1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Ich bin kein Erdogan-Fan, aber…"

3. März 2017

Selten war das deutsch-türkische Verhältnis so eisig wie jetzt nach der Absage von Wahlkampfauftritten türkischer Minister in Deutschland. Was denken die Türken hierzulande darüber? Jeannette Cwienk aus Köln Ehrenfeld.

Köln Ehrenfeld Türkische Geschäfte
Die Venloerstraße in Köln EhrenfeldBild: DW/J. Cwienk

Köln Ehrenfeld, ein Viertel nördlich der Innenstadt, hat einen eher rauen Charme: Seelenlose 50er-Jahre-Bauten stehen neben pittoresken Arbeiterhäusern aus der Gründerzeit, dazwischen ehemalige Gewerbe- und Industriegebäude. Bunt gemischt ist auch die Bevölkerung. Bis in die 90er-Jahre galt der Stadtteil als Klein-Istanbul, heute ist er auch bei Nicht-Türken angesagt, die Mieten steigen.

Am Eingang zum Stadtteil empfängt einen die Baustelle der imposanten Zentralmoschee der Ditib (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion). Aber auch die Kindermusikschule "Zwergenklang" gibt es hier sowie vegane Eisbuden. Gerade hat ein Unverpackt-Laden eröffnet. Trotz der vielen neuen Länden: Die Venloer Straße, die Haupteinkaufsstraße des Stadtteils, bleibt deutlich türkisch geprägt. Supermärkte, Restaurants, Schneider, Friseure, Juweliere, Klamottengeschäfte - vieles ist in der Hand von Türken und Deutschen mit türkischen Wurzeln.

"Die Türkei driftet in Richtung Diktatur"

In einer Imbissstube komme ich ins Gespräch mit dem Inhaber. Noch ist es ruhig, Gäste sind gerade keine da. Wie er die Absage an den Wahlkampfauftritt des türkischen Justizministers Bekir Bozdag im süddeutschen Gaggenau sieht, will ich wissen. Richtig, sagt er. Politiker, die es mit der Meinungsfreiheit im eigenen Land nicht so genau nähmen, sollten sich nicht auf die Meinungsfreiheit in einem anderen Land berufen.

Seinen Namen möchte er nicht nennen - als Geschäftsmann müsse man vorsichtig sein. Mit den Plänen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, ein Präsidialsystem in der Türkei einzuführen, ist er nicht einverstanden. Das Land rücke immer näher an eine Diktatur, sagt er. Er selbst könne bei der Volksabstimmung leider nicht gegen das Präsidialsystem stimmen, da er die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen habe. 

Kränkungen durch deutsche Türkei-Politik 

Auch der Besitzer eines weiteren türkischen Geschäfts möchte seinen Namen nicht genannt wissen und will meinen Deutsche-Welle-Ausweis sehen, bevor er einem Interview zustimmt. Er sagt ganz klar: "Richtige Demokratie herrscht bei uns in der Türkei nicht." Auch er ist dagegen, dass türkische Politiker in Deutschland Wahlkampf betreiben. "Türkische Innenpolitik hat hier nichts zu suchen". Komisch findet er aber, dass die Absagen an die Reden des türkischen Justizministers in Süddeutschland und des türkischen Wirtschaftsministers Nihat Zeybekci in Köln und Frechen "durch die Hintertür gekommen seien". Er wünscht sich klare Kante: Wenn die deutschen Gesetze solche Auftritte erlaubten, dann müsse man das zulassen und möglich machen. Wenn Gesetze dagegen sprächen, dann eben nicht.

Türkische Geschäfte prägen nach wie vor das Straßenbild von Köln EhrenfeldBild: DW/J. Cwienk

Der Mann selbst ist kein Fan von Präsident Erdogan, das wird schnell klar. Warum denn durchaus viele Türken in Deutschland dessen Politik unterstützten, will ich wissen. Vielleicht, sagt er, sind hier einfach viele durch den deutschen Umgang mit der Türkei gekränkt. Auch er ist immer noch sauer über die Armenien-Resolution des deutschen Bundestages. Die sei falsch und überheblich gewesen.

"Warum mischen sich die Deutschen ein?"

Vor einer türkischen Bäckerei treffe ich Türkan Koyuncu. Sie lebt seit 40 Jahren in Deutschland. Immer wieder werde sie wegen ihrer türkischen Herkunft benachteiligt, erzählt sie, etwa bei der Wohnungssuche. Vermieter hätten einfach aufgelegt, wenn sie ihren türkischen Namen nannte. Solche Erfahrungen kränkten und ließen die Türken näher aneinanderrücken. Auch sie sei nicht unbedingt ein Erodgan-Fan, aber wenn "die Deutschen" sich in die türkische Politik einmischten, ärgere sie sich.

Süßigkeiten wie Baklava locken in vielen türkischen Bäckereien in EhrenfeldBild: DW/J. Cwienk

"Erdogan hat viel für die Türkei getan"

In einem Bekleidungsgeschäft für die muslimische Dame unterhalte ich mich mit Verkäuferin Pinar. Sie ist 30 Jahre alt, deutlich geschminkt und trägt ein rosafarbenes, sehr konservativ gebundenes Kopftuch zu einem langen, knall-pinken Mantel, der Arme und Beine komplett bedeckt.

Auf meine Frage, was sie zum derzeit arg angespannten deutsch-türkischen Verhältnis meint, winkt sie ab. "Ich interessiere mich nicht für Politik", sagt Pinar, "erst recht nicht für die türkische, denn ich lebe hier." Die Türkei sei nur ein Urlaubsland, nicht anders als Spanien. Im Verlauf des Gesprächs sagt sie mir dann aber doch noch, Erdogan habe einiges für die Türkei getan. Vielen dort ginge es heute besser, als früher.

"Ich habe Erdogan gewählt"

Osman Osmanoglou ist der Erste, den ich treffe, der als türkischer Staatsbürger bei dem für den 16. April geplanten Verfassungsreferendum mitmachen könnte. Wie und ob er abstimmen will, wisse er noch nicht, sagt der Schneider. Aber: Er finde es falsch, Auftritte türkischer Minister in Deutschland zu verhindern. "Warum sollen die Leute nicht hingehen, um sich zu informieren?" Man wisse doch gar nicht, was die Minister zu sagen hätten. Er würde sich gerne selbst ein Bild machen, statt sich nur aus den Medien darüber informieren zu lassen.

Wie zuvor schon Pinar erzählt mir auch Osmanoglou, dass Erdogan viel für die Menschen in der Türkei getan habe. Sein Cousin etwa könne sich heute trotz Arbeitslosigkeit in jedem Krankenhaus behandeln lassen. Das sei früher nicht so gewesen. Deswegen habe er selbst bei der letzten Wahl für Erdogan gestimmt, obwohl er schon seit vielen Jahren in Deutschland lebe, sagt Osmanoglou.

Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin, Fokus unter anderem: Klima- und Umweltthemen
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen