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Politik

Hungerkrise in Tigray spitzt sich zu

30. Juli 2021

In der äthiopischen Konfliktregion droht über 100.000 Kindern in den nächsten zwölf Monaten eine lebensbedrohliche Unterernährung. Das UN-Kinderhilfswerk schlägt Alarm und fordert freien Zugang für Hilfskonvois.

 Äthiopien I Hungerkrise in Tigray
Eine Frau mit unterernährtem Kind sucht in einem Behandlungszelt in der Region Tigray HilfeBild: AP

"Unsere schlimmsten Befürchtungen hinsichtlich Gesundheit und Wohlbefinden der Kinder in der umkämpften Region Tigray im Norden Äthiopiens haben sich bestätigt", erklärte in Genf die Sprecherin des UN-Kinderhilfswerks UNICEF, Marixie Marcado, nachdem sie von einer Reise in das afrikanische Land zurückgekehrt ist. Nach Gesundheitsdaten, die von Hilfsorganisationen zusammengetragen wurden, seien knapp 18 Prozent der Kinder mäßig bis schwer unterernährt. Die Schwelle zu einem Notstand liege bei 15 Prozent. Eine von zwei untersuchten schwangeren und stillenden Frauen in der seit Monaten kaum zugänglichen Region seien akut unterernährt, so dass sie und ihre Babys anfällig für Krankheiten seien.

Es bestehe hohe Gefahr für den Ausbruch von Seuchen, besonders in überfüllten Flüchtlingslagern ohne zureichende Sanitäreinrichtungen, erklärte das Hilfswerk. Erschwerend hinzu komme ein Wiederaufflammen von Kämpfen in den benachbarten Verwaltungsregionen Afar und Amhara. Dort stünden bereits fast 1,5 Millionen Menschen vor akutem Hunger. Humanitäre Organisationen brauchten freien Zugang nach Tigray und in die anderen Konfliktregionen und müssten dort ungehindert arbeiten können, forderte die UNICEF-Sprecherin.

Im Dorf Baker in Tigray lässt die Amhara-Regierung Weizen an Bedürftige verteilen Bild: Eduardo Soteras/AFP

Auch das UN-Büro für humanitäre Hilfe (OCHA) ist der Ansicht, dass sich die Hungerkrise in Tigray verschärft. Rund 5,2 Millionen Menschen in der nördlichen Region Äthiopiens könnten sich nicht mehr selbst ernähren, erklärte der Sprecher des Büros, Jens Laerke, in Genf. Viele der hungernden Menschen seien von Hilfslieferungen abgeschnitten.

Viel zu wenige Lastwagenladungen

Der letzte Konvoi aus 50 Lastwagen habe die Stadt Mekelle am 12. Juli erreicht. Das sei bei weitem zu wenig, erklärte OCHA: "Um den aktuellen Bedarf zu decken, sind wöchentlich 500 bis 600 Lastwagenladungen nötig." Das Welternährungsprogramm teilte gleichzeitig mit, dass ein Hilfszug mit 200 Trucks auf dem Weg in die Konfliktregion sei. Die Zentralregierung unter Premierminister Abiy Ahmed hatte den Helfern mehrmals den Zugang zu den notleidenden Menschen versprochen. Allerdings klagen die Helfer weiter über mangelnden Zugang.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell wirft der äthiopischen Regierung vor, Hunger als Waffe gegen die Bevölkerung in Tigray einzusetzen. Lastwagen mit überlebenswichtigen Nahrungsmitteln würden offenbar gezielt an der Weiterfahrt in die Konfliktregion gehindert. Man könne sich "immer weniger der Folgerung erwehren, dass der Zugang zu Nahrung als Kriegswaffe eingesetzt wird", schrieb Borrell auf Twitter. Die Verantwortung liege bei der äthiopischen Regierung.

Die Regierung des nordostafrikanischen Landes hatte im November eine Militäroffensive gegen die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) begonnen, die bis dahin in der gleichnamigen Region an der Macht war. An den Kämpfen waren auch Truppen aus Eritrea beteiligt, die sich mit der äthiopischen Zentralregierung verbündet hatten. Berichten zufolge kam es im Zuge des Konflikts von unterschiedlichen Seiten wiederholt zu Gräueltaten an der Zivilbevölkerung.Nach ersten Geländeverlusten konnte die TPLF inzwischen den größten Teil der Provinz zurückerobern.

Hintergrund sind jahrelange Spannungen zwischen der TPLF und der Zentralregierung. Die TPLF dominierte Äthiopien mehr als 25 Jahre lang, bis Regierungschef Abiy 2018 an die Macht kam und die TPLF hinausdrängte. Viele Menschen in Tigray fühlen sich von der Zentralregierung nicht vertreten und fordern mehr Autonomie. Im Vielvölkerstaat Äthiopien mit seinen rund 112 Millionen Einwohnern gibt es etliche ethnische Spannungen, die unter Abiy gestiegen sind.

Hunderttausende auf der Flucht

Der gegenwärtige Konflikt hat bereits Hunderttausende Menschen in die Flucht getrieben und große Zerstörung angerichtet. Zu Beginn der Gewalt im November hatten laut OCHA Heuschreckenschwärme bereits ein Viertel der Ernte in Tigray aufgefressen. Mehr als 90 Prozent der verbliebenen Erträge seien seitdem geplündert, verbrannt oder anderweitig zerstört worden.

Eritreische Flüchtlinge protestieren vor einem UN-Büro in Addis Abeba gegen Angriffe auf Flüchtlingslager Bild: Tiksa Negeri/REUTERS

Alle wichtigen Zugangsstraßen aus der Amhara-Region seien gesperrt, wichtige Brücken unpassierbar, erklärte OCHA. Auch in den Flüchtlingslagern in Tigray, in denen Menschen aus dem Nachbarland Eritrea leben, seien die Lebensmittelvorräte knapp. Helfer in Tigray und anderen Teilen Äthiopiens sprechen von einer katastrophalen Lage und sehen sich selbst Angriffen ausgesetzt. Ihnen werde vorgeworfen, im Konflikt nur eine Seite zu bevorteilen. "Das verschärft die Herausforderungen für humanitäre Aktionen nur noch und bremst lebensrettende Hilfe aus", warnte OCHA.

kle/wa (epd, rtr, dpa, kna)

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