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'Generación Y'

31. Mai 2011

Die kubanische Bloggerin Yoani Sánchez nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie vergleicht Kuba mit einem baufälligen Haus, das bald einstürzen wird. Ein langer, qualvoller Weg für die Menschen.

Yoani Sànchez, bekannteste kubanische Bloggerin (Archivbild: dpa)
Yoani Sànchez, bekannteste kubanische BloggerinBild: picture-alliance/ dpa

Es gibt Lektionen, die lernen wir auch ohne dass ein Lehrer sie uns beibringen muss. Das sind Lektionen, die flüsternd in der Familie weitergegeben werden. Das ist ein Wissen, das jeder von uns hat. Und genau deshalb wusste ich schon als Jugendliche Anfang der 1980er Jahre, dass wir Kubaner nur als staatlich organisierte Gruppe eine Stimme haben dürfen. Wir mussten Mitglied bei staatlichen Organisationen werden; wenn wir aber unsere eigene Gruppe, unseren eigenen Verein, gründen wollten, wurden wir bestraft - und wieder hatten wir unsere Lektion gelernt.

Kuba: Die "Damen in Weiß", Mütter und Ehefrauen von politischen Inhaftierten demonstrieren (2010)Bild: AP

Als Kinder wurden wir automatisch Mitglied der Jungen Pioniere, mit 14 Jahren wurden die Mädchen bei der Frauenvereinigung eingeschrieben. Die Nachbarn gingen zu den Komitees zur Verteidigung der Revolution, die Arbeiter wurden Teil der landesweiten Gewerkschaft. Für die Studenten gibt es eine nationale Organisation, genauso wie für die Bauern. Wir alle tauchten auf den Mitgliedslisten diverser Staatsvereine auf - allerdings stand keiner davon für unseren Wunsch nach Mitbestimmung; sie alle sollten Anordnungen von oben nach unten an uns weitergeben.

Ich wollte integriert sein

Das kleine Mädchen, das ich damals war, war beeindruckt von den jährlichen Revolutionsfeiern. Alle Massenorganisationen wurden zum Platz der Revolution gerufen und aus der Mitte der Menge begannen die Gesänge, in die alle einstimmten: "Kuba ja! Yankees nein!" oder "Fidel weiß genau, wie man die Yankees zur Hölle jagt".

Jedes Mal, wenn man sich um einen Job bewarb, um die Zulassung an der Universität, oder um das Recht ein Haus zu kaufen, musste man ein langes Formular ausfüllen. Alles drehte sich um die Frage, in welchen Staatsvereinen man sich engagierte. Die Liste begann - natürlich - mit den wichtigsten Organisationen: Der Kommunistischen Partei oder der Union Junger Kommunisten. Wenn ich heute daran denke, wie ich ganz automatisch meine Kreuze neben all die Abkürzungen wie OPJM, CDR oder FMC gesetzt habe, kommt mir das alles lächerlich vor. Ich funktionierte wie ein Automat, ohne jede Überzeugung wollte ich einfach nur ein so genannter "Integrierter Mitbürger" sein. Also jemand der überall mitmachte, ein ganz "normaler Revolutionär".

Die Wahrheit kommt ans Licht

Screenshot des Blogs Generacion YBild: http://desdecuba.com/generaciony/

Ich kann mich nicht genau an den Moment erinnern, als ich plötzlich unbedingt meine eigene Meinung sagen wollte, als ich Dinge sagen wollte, die anders waren als die vielen Slogans. Jetzt wollte ich zu einer Gruppe gehören, die echte gemeinsame Interessen verbindet. Ich weiß allerdings genau, dass ich ab dem Moment, als ich anfing meine Meinung zu sagen, Probleme bekam. Ich war an der Uni und gab eine Zeitschrift heraus. Der Titel: "Buchstabe für Buchstabe". Das war eine alternative Publikation mit einer Mischung aus Lyrik, persönlichen Essays und Prosatexten. Irgendwann wurde ich zum Dekan der Uni gerufen. Er sagte mir, ich könne "das Zeug" nicht mehr unter den Studenten verteilen.

Trotz dieses Zusammenstoßes mit der Uni-Leitung glaubte ich weiter an eine Legende der Regierung: "Die politischen Häftlinge in Kuba sitzen im Gefängnis, weil sie Agenten des Imperialismus sind." Die Wahrheit kam schließlich während des "Schwarzen Frühlings" 2003 ans Licht. Innerhalb von zwei Wochen wurden 75 Regimekritiker festgenommen und zu 15 bis 28 Jahren Haft verurteilt. Der Grund: Sie hatten ganz einfach ihre Meinung gesagt und sich in nicht-staatlichen Gruppen organisiert. In Gruppen, die auf gemeinsamen Interessen beruhten. Ich kannte einige von ihnen und wusste, was sie besaßen: Schreibmaschinen, Kassettenrekorder, Wörter.

Rache des Staates

Yoani Sànchez, kubanische Bloggerin hinter ihrem LaptopBild: AP

Kurze Zeit später wurde ich selbst zum "Söldner des Imperialismus" gestempelt. Aus einem einfachen Grund: Ich war so dreist, mit meinem Blog "Generación Y" online zu gehen. In dem Blog schreibe ich über meine alltäglichen Beobachtungen in meiner Umgebung.

Allein die Tatsache, dass ich meine Meinung öffentlich äußere, dass ich darauf hinweise, dass all diese Massenorganisationen im Land uns eher kontrollieren, anstatt uns zu repräsentieren, hat mir schwere Sanktionen eingebracht. Bis heute darf ich mein Land nicht verlassen - Rache des Staates, weil ich öffentlich der Regierung widersprochen habe. Es gibt Menschen, deren Job darin besteht, mir auf der Straße zu folgen und mich zu beobachten. Mein Telefon wird abgehört, und vor meinem Haus sehe ich meine Beobachter in ständiger Alarmbereitschaft warten.

Meinungsvielfalt darf keine Straftat sein

Seit vielen Jahren stimme ich nicht mehr ein in die Slogans der Regierung und ich gehöre auch keiner staatlichen Organisation mehr an. Ich bin ein freier Bürger. Ein freies Radikal. Mein Blog - meine politische Plattform - beschränkt sich auf eine Forderung: Meinungsvielfalt darf keine Straftat mehr sein!

Von diesem Ziel sind wir allerdings weit entfernt. Trotz der Öffnung ist Kritik nach wie vor unerwünscht - egal, ob dabei das Management eines Ministers oder der Lehrplan für Schulen in Frage gestellt wird. Und ganz sicher kann niemand auch nur daran denken, eine unabhängige Partei zu gründen. In Kuba könnte man nicht einmal einen "Verein der Salamanderfreunde" gründen.

Vita
Yoani Sánchez, Kubanerin, betreibt das Blog "
Generación Y", das sich vor allem mit dem schwierigen Alltagsleben in Kuba beschäftigt. 2008 hat Yoani Sánchez mit ihrem Blog den Hauptpreis in der Kategorie "Best Blog" bei den BOB-Awards der Deutschen Welle gewonnen. Die 35jährige Philologin lebt in Havanna.


Autorin: Yoani Sánchez
Redaktion: Claudia Herrera / Ulrike Mast-Kirschning

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