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Politik

Hunderte Neonazis abgetaucht

7. Januar 2017

In Deutschland fahndet die Polizei nach hunderten Rechtsextremisten. Laut Innenministerium ist 2016 die Zahl offener Haftbefehle stark gestiegen. Experten sehen die Gefahr rechtsterroristischer Strukturen.

Dortmund Rechtsextremisten Neonazis 2009
Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

Bundekanzlerin Angela Merkel hat es gerade erst in ihrer Neujahrsansprache gesagt: Die schwerste Prüfung für Deutschland ist der islamistische Terrorismus. Aber: Terror in Deutschland muss nicht islamistisch sein. Er kann auch von links kommen - oder wie es der NSU bewiesen hat: besonders von rechts. Im Dezember teilte das Bundesinnenministerium als Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bundestagsabgeordneten der Linken mit, es lägen knapp 600 offene Haftbefehle gegen Neonazis vor. Allein 403 Haftbefehle entfielen auf die ersten zehn Monate des Jahres 2016. Insgesamt richteten sich die Haftbefehle gegen 454 Personen, die - so der Behördenjargon: "wegen entsprechender polizeilicher Erkenntnisse dem Phänomenbereich Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) rechts - zugeordnet würden". Nicht alle werden wegen politisch motivierter Straftaten gesucht. Aber bei immerhin 92 dieser gesuchten Rechtsextremisten basierte der Haftbefehl tatsächlich auf einem politisch motivierten Delikt.

Seit 2015 verboten: die rechtsextreme Old School Society Bild: picture alliance/AP Photo

Abtauchen fördert Radikalisierung

Für den Rechtsextremismusforscher Matthias Quent aus Jena wächst mit der Anzahl abgetauchter Neonazis auch die Gefahr neuer rechtsterroristischer Strukturen. Im Gespräch mit der DW betont Quent, das Abtauchen könne zu einer weiteren Radikalisierung führen und dazu, dass politische Ziele noch entschiedener mit Gewalt verfolgt würden.

Dem entspricht, dass der jüngste Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums von einem "exorbitanten Anstieg rechtsextremistischer Gewalt" spricht. "Die Anti-Asyl-Agitation schafft einen Resonanzboden für rechtsextremistische Ideologiefragmente. Der Rechtsextremismus gewinnt an Anschlussfähigkeit", fahren die Autoren fort. Mit dem Ergebnis, dass sich rechtsextremistisch motivierte Straf- und Gewalt­taten gegen Asylbewerberunterkünfte im Jahr 2015 gegenüber 2014 mehr als verfünffacht haben. Festgestellt wird auch, dass die rechtsextre­mistische Szene nach jahrelangem Rückgang wieder Zulauf erhält. Das rechtsextremistische Personenpotenzial wird mit knapp 23.000 Menschen beziffert.

Diskurs ist enthemmt

So wie es in Frankreich nach den islamistischen Terroranschlägen zu Überfällen auf Moscheen kam, kann auch die Todesfahrt vom Berliner Breitscheidplatz die Stimmung in rechten Kreisen weiter anheizen. Der Jenaer Extremismusforscher Matthias Quent jedenfalls hat in Sozialen Netzwerken bereits beobachtet, dass die verbale Gewaltschwelle gesunken ist. "Der Diskurs ist unheimlich enthemmt", stellt Quent im Gespräch mit der DW fest. "Wenn die Wahrnehmung ist, dass der Staat nicht mehr in der Lage ist, die Grenzen oder auch die Bevölkerung vor Terror zu schützen, dann steigt die wahrgenommene Legitimität, sich selber zu organisieren, selber zu Gewalt zu greifen, sich selber zu bewaffnen", so der Forscher aus Jena.

Bewaffnen kann man sich zum Beispiel im Internet. Eine in Russland registrierte deutschsprachige Webseite unter dem markigen Titel "Migrantenschreck" bietet zum Beispiel Armbrüste an oder Gewehre für Hartgummigeschosse. "Fulminante 130 Joule Mündungsenergie sprechen für sich und garantieren den Einsatzerfolg dieses Produktes", heißt es in der Beschreibung einer 749 Euro teuren Waffe. Der Betreiber des illegalen Internetshop gehört zum Kreis der abgetauchten Neonazis: Mit Mario Rönsch haben sich schon mehrere deutsche Staatsanwaltschaften beschäftigt. Gesucht wurde Rönsch zum Beispiel wegen des Verdachts der Volksverhetzung und des Aufrufs zu Straftaten. Jetzt soll sich Rönsch in Ungarn aufhalten, von wo aus er seinen schwunghaften Waffenhandel betreibt. In Ungarn sind die von Rönsch angebotenen Waffen legal. Der Export nach Deutschland allerdings ist verboten. Friedliche Absichten kann man Rönsch ohnehin nicht unterstellen. Auf der Webseite wird in Videos der Einsatz der Waffen demonstriert: Zerschossen werden dabei Bilder deutscher Spitzenpolitiker.

Illegaler Versand von Schusswaffen mit zynischen ProduktbeschreibungenBild: migrantenschreck.ru

Europaweite Zunahme

Europaweit, so beobachtet die Anti-Terroreinheit von Europol, versuchten rechtsextreme Gruppe, die Flüchtlingskrise für ihre Ziele zu nutzen. Die Europol-Beamten registrieren auch einen signifikanten Zuwachs rechtsextremer Webseiten in der gesamten Europäischen Union. Wie bei anderen Formen des Extremismus und der Radikalisierung spielen auch im Rechtsextremismus soziale Netzwerke eine zentrale Rolle. "Die Unterstützung, die sich potenzielle Gewalttäter für ihre anschließenden Gewalttaten holen, kommt sehr häufig aus den Sozialen Medien", stellt Ulrich Wagner im Gespräch mit der DW fest. Diese Unterstützung, so der Sozialpsychologe aus Marburg, speise sich entweder aus Interaktionsplattformen oder aber auch ganz banal aus der wiederholten Rezeption bestimmter Gewalttaten. "Gewalttäter lernen auch am Modell, wie man so etwas macht", sagt Wagner. "Und die Bilder stehen ja im Netz zur Verfügung."

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