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Humboldt Forum: Start mit Brüchen

Philipp Jedicke
16. Dezember 2020

Pünktlich zur Eröffnung des Humboldt Forums verschärft sich die Debatte um Berlins neues Prestige-Museum. Im Fokus der Kritik stehen Kunstwerke aus Afrika.

Außenansicht des Humboldt Forums, barocke Fassade an modernem Neubau
Mitten in Berlin: das Humboldt Forum auf der MuseumsinselBild: SHF/Christoph Musiol

Humboldt Forum eröffnet

02:35

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Ein Mammutprojekt öffnet seine Pforten: Das Humboldt Forum im Berliner Stadtschloss stellt sich am 16. Dezember der Öffentlichkeit vor - angesichts des aktuellen Corona-Lockdowns rein digital, versteht sich. Damit wird eine Idee, die noch in den 1990ern geboren und von Kulturstaatsministerin Monika Grütters einmal als "größtes Kulturprojekt Europas" bezeichnet wurde, endlich Wirklichkeit. Knapp 680 Millionen Euro sind in das umstrittene Museum im wieder aufgebauten Berliner Stadtschloss geflossen, das laut Selbstbeschreibung "ein neues Stück Berlin" sein will - ein Ort, an dem Kultur und Wissenschaft im Austausch sind; ein "Hub", wie es im anglophilen Akademikerjargon heißt.

Zum ambitionierten Programm der Kultur- und Wissenschafts-Drehscheibe sollen Veranstaltungen und Performances ebenso dazugehören wie das Humboldt Labor, eine Ideenwerkstatt, die dem Publikum Forschungen der Exzellenzcluster des Berliner Universitätenverbundes, der Berlin University Alliance und anderer Fachbereiche der Humboldt-Universität präsentiert. Und das Forum soll natürlich auch Ausstellungen beherbergen: zu seinen berühmten Namensgebern, zur Geschichte des Ortes, zu Berlin und seiner Rolle in der Welt sowie Dauerausstellungen mit den Sammlungen des Museums für Asiatische Kunst und des Ethnologischen Museums. 

Alt trifft auf Neu: das Foyer des Humboldt ForumsBild: SHF/Alexander Schippel

Kunstwerke mit problematischer Herkunft

Die ethnologische Sammlung soll ab 2021 in groß angelegten Ausstellungen präsentiert werden. Geplantes Herzstück werden die sogenannten Benin-Bronzen, die im Herbst 2021 von ihrem derzeitigen Standort, dem Ethnologischen Museum in Dahlem in Berlins Südwesten, ins Humboldt Forum und damit ins Herz der Hauptstadt umziehen sollen. Was harmlos klingt, ist in Wahrheit kulturpolitischer Zündstoff und sorgte wenige Tage vor der Eröffnung für große Aufregung - und das nicht zum ersten Mal.

Die Bronzen stammen aus dem Königreich Benin, einer vorkolonialen und hoch entwickelten Monarchie, deren Hauptstadt im Südwesten des heutigen Nigerias lag. 1897 war der britischen Kolonialmacht das Benin-Reich zu mächtig geworden, also legte sie es kurzerhand mit einer Strafexpedition in Schutt und Asche - davor plünderten die Briten jedoch die Paläste und nahmen alles mit, was nicht niet- und nagelfest war. 

Drei der Bronzen aus dem Königreich Benin, dem heutigen NigeriaBild: picture-alliance/dpa/D. Bockwoldt

Geraubte Geschichte eines Kontinents

In den Folgejahren gelangten die Bronzen über britische Auktionshäuser und Einzelhändler in den Besitz europäischer Museen. Bis heute herrscht zwischen den großen Häusern in London, Paris oder Berlin ein regelrechter Wettstreit darum, wer mehr beeindruckende Kunstschätze aus den großen Kulturen der Welt herzeigen kann. Laut Kunstexperten stehen mindestens 80 Prozent des kulturellen Erbes Afrikas in europäischen Museen - der Großteil davon verstaubt in den Depots. Bis zum Ende der Kolonialzeit wurden Kunstschätze aus den Kolonien als natürliches Eigentum der Kolonialherren betrachtet, doch seit einigen Jahrzehnten herrscht ein anderes Bewusstsein: Immer mehr ehemalige Kolonien sprechen von Raubkunst und Hehlerware und fordern ihr kulturelles Erbe zurück. 

