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Politik

"Ich gehe zurück nach Syrien"

Diana Hodali Beirut
27. April 2019

Für viele syrische Flüchtlinge im Libanon ist die Lage aussichtslos. Daher wollen etliche zurück in die Heimat und nehmen dabei eine Reise ins Ungewisse in Kauf. Von Diana Hodali, Beirut.

Syrien Flüchtlingslager Jarmuk
Weite Teile des Lagers Jarmouk in der Nähe von Damaskus sind zerstört (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/Y. Badawi

Der kühl eingerichtete Raum erstrahlt, als Bassam H. ihn betritt. Sein Lächeln kommt aus seinem tiefsten Innern, das ist offensichtlich. Er findet auch, dass er allen Grund hat zur Freude: "Ich werde bald mit meiner Familie nach Damaskus zurückkehren." Der 24-Jährige, der seinen echten Namen nicht nennen will, schaut aus dem Fenster der kleinen Organisation in Beirut, bei der er manchmal aushilft. "Der Libanon wird nie meine Heimat werden, Syrien ist meine Heimat", sagt er und senkt die Augen. Wohl aus Unsicherheit. Er habe schon von vielen gehört, dass sie eine Rückkehr für gefährlich halten. "Aber wir sind entschlossen: Wir gehen in einigen Wochen zurück."

Wir - das sind seine 47-jährige Mutter, seine 21-jährige jüngere Schwester und er. Seine Schwester hat nach der achten Klasse in Syrien keine Schule mehr besuchen können. Er hatte noch ein paar Kurse belegt. Sein Vater ist schon im Jahr 2000 gestorben - lange bevor der Krieg 2011 losging. Bassam H. und seine Familie sind Palästinenser aus Syrien, die im palästinensischen Flüchtlingslager Jarmouk, wenige Kilometer südlich von Damaskus, gelebt haben. "Meine Großeltern und wir haben nebeneinander gewohnt", erinnert er sich wehmütig. Er vermisst sie. Die Familie sei das Wichtigste. Mit umgerechnet 500 US-Dollar und ein paar Taschen seien seine Mutter, seine Schwester und er 2013 in den Libanon gekommen. Das war noch, während Jarmouk durch mehrere Kriegsparteien belagert wurde. Einige Monate wollten sie bleiben, sieben Jahre sind es geworden.

Ermutigung durch die Familie in Damaskus

Seither leben Bassam H. und seine kleine Familie im Süden des Libanon - ebenfