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Humboldt brachte Südamerika nach Europa

12. Juli 2019

Nach seiner fünfjährigen Reise durch Südamerika kehrte Alexander von Humboldt als Held nach Europa zurück und faszinierte die Menschen mit abenteuerlichen Erzählungen und Geschichten.

Alexander von Humboldt, Aime Bonpland, Ejido von Quito, Vue du Cajambe, Ecuador, Cayambe, 1801
Bild: Botanisches Museum Berlin/Foto: Timothy Rooks

Schon als Alexander von Humboldt am 23. Juni 1802 mit der Besteigung des Chimborazo begann, war allen klar, dass es eine Expedition für die Geschichtsbücher werden sollte. Immerhin ging es um den – wie damals angenommen wurde – höchsten Berg der Welt. Niemand hatte es bis zum diesem Zeitpunkt auf den Gipfel geschafft. Mit drei indigenen Bergführern, die die Messinstrumente schleppten, machte sich Humboldt mit seinen Begleitern Aimé Bonpland und Carlos Montúfar in bitterer Kälte auf, den 6310 Meter hohen ecuadorianischen Vulkan zu besteigen.

Seinem Bruder schrieb Humboldt: "Die uns begleitenden Indianer hatten uns schon früher verlassen, und sagten, dass wir sie tödten wollten. Wir bleiben also alleine, Bonpland, Karl Montufar, ich, und einer meiner Bedienten, der einen Theil meiner Instrumente trug."

Weder die Erschöpfung oder der starke Schneefall, noch der Mangel an geeigneter Kleidung und Ausrüstung hinderte die Gruppe am Weiterkommen. Trotz dünner Luft erreichten sie eine Höhe von zirka 5600 m (Humboldts eigene damalige Schätzung betrug 5900 m). Dann verhinderte eine gewaltige Schlucht, dass die Männer den Gipfel erreichten. Auch wenn der Chimborazo durch die spätere Entdeckung des Himalayas herabgestuft wurde – zum Zeitpunkt der Besteigung waren Humboldt und seine Begleiter höher geklettert als je ein Mensch zuvor. Ihr Rekord sollte für 30 Jahre ungeschlagen bleiben.

Lesen Sie hier: Werdegang eines Ausnahmeforschers: Die Anfänge Alexander von Humboldts

Ein Schwarzer Saki, auch Satansaffe genannt, wie er 1811 in Humboldts Buch "Recueil d'observation de zoologie et d'anatomie comparée" erschienBild: Botanisches Museum Berlin/Foto: Timothy Rooks

Venezuela: 1799-1800

Als Humboldt und sein französischer Reisebegleiter Aimé Bonpland am 5. Juni 1799 aus dem spanischen La Coruna lossegelten, hatten die beiden neben Kleidung und Ausrüstung dutzende Kisten voller Instrumente im Gepäck, darunter verschiedene Teleskope, ein Sextant, ein Quadrant, ein Inklinatorium, Kompasse, ein Pendel, Barometer, verschiedene Thermometer, zwei Elektrometer, ein Mikroskop, ein Niederschlagsmesser und ein Cyanometer, das messen kann, wie blau der Himmel ist.

Nach einem Zwischenstopp auf Teneriffa erreichte ihr Schiff nach 41 Tagen die venezolanische Hafenstadt Cumana. Was für eine Erleichterung muss es gewesen sein, endlich wieder Land zu sehen. Die Atlantiküberquerung hatten sie überlebt, aber nun mussten sie noch einige Stunden warten, bis die Hafenbeamten sie kontrollierten. Voller Ungeduld saßen die Abenteurer fest, bis sie endlich einen Fuß auf Südamerika setzen konnten.

Humboldt überschlug sich vor Begeisterung im Brief an seinen Bruder Wilhelm: "Welche Farben der Vögel, der Fische, selbst der Krebse (himmelblau und gelb)! Wie die Narren laufen wir bis jetzt umher; in den ersten drei Tagen können wir nichts bestimmen, da man immer einen Gegenstand wegwirft, um einen andern zu ergreifen. Bonpland versichert, dass er von Sinnen kommen werde, wenn die Wunder nicht bald aufhören. Aber schöner noch als diese Wunder im Einzelnen, ist der Eindruck, den das Ganze dieser kraftvollen, üppigen und doch dabei so leichten, erheiternden, milden Pflanzennatur macht."

Neben der Schönheit der Natur kamen die europäischen Abenteurer in Venezuela aber auch mit der Grausamkeit der Sklaverei in Berührung. Etwas, das Humboldt tief erschütterte: Später schrieb er: "Zweifelsohne ist die Sklaverei das Größte aller Übel, welche jemals die Menschheit betroffen."

Nach einigen Monaten rund um Cumana und Caracas machte sich der nun 30-jährige Humboldt auf zu seiner ersten großen Expedition: Auf einem großen Kanu wollte er den oberen Orinoco erforschen. An Bord: Humboldt, Bonpland, ihre Instrumente, ein Hund und einheimische Ruderer.

Humboldts handgezeichnete Karte des OrinokoBild: Botanisches Museum Berlin/Foto: Timothy Rooks

In 75 Tagen legten sie 2250 Kilometer zurück, meist durch unbewohntes Gebiet voller Krokodile, Boas, Jaguare und Stromschnellen. Sie hatten mit der hohen Luftfeuchtigkeit und mit Hunger zu kämpfen. Sie lebten von Reis, Flusswasser, von Ameisen, Maniok und – immer mal wieder – von Affenfleisch. Aus dem Wald hörten sie Tag und Nacht das Knurren, Summen und Brummen der Tiere. Sie trafen auf spanische Missionarssiedlungen und auf Eingeborenenstämme, sie sammelten tausende von Pflanzen und fertigten Notizen und Zeichnungen von Tieren an, obwohl ihre Hände und Gesichter von Mückenstichen stark geschwollen waren.

Einen kurzen Zwischenstopp beschrieb Humboldt einem Freund so: Es sei fast "unmöglich, am Tageslicht zu schreiben. Man kann die Feder nicht ruhig halten, so wüthig schmerzt das Gift dieser Insekten. Alle unsere Arbeit geschah beim Feuer in einem Theile der Indianischen Hütten, wo kein Sonnenstrahl eindringt und in die man auf dem Bauch kriecht. Dort erstickt man fast vor Rauch, aber leidet weniger von den Mosquitos."

Es war eine schmerzhafte und erschöpfende Reise, aber Humboldt konnte beweisen, dass es den Rio Casiquiare tatsächlich gab, ein Kanal der die Flusssysteme des Orinocos und des Amazonas verbindet. Humboldt war zwar nicht der Entdecker dieser Wasserstraße, aber seine Briefe und Karten markierten den genauen Verlauf und machten den Fluss der Öffentlichkeit bekannt. Dies war eine von Humboldts frühesten Erfolgen.

Auf Humboldts Spuren: Alles ist Wechselwirkung

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Die Anden: 1801-1803

Nach einem Abstecher nach Kuba kehrten die Reisenden auf das südamerikanische Festland zurück. Am 6. Juli 1801 erreichten sie Bogota, wo sie José Mutis kennenlernten, den berühmtesten Botaniker in den spanischen Kolonien. Mutis hatte eine umfangreiche botanische Sammlung und Humboldt war von seinem Wissen, seiner Bibliothek und seinem Team aus Künstlern beeindruckt. Mutis' meisterhafte Arbeit sollte Humboldt später zu seinen legendären Botanik-Büchern inspirieren. Nach zwei Monaten in der Stadt drang Humboldt tiefer in die Anden ein. Die Gebirgskette, die sich durch mehrere südamerikanische Länder zieht, war damals noch wenig erforscht.

Als er im Januar 1802 nach Quito kam, befand sich die Stadt nach einem schweren Erdbeben in einem traurigen Zustand. Trotzdem gab es ein blühendes gesellschaftliches Leben. Humboldt und seine Begleiter verbrachten rund acht Monate in der Region und begaben sich auf Expeditionen, um die umliegenden Vulkane Pichincha und Cotopaxi zu besteigen, zu zeichnen und zu vermessen. Dann folgte die Besteigung des höchsten Bergs von allen, des Chimborazos.

Seilbrücke in der Nähe von Penipe, Ecuador, im Jahr 1802Bild: Botanisches Museum Berlin/Foto: Timothy Rooks

Die weitere Reise führte südlich nach Peru, wo Humboldt und seine Begleiter Inka-Ruinen und die Überbleibsel eines Mammuts fanden. Sie nahmen Proben von Guano, einem stickstoffreichen Dünger, der aus den Exkrementen von Vögeln oder Fledermäusen gewonnen wird. Im September erfüllte sich ein Traum von Humboldt: Zum ersten Mal sah er den Pazifik. Von Lima aus segelten sie die Küste gen Norden Richtung Mexiko. An Bord schrieb Humboldt seine detaillierten Beobachtungen über den kalten Strom auf, der an der Küste Perus entlang nach Norden fließt und der wesentlichen Einfluss auf das globale Klima nimmt. Heute trägt diese Meeresströmung den Namen des deutschen Forschers: Humboldtstrom.

Mexiko: 1803-1804

Die Forscher erreichten Acapulco am 22. März 1803 und begaben sich nach Mexiko-Stadt – damals mit Abstand die größte Stadt in Lateinamerika. In Mexiko war Humboldt weniger an Pflanzen und Strömungen interessiert, stattdessen verbrachte er die meiste Zeit damit, alte Ruinen zu erforschen. Er interessierte sich vor allem für die indigenen Völker und die offiziellen Aufzeichnungen über sie, über die landwirtschaftliche Produktion, deren Geschichte und den Bergbau.

Während seiner gesamten Reise hatte Humboldt verschiedene Sprachen untersucht, die ihm unterwegs begegnet waren. Allein in Mexiko zählte er 35 Dialekte. Als er auf dem Orinoco unterwegs war, erfuhr Humboldt, dass in der Region rund 200 verschiedene Sprachen gesprochen wurden. Voller Bewunderung schrieb er dazu: "Wie oft habe ich Talent der Indianer bewundert, welche drei bis vier dieser ganz verschiedenen Sprachen geläufig redeten."

Alexander von Humboldt und Aime Bonpland am Wasserfall von Regla in Mexiko, 1803, aus seinem Buch "Vues des Cordilleres et monumens des peuples indigenes de l'Amerique"Bild: Botanisches Museum Berlin/Foto: Timothy Rooks

Humboldt, der Halb-Amerikaner

Nachdem die Forscher quer durch Mexiko gereist waren, kehrten sie nach Kuba zurück, um ihre Funde zu sortieren und sich auf die Rückreise vorzubereiten. Aber anstatt nach Spanien zurückzukehren, entschied sich Humboldt, eine letzte Station zu machen: die Vereinigten Staaten. Vermutlich wollte er es vermeiden, ein spanisches Schiff zu nehmen, da das Land wieder im Krieg mit Großbritannien war. Kriegsschiffe und Piraten waren unterwegs und Humboldt fürchtete wahrscheinlich um seine wertvolle Fracht. Was auch immer sein Grund war, nicht nach Spanien zu segeln, seine Reise führte ihn nach Philadelphia.

In Amerika hatte Präsident Thomas Jefferson gerade den Kauf von Louisiana abgeschlossen, der die Größe des Landes fast verdoppelte. Er war auf der Suche nach Fakten und Zahlen über das, was er gerade erworben hatte. Unterstützt durch Empfehlungsschreiben und eine Einladung nach Washington, war Humboldt mit seinen detaillierten Karten und den neusten Daten eine perfekte Quelle. Die beiden verstanden sich gut und wurden Freunde fürs Leben. Und Humboldt hatte ein Land erlebt, das seinem König den Rücken gekehrt hatte, ein Land wahrer Demokratie. Er war begeistert und bezeichnete sich später als "Halb-Amerikaner.”

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Nun aber war es an der Zeit, nach Hause zurückzukehren. Nach sechs Wochen verließ Humboldt die USA mit dutzenden Holzkisten, gefüllt mit Pflanzenarten, Gesteinsproben und anderen Artefakten, die er während seiner Reise gesammelt hatte. 

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Insgesamt war er fast fünf Jahre und zwei Monate unterwegs gewesen. Bevor sich Humboldt auf die Reise machte, hatte er einen Brief an seine Berliner Banker geschrieben, in dem er sein Reiseziel formulierte: "Ich werde Pflanzen und Thiere sammeln, die Wärme, die Elasticität, den magnetischen und electrischen Gehalt der Atmosphäre untersuchen, sie zerlegen, geographische Längen und Breiten bestimmen, Berge messen, aber dies alles ist nicht der Zweck meiner Reise. Mein eigentlicher, einziger Zweck ist, das Zusammen- und Ineinanderweben aller Naturkräfte zu untersuchen, den Einfluß der toten Nature auf die belebte Thier- und Pflanzenschöpfung."

Ein Detail aus Humboldts südamerikanischem Reisetagebuch von 1801, mit einer Zeichnung eines Quecksilberbarometers, das er mit sich führte. Hinweise zur Verwendung finden sich im BegleittextBild: Staatsbibliothek Berlin/Foto: Timothy Rooks

Humboldt erreichte all das und noch viel mehr. Der deutsche Abenteurer hatte zwar anfangs keine konkreten Pläne, aber das Schicksal führte ihn von der brütenden Hitze des Dschungels auf die schneebedeckten Berggipfel. Zweimal überquerte er den Äquator, er verbrachte rund 16 Monate im heutigen Venezuela und erforschte das Orinoco-Flussgebiet, er blieb weitere 22 Monate in Kolumbien und den Anden und fast ein Jahr in Mexiko.

Humboldt war nicht der erste Forscher, der Spanisch-Amerika bereiste. Aber er war der einzige, der seine Reise komplett selber finanzierte. Seine detaillierten Aufzeichnungen und seine universellen Interessen machten seine Reise zur der bedeutendsten seiner Zeit.

Es dauerte Jahre, bis er die Ergebnisse seiner Zeit in Südamerika sortieren und veröffentlichen sollte. Die Bücher, die er mit diesen Ergebnissen füllte, enthielten Fakten, Zahlen, Illustrationen und Karten, die das Bild der Europäer von den Kolonien nachhaltig veränderte.

Nach der Veröffentlichung seiner Arbeiten und Eindrücke konnte niemand mehr behaupten, dass Südamerika Europa unterlegen war. Die Bücher zeigten, dass die Natur auf dem Kontinent prachtvoll und voller uralter Artefakte war, was auf ehemals große Zivilisationen schließen ließ. Die Zukunft des Kontinents sah vielversprechend aus. Humboldts Veröffentlichungen trugen zu einem neuen Selbstvertrauen in Südamerika bei. Auch darum erklärte der berühmte Unabhängigkeitskämpfer Simon Bolivar den deutschen Forscher Humboldt zum "Entdecker der Neuen Welt".

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