Setzt sich für mehr Provenienzforschung ein: die Kunsthistorikerin Bénédicte SavoyBild: Thilo Rückeis/picture-alliance

Die renommierte französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy ist Expertin für Raubkunst und gehörte zur internationalen Fachkommission des Humboldt Forums. 2017 verließ sie das Expertengremium nach nur zwei Jahren, unter anderem weil ihr die Provenienzforschung der geplanten Ausstellungsstücke nicht schnell genug vorankam. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung sagte sie damals: "Ich will wissen, wie viel Blut von einem Kunstwerk tropft". Und sie ergänzte: "Ohne diese Forschung darf heute kein Humboldt Forum und kein ethnologisches Museum eröffnet werden".  

Immer wieder kritisiert Savoy die Provenienzforschung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die die ethnologische Sammlung verwaltet, zuletzt in einem Interview mit Moderator Jan Böhmermann im ZDF Magazin Royale.

Auf Rückfrage der DW antwortete die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) über ihre Presseabteilung, dass "nur für einige wenige Werke" von den rund 530 Objekten aus dem Königreich Benin die Herkunft "noch nicht definitiv nachvollziehbar" sei und dass Provenienzforschung zu den "täglichen Aufgaben" der SPK gehöre. Und auf der Website der Stiftung heißt es: "Bestände mit besonders kritischer Geschichte (...) werden möglichst vorrangig erforscht." Die Stellen der vier fest angestellten Provenienzforscher der Ethnologischen und Asiatischen Sammlung gibt es allerdings erst seit Ende 2019, und sie sind für insgesamt mehrere tausend Kunstwerke zuständig. 

Der Kolonialismus-Experte Jürgen Zimmerer bezeichnet die Tatsache, dass ein hochmodernes Museum wie das Humboldt Forum nun mit Kunstwerken eröffnen wird, deren Herkunft teilweise noch ungeklärt ist, als "Blamage" und sprach auf Twitter von einem "Aussitzen".

Mittlerweile hat sich auch die Politik eingeschaltet. Nigerias Botschafter Yusuf Tuggar forderte im August 2019 in einem Brief ans Auswärtige Amt die Rückgabe der Bronzen. Er wiederholte seine Forderung in einem offiziellen Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kulturstaatsministerin Monika Grütters am 9. Dezember - genau eine Woche vor der Eröffnung des Humboldt Forums. Für Berlins Kultursenator Klaus Lederer ist die Sache klar: "Wenn die Benin-Bronzen zurückgefordert werden, dann müssen sie zurückgegeben werden", sagte er gegenüber dem Tagesspiegel. Daran gebe es "keinen Zweifel". 

Debatte als Chance

Die Debatte, die nun schon mehrere Jahre andauert und kurz vor der Eröffnung des Humboldt Forums ihren Höhepunkt erreicht, steht exemplarisch für die großen Fragen rund um die Themen Raubkunst und Restitution, die Museen im 21. Jahrhundert umtreiben. Kulturstaatsministerin Monika Grütters sagte gegenüber der DW: "Dass (...) die Debatte um koloniale Kontexte angefeuert wurde, war überfällig und es ist gut, wenn das Humboldt Forum schon vor seiner Eröffnung genau das leistet." Und sie ergänzte: "Nach allem, was ich weiß, bin ich sehr zuversichtlich, dass wir auch neue Perspektiven auf dieses schwierige Thema dort finden werden."

Auch Bénédicte Savoy, mit die schärfste Kritikerin der geplanten Ausstellung, glaubt nach wie vor an das "riesige Potenzial", das das Humboldt Forum mit all seinen Ungereimtheiten und Brüchen hat - sofern diese Brüche konkret benannt werden und sie nicht nur als schmissige Slogans eingesetzt werden. 

 

Die digitale Eröffnung des Humboldt Forums findet am 16. Dezember von 19 bis 20 Uhr unter dieser Webadresse statt.

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