IAEA-Chef Grossi: Iran könnte sein Atomprogramm fortsetzen
29. Juni 2025
Der Iran könnte nach Einschätzung des Chefs der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) trotz der jüngsten Angriffe auf die Atomanlagen "innerhalb weniger Monate" mehrere Zentrifugenanlagen zur Anreicherung von Uran wieder in Betrieb nehmen. Die Kapazitäten seien vorhanden, sagte Rafael Grossi dem US-Sender CBS News.
Irans Außenminister Abbas Araghtschi hatte erklärt, die Schäden an den iranischen Atomanlagen nach den israelischen und US-Angriffen seien "erheblich". US-Präsident Donald Trump sagte, die Angriffe hätten Irans Atomprogramm um Jahre zurückgeworfen.
Gibt es noch atomwaffenfähiges Uran im Iran?
Abgesehen von einer möglichen schnellen Anreicherung sei unbekannt, was nach den Bombardements aus den schätzungsweise gut 408 Kilogramm Uran geworden sei, die der Iran bereits auf einen hohen Grad von 60 Prozent angereichert hatte. "Wir wissen nicht, wo dieses Material sein könnte", räumte der IAEA-Chef ein. Weiter angereichert auf 90 Prozent, würde dieses Uran für mindestens neun Atombomben reichen.
Ein Teil davon sei womöglich bei den Angriffen zerstört worden, "aber etwas davon könnte fortgebracht worden sein", sagte Grossi in dem CBS-Interview. Der Verbleib des atomaren Materials müsse noch geklärt werden.
Atomprogramm als Kriegsgrund
Die IAEA ist vor allem daran interessiert, den Verbleib von beinahe waffenfähigem Uran im Iran zu verifizieren. Die UN-Organisation habe seit Beginn der Feindseligkeiten die Kontrolle über sensibles nukleares Material im Iran verloren, erklärte Grossi.
Israel hatte am 13. Juni einen Großangriff auf den Iran gestartet und dies mit dem fortgeschrittenen iranischen Atom- und Raketenprogramm begründet. Der Iran überzog Israel daraufhin mit massiven Angriffswellen. Die USA griffen schließlich vor gut einer Woche in den Krieg zwischen Israel und dem Iran ein und bombardierten die iranischen Atomanlagen Fordo, Natans und Isfahan. Am Dienstag trat nach zwölf Tagen Krieg eine Waffenruhe zwischen Israel und dem Iran in Kraft.
Internationale Zusammenarbeit
Als Reaktion auf die israelischen und US-amerikanischen Angriffe auf die Atomanlagen hatte Irans Parlament zuletzt für eine Aussetzung der Zusammenarbeit mit der IAEA gestimmt, bis die "Sicherheit" der nuklearen Anlagen gewährleistet sei. In einem Lagebericht betonte Grossi, die Inspektionen müssten fortgesetzt werden. Er wies darauf hin, dies sei laut einem Vertrag zwischen seiner Organisation und dem Iran vorgeschrieben.
Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte, er hoffe, dass Teheran an den Verhandlungstisch zurückkehre. Frankreich gehörte zu den Ländern, die 2015 das internationale Abkommen mit dem Iran unterzeichnet hatten, das dessen Atomprogramm einschränkte. Nachdem die USA unter der ersten Präsidentschaft von Trump 2018 aus dem Vertrag ausgestiegen waren, hielt sich auch der Iran schrittweise nicht mehr an die Abmachungen.
Todesdrohung gegen Grossi
Der Iran warf der Internationalen Atomenergiebehörde vor, mit einem Bericht den Krieg mit Israel ausgelöst zu haben. In einer Resolution hatte die Wiener UN-Behörde formell festgestellt, dass Teheran gegen seine Verpflichtung verstoßen habe, sein gesamtes Atomprogramm offenzulegen. Die IAEA-Resolution wurde verabschiedet, nachdem sich Teheran jahrelang geweigert hatte, geheime Atom-Aktivitäten in der Vergangenheit aufzuklären. Vor diesem Hintergrund hat eine iranische Zeitung die Todesstrafe für den IAEA-Chef gefordert.
US-Außenminister Marco Rubio schrieb im Kurznachrichtendienst X, die Forderungen nach "Verhaftung und Hinrichtung" seien "inakzeptabel und müssen verurteilt werden". Auch das argentinische Außenministerium verurteilt die Todesdrohungen gegen Grossi, der selbst Argentinier ist. Das Ministerium in Buenos Aires rief die iranischen Behörden dazu auf, die Sicherheit von Grossi und dessen Mitarbeitern zu garantieren und "von jedweder Handlung Abstand zu nehmen, die das IAEA-Team gefährden könnte".
Die iranische Tageszeitung "Kayhan" begründete den unverhohlenen Gewaltaufruf mit der Behauptung, Grossi habe "für Israel spioniert". Die Zeitung wird im Land als staatliches Propagandablatt eingestuft. Ihr Herausgeber Hussein Schariatmadari gilt als radikaler Islamist.
fab/se (dpa, afp, ap)