Hummerzucht
24. Dezember 2013
Der Baulärm stört die Wale, die Rotoren gefährden die Vögel. Offshore -Windparks haben in letzter Zeit die Naturschützer auf die Palme gebracht. Was aber, wenn ihre Fundamente zu einem neuen Lebensraum für nützliche Meerestiere würden, die sonst aus der Gegend weitgehend verschwunden sind?
Einst wurden um Helgoland 80.000 Hummer pro Saison gefangen erklärt Heinz-Dieter Franke, Biologe an der Biologischen Anstalt Helgoland (BAH). Der Hummer ist ein reiner Felsbewohner, und der Felssockel Helgolands ist hier weit und breit der einzige Felsen. Nach dem Krieg - in den 50er und 60er Jahren - sind die Bestände des Helgoländer Hummers aber stark zurück gegangen. Die Wissenschafter vermuten, dass Giftstoffe aus Treibstofflagern oder Munitionsrückstände auf der Insel, die auch nach Kriegsende bombardiert wurde, dafür verantwortlich waren. Heute fangen die Fischer von Helgoland nur noch 300 bis 500 Hummer pro Jahr.
Zu wenig Tiere zum Überleben
Trotz umfangreicher Schutzmaßnahmen haben sich die Bestände seitdem nicht mehr erholt: "Eine Tierart braucht eine gewisse Mindestdichte, um dauerhaft existieren zu können. Sobald diese unterschritten ist, haben sie Probleme, beispielsweise bei der Partnersuche", sagt Franke. "Wenn man große Mengen von Hummern in möglichst kurzer Zeit aufziehen und draußen aussetzen könnte, könnte man die Hoffnung haben, den Bestand anzuheben.
Dann könnten sich die Tiere aus eigener Kraft auf hohem Niveau erhalten, und langfristig auch erfolgreich in großen Mengen befischt werden."
In der riesigen Züchtungshalle der Biologischen Anstalt Helgoland schwimmen Schalentiere unterschiedlicher Farben und Größen in Einzelbecken - durchgängig mit frischem Meerwasser versorgt. In den letzten zwölf Jahren wurden hier im Rahmen eines Forschungsprogramms mehr als 12.000 Hummer aufgezogen und in der Nordsee ausgesetzt. Damit konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass eine Wiederansiedlung erfolgreich sein kann.
Allerdings ist die Zucht aufwändig. Weibchen, die von Fischern zugeliefert werden, produzieren bis zu 50.000 Eiern pro Tier pro Jahr. Daraus entwickeln sich Larven und dann kleine Schalentiere. "Die Hummer sind nachtaktive Tiere, die tagsüber in Felsspalten oder Höhlen des Felsbodens sich aufhalten, dem Licht aus dem Wege gehen. Hier in den Becken haben wir eine Abdeckung, und den Tieren wird in Form von Steinen oder Plastikröhren ein Ersatz für ihren Unterschlüpf geboten", erklärt Franke. Sie müssen voneinander getrennt gehalten werden, um tödliche Kämpfe zwischen den kleinen Kannibalen zu vermeiden.
Wiederansiedlung vor Ort statt Aquakultur
"Es gibt nirgendwo auf der Welt eine kommerzielle Aquakultur für Hummer", erklärt Franke. "Das Geld, das man in die Produktion stecken müsste, würde man selbst bei guten Verkaufszahlen nie wieder herausbekommen. Das einzige, was wir tun können ist, die natürlichen Hummerbestände so pfleglich zu behandeln, dass man sie langfristig nachhaltig fischen kann."
In der deutschen Bucht findet man hauptsächlich Sand- und Schlickböden, die den Hummern keine Bleibe bieten. Mit dem Bau von Windparks auf hoher See entstehen am Meeresgrund aber neue Strukturen, denn die einzelnen Windkraftanlagen werden am Boden von Steinfeldern umgeben. Wo andere Tiere sich von Rotorenblättern und Lärm besser fernhalten sollten, könnten diese den Hummern jedoch eine neue Heimat bieten.
Hummerheimat als Ersatz für Umweltschäden
Das Land Niedersachen fördert ein dreijähriges Pilotprojekt zur Ansiedlung des Europäischen Hummers im Offshore-Windpark "Riffgat". Die BAH-Forscher wollen 3000 Hummer züchten und im Jahr 2014 auswildern. Die 700.000 Euro für das Projekt stammen aus der Ersatzgeldzahlung, die nach Naturschutzrecht für den Bau des Windparks fällig wurde. Die Junghummer wird die Wissenschaftlerin Isabel Schmalenbach vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) mit Tauchern voraussichtlich im August 2014 im Windpark aussetzen. In den Folgejahren werden sie dann untersuchen, wie sich die Jungtiere ansiedeln, wie sich andere Großkrebse und Fische entwickeln und ob wilde Hummer zuwandern. Die Ergebnisse werden mit einem Referenzgebiet verglichen.
Das neue Zuhause für die Schalentiere steht schon bereit: Der Windpark "Riffgat" des Energieversorgers EWE mit 30 Windkraftanlagen wurde in diesem Sommer fertig gestellt. Der Anschluss an das Stromnetz steht allerdings noch aus. Munitionsreste am Meeresboden verhinderten die planmäßige Verlegung des Seekabels. 2014 rechnet der Netzbetreiber Tennet mit der Fertigstellung des Netzanschlusses.
Strom für Heim und Herd liefert der Windpark also noch nicht. Und bis die ersten Hummer von der Windanlage im Kochtopf landen, dauert es sowieso noch einige Jahre, da die Schalentiere sehr langsam wachsen und erst mit acht Jahren geschlechtsreif sind.
Heinz-Dieter Franke und seinen Kollegen geht es aber in erster Linie nicht um den kommerziellen Nutzen der Hummer. "Auf dem Helgolander Felssockel ist er ein wichtiges Glied in der Lebensgemeinschaft. Er ist der oberste Regulator in dem System. Das basiert auf seinem sehr breiten Nahrungsspektrum." Ohne Hummer würden auch viele andere Arten verschwinden: "Insofern ist es unser primäres Interesse auch aus ökologischen Gründen, den Hummer auf möglichst hohen Bestand hier zu etablieren."