko und Witalij Kindserskyj kommen aus der ukrainischen Großstadt Czernowitz, 40 Kilometer nördlich der rumänischen Grenze. Sie sind an diesem Tag auf dem Weg in den rumänischen Ort Vatra Dornei, zweieinhalb Fahrstunden südwestlich der Grenze. Dort wollen sie eine Gruppe junger Dresdener treffen, die in zwei Kleinbussen Spenden aus Deutschland bringen. Zusammen werden sie alles umladen, dann geht es wieder zurück.

Czernowitz, die einstige Hauptstadt der historischen Region Bukowina, ist mit ihren 250.000 Einwohnern ein Wirtschaftszentrum im Südwesten der Ukraine. Bombardements oder militärische Angriffe auf die Stadt gab es bisher nicht. Deshalb sind dorthin zehntausende Menschen aus anderen ukrainischen Landesteilen geflüchtet. Und deshalb ist sie eine wichtige Schnittstelle für humanitäre Hilfslieferungen aus dem Ausland, die weitergeleitet werden in die Kriegsgebiete im Norden, Osten und Süden der Ukraine.

Netzwerk der Freiwilligen

Oksana Matijtschuk, 45, und Serhij Lukanjuk, 43, sind Germanisten an der Universität Czernowitz. Matijtschuk lehrt als Dozentin fremdsprachliche Literaturgeschichte und leitet die ukrainisch-deutsche Kulturgesellschaft Tschernivzi. Lukanjuk, 43, ist Leiter des internationalen Büros der Universität Czernowitz.

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat sich ihr Universitätsleben radikal geändert. So oft es geht, fahren sie über die Grenze nach Rumänien, um dort Lebensmittel- und Sachspenden für die Ukraine abzuholen, manchmal mehrmals pro Woche. Sie sind Teil eines riesigen Netzwerks von Freiwilligen in Czernowitz, das sich um die Annahme, die Verteilung und den Weitertransport von Hilfsgütern kümmert.

Spenden, die nicht liegenbleiben

Fast alle seien in irgendeiner Weise privat organisiert, erzählen Oksana und Serhij auf der Fahrt durch die Berge im Nordrumänien, sowohl die Spenden aus Deutschland als auch die aus Rumänien. Das meiste habe sich dabei durch universitäre Kontakte ergeben. In Deutschland, berichten die beiden, sei Hilfe vor allem über eine Partnerinstitution der Universität Czernowitz gekommen, das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Am ersten Tag des Krieges bekamen wir von unseren deutschen Partnern und Kollegen sehr viele Solidaritätsbotschaften und Hilfsangebote", sagt Oksana Matijtschuk. "Nach zwei Wochen trafen dann auch schon die ersten Hilfstransporte in Czernowitz ein."

Im Studentenwohnheim der Uni Czernowitz werden die Spenden sortiertBild: Serhij Lukanjuk

Auch in Rumänien sei die Hilfsbereitschaft sehr groß, ergänzt Serhij Lukanjuk. Besonders aktiv seien Kollegen der Universität in der nordrumänischen Großstadt Suceava, nahe der ukrainischen Grenze. "Das Besondere an unserer Arbeit mit humanitären Hilfen ist, dass wir alles über persönliche Kontakte an Universitäten in der Ukraine, aber auch im Bekannten- und Freundeskreis organisieren und ganz genau wissen, wo aktuell was gebraucht wird", sagt Lukanjuk. "So können wir garantieren, dass Spenden wirklich Sinn haben, dass sie ankommen und dass nichts liegenbleibt."

Konserven, Babynahrung, 3-D-Drucker

Ankunft auf einer Raststätte nahe des nordrumänischen Städtchens Vatra Dornei. Vier junge Dresdener, Helena, Joshua, Simon und Stefan, alle Mitte 20, warten schon. Für zwei von ihnen ist es bereits die zweite Fahrt nach Nordrumänien innerhalb weniger Wochen. Alle umarmen sich herzlich, dann wird auch schon umgeladen: Babynahrung, Mehl, Öl, Nudeln, Konserven, Waschmittel, Seife und andere Hygieneartikel. Auch Kleidung, zwei Kettensägen, ein Ultraschallgerät, zwei Laptops und sogar zwei kleine 3-D-Drucker haben die Dresdener mitgebracht. Letztere dienen dem Drucken von Tourniquets, Abbinde-Systeme für die schnelle Blutungskontrolle verletzter Soldaten.

Spendenübergabe in Vatra Dornei in NordrumänienBild: Keno Verseck/DW

Mitinitiiert hat die Spendensammlung Joshua Peaceman, 28, IT-Experte und Deutsch-Amerikaner, dessen Mutter an einer deutschen Partner-Universität von Czernowitz arbeitet und Oksana und Serhij kennt. "Als der Krieg begann, wollte ich mehr machen, als nur demonstrieren, aber im Freundeskreis wollten wir auch nicht einfach losfahren mit dem Risiko, an der Grenze zu stehen mit Sachen, die nicht gebraucht werden", erzählt Joshua. "Wir kamen in Kontakt mit Oksana und Serhij. Sie sagten uns, was gebraucht wird. Im Freundes- und Bekanntenkreis haben wir dann Geldspenden gesammelt und die Sachen gekauft."

Das Böse stoppen

In der Stadtverwaltung von Czernowitz ist man sehr dankbar für solche Spendenaktionen und Hilfslieferungen. Der Bürgermeister der Stadt, Roman Klitschuk, sagt in einem Videotelefonat mit der DW, dass die Stadt zwar von Bombardements bisher verschont geblieben sei, aber man den Krieg dennoch spüre. Klitschuk erinnert daran, dass in Czernowitz derzeit rund 60.000 Binnenflüchtlinge leben würden. "Die meiste humanitäre Hilfe die hier ankommt, schicken wir weiter in Frontgebiete, aber wir brauchen auch hier bei uns für die Flüchtlinge Lebensmittel, Kleidung und Medikamente", sagt Klitschuk.

Der Czernowitzer Bürgermeister Roman KlitschukBild: Oksana Matijtschuk

Der Bürgermeister sagt, er sei dankbar, dass gerade auch aus Deutschland viel humanitäre Hilfe dieser Art käme. Doch er hat auch Kritik. "Diplomatisch ausgedrückt, glaube ich, dass viele deutsche Politiker noch nicht richtig begriffen habe, worum es in diesem Krieg geht", sagt Klitschuk. "Dies ist nicht nur ein Krieg der Russen gegen die Ukrainer, sondern ein Krieg der Werte. Wenn das Böse hier nicht gestoppt wird, dann wird es auch auf andere europäische Länder übergreifen. Hoffentlich versteht man das in Deutschland nicht erst, wenn es zu spät ist."

Zivilgesellschaft weiter als die Politik

Ähnlich sehen es auch die Helfer an der Raststätte bei Vatra Dornei, als sie nach dem Umladen noch im Restaurant sitzen und etwas essen, bevor sie sich wieder auf die Rückfahrt machen - die einen in Richtung Dresden, die anderen nach Czernowitz. "In der deutschen Politik hieß es meistens, wir wollen Putin nicht provozieren", sagt der Dresdener Joshua Peaceman und fügt sarkastisch hinzu: "Jetzt weiß man ja, was er macht, wenn man ihn nicht provoziert."

Oksana Matijtschuk ergänzt: "Inzwischen sagen deutsche Politiker oft, sie hätten sich in Putin getäuscht. Aber man konnte alles, was er jetzt in unserem Land macht, längst wissen - aus Tschetschenien, aus Georgien, aus Syrien. Wo waren denn all die Kreml-Experten, und was haben sie für Kenntnisse, dass sie sich so getäuscht haben?"

Am Ende des Gesprächs wendet sich Serhij Lukanjuk noch einmal mit warmen Worten an die Helfer aus Dresden: "Ich finde, die deutsche Zivilgesellschaft ist in Bezug auf die Ukraine viel weiter als die deutsche Politik und macht viel mehr. Ihr seid auch Teil davon, und wir danken euch dafür."

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