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Chibok-Schülerin: "Ich dachte, das ist das Ende"

Uwais Idris/Jan-Philipp Scholz20. Mai 2014

Mehr als 200 Schülerinnen hält Nigerias Terrorsekte Boko Haram noch immer in ihrer Gewalt. DW-Reporter haben ein Mädchen getroffen, das fliehen konnte. Sie erhebt schwere Vorwürfe, gegen die Polizei - und ihre Lehrer.

Mädchen aus Chibok
Bild: DW/J.-P. Scholz

DW: Können Sie sich an den Moment erinnern, als Boko Haram Ihre Schule angegriffen hat?

Esther Musa (Name von der Redaktion geändert): Wir waren in unserem Schlafsaal, es war gegen 22 Uhr. Da kamen die Männer von Boko Haram und haben gesagt: "Kommt alle zusammen und folgt uns!" Wir haben getan, was sie verlangten. Dann haben sie uns auf die Fahrzeuge verteilt und sind mit uns weggefahren.

Was ging Ihnen da durch den Kopf?

Ich dachte: Heute ist das Ende meines Lebens. Sie werden uns alle töten. Das ist das einzige, woran ich mich erinnere. Ich habe mir nur gedacht, Gott wird mir beistehen.

Was ist danach passiert?

Irgendwann haben einige Mitschüler und ich so getan, als ob wir auf die Toilette müssen. Dann sind wir nur noch gerannt und gerannt. Irgendwann haben wir ein Haus von Fulanis gesehen (ethnische Gruppe aus der Region, Anm. d. Red.). Wir haben sie gefragt: Können Sie uns die Straße nach Chibok zeigen? Der Mann hat uns gesagt, dass es sehr weit nach Chibok sei, aber er hat uns den Weg ins nächste Dorf gezeigt. Dort haben wir gefragt, ob es eine Transportmöglichkeit nach Chibok gibt. Sie meinten, es sei zu spät, wir sollten besser im Dorf übernachten. Sie haben uns frische Kleidung gegeben und am nächsten Tag haben wir dann versucht, zurück nach Chibok zu kommen.

Und hat das funktioniert?

Nein, dann kamen wir zu einem Checkpoint des Militärs. Als sie herausgefunden haben, dass wir zu den entführten Mädchen aus Chibok gehören, haben sie uns gesagt, dass wir nicht zurück zu unseren Familien können. Sie haben uns befohlen, mit ihnen in die Kaserne nach Maiduguri zu fahren (Hauptstadt der Region, Anmerk. d. Red.). Dort sollten wir ihren Vorgesetzten erzählen, dass sie uns aus der Gefangenschaft von Boko Haram befreit hätten. Sie haben uns einige Tage in der Kaserne festgehalten, dann wurden wir zum Gouverneur gebracht.

Aber die Schule wurde doch von Polizisten bewacht und es waren auch Lehrer da. Wie haben die denn reagiert, als die Schule angegriffen wurde?

Die waren nicht mehr da. Die sind vorher weggerannt.

Sie sind alle weggelaufen und haben Sie und die Mitschüler in der Schule alleine gelassen?

Ja.

Die Lehrer wussten also schon vorher, dass etwas passieren würde?

Ja. Jemand hat die Lehrer gewarnt, dass Boko Haram kommen würde, um die Schule zu überfallen. Schickt die Kinder nach Hause, haben sie gesagt. Aber die Lehrer haben gesagt: Wenn sie nach Hause gehen, bekommen sie keine Zeugnisse.

Hatten Sie selbst denn eine Ahnung, dass Boko Haram angreifen könnte?

Nein.

Erklären Sie uns das bitte nochmal: Die Lehrer haben Sie und Ihre Mitschülerinnen nicht gehen lassen?

Der Vize-Direktor (original: Vice-Academic) hat gesagt: Wenn ihr weglauft, wird eure Abschlussprüfung nicht zählen.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an all Ihre Mitschülerinnen denken, die noch in der Hand der Terroristen sind?

Ich glaube, sie leben noch. Sie tun mir sehr Leid.

Wie geht es Ihnen denn? Können Sie zum Beispiel in Ruhe schlafen?

Nein, schlafen kann ich nicht. Ich muss immer an sie denken.

Gab es bisher irgendeine Art von Hilfe für Sie? Irgendeine Reaktion der Regierung oder psychologische Betreuung?

Nein, es gibt keine Hilfe.

Welche Art von Hilfe würden Sie denn brauchen?

Ich will wieder zur Schule gehen.

Haben Sie denn keine Angst, wieder zur Schule zu gehen?

Doch, ich habe Angst. Ich gehe nicht zurück auf die Schule in Chibok. Ich würde gerne auf eine andere Schule gehen, irgendwo anders.

Das Interview führten Uwais Idris und Jan-Philipp Scholz.

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