Eine Polin als Merkel-Double
9. März 2017Sie gestikuliert wie Angela Merkel, sie formt die Hände zur Raute, sie ordnet den typischen Merkel-Pony - ganz wie das Original. Im Schrank stehen Berge von Schuhen, hängen bunte Jacketts, stapeln sich die Handtaschen und warten zig Halsketten auf ihren Einsatz - vieles in ihrem Haus nahe Köln erinnert an die berühmte Politikerin. Doch am Türschild steht nicht Angela Merkel, sondern Ursula Nawa-Wanecki.
Dann gehe ich halt als Kanzlerin
Wer hätte geahnt, dass die bescheidene Steuerfachfrau aus Polen, die seit 1985 in Deutschland lebt, einmal zum gefragtesten Double von Kanzlerin Merkel würde? Und als solche zum Höhenpunkt der Geburtstagsfeier eines russischen Oligarchen auf dem Schloss Elmau? Oder - umgeben von explodierenden Autos und surrenden Hubschrauberpropellern - zur Hauptperson in der TV-Serie "Du bist die Kanzlerin" bei Galileo.tv?
Alles begann mit einem Karnevalskostüm
Waneckis Kanzlerinnen-Karriere begann per Zufall. "Ich wollte Karneval eigentlich einen indischen Sari anziehen", erinnert sich die propere Frau. Doch brachte die Post anstelle des Kleides einen kleinen Ballen Polyesterstoff. "Ich stellte mich vor den Spiegel. Mir blieb nichts andres übrig, als Frau Kanzlerin zu gehen." Sie landete einen Volltreffer! So schickte sie eine Bewerbung an eine Double-Agentur - und wurde abgelehnt, wegen "zu knapper Ähnlichkeit".
Im Zug nur erster Klasse
Dann der Anruf während des Wahlkampfs zum Bundestag 2013: Gesucht wurde ein Double für Wahlkampfspots in ZDF und RTL. Ähneln Sie wirklich so sehr der Kanzlerin?", fragte ihr künftiger Manager Jochen Florstedt. Die ersten Aufnahmen fanden in einem "deutschen Durchschnittshaushalt“ statt. Dann gibt sich "Frau Bundeskanzlerin" die Ehre.
"Es ging alles viel zu schnell", erzählt die 56-Jährige auf der Fahrt in ihr Lieblingscafé. In einem fort grüßt sie winkende Menschen. In der Umgebung von Olpe kennt man seine "Angie". Nach Berlin fährt sie mit dem Zug ausschließlich in der ersten Klasse. "Nicht wegen des Luxus", schmunzelt sie, "besonders freitags sind die Züge voller jungen Menschen. Die kommen einfach auf mich zu und bitten um ein Selfie".
In Berlin ist Ursula Wanecki alias Angela Merkel sehr schnell heimisch geworden. Immer wieder fragen Taxifahrer: "Wohin, Frau Kanzlerin?“
Der Reifungsprozess
Das Amt hat sie geformt, glaubt Ursula Nawa-Wanecki: "Dieses Doubeln beeinflusste meine Entwicklung, intellektuell wie politisch", sinniert sie. Zwar habe die Politik in ihrem Leben schon immer eine Rolle gespielt, aber nach Jahren ihrer "Kanzlerschaft" sieht sie vieles aus einer anderen Perspektive. Sie lernte mit der "Kanzlerin" zu leben. Bei ihren Auftritten wird sie mit Ratschlägen überhäuft, wohin sie das Land führen sollte.
Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise verzichtete sie auf viele Auftritte. Sie hatte Angst. "Ich habe Messen und Festivitäten gemieden, aus Angst vor Gaffern. Und es war auch gut, dass mein Mann bei mir war."
Wie reagiert die Kanzlerin?
Als "Berufspolitikerin" wählt Ursula Nawa-Wanecki ihre Events sorgfältig aus. Auf jeden Fall will sie vermeiden, dass das Ansehen der echten Kanzlerin leidet. So lehnte sie etwa einen Auftritt bei dem Satiriker Jan Böhmermann ab. Geplant waren Nacktszenen. "Ich lehne so was kategorisch ab", sagt Ursula Wanecki. Einige Male ließ sie sich dann doch erweichen, etwa von dem Lesben-Magazin "Straight“, für das sie in die Merkel-Rolle schlüpfte. Der Medienrummel war enorm.
Es wundert kaum, dass Ursula Nawa-Wanecki zu einem Foto-Shooting für die Zeitungen "Le Monde" und "Die Zeit" mit der weltberühmten Fotografin Alison Jackson eingeladen wurde. Dabei entstanden Fotos, die die "Frau Kanzlerin" und den "Präsidenten Hollande" in pikanter Pose zeigten. Die Auflage war schnell vergriffen.
"Sie hat verblüffende Ähnlichkeit mit Frau Merkel und natürlich Talent", sagt Manager Florstedt. Einzig der polnische Akzent entlarvt sie als Kopie. Doch auch das vermag Ursula Wanecki zu ihrem Vorteil umzumünzen. Bei einem Auftritt scherzte sie, bei ihr zuhause werde immer Deutsch mit polnischem Akzent gesprochen. Schließlich habe sie polnische Wurzeln. Und tatsächlich hieß Merkels Großvater Kazmierczak und stammte aus Posen. Während sie das sagte, lächelte sie still in sich hinein und senkte den Blick auf ihre kurzgeschnittenen Fingernägel. Genau wie die Kanzlerin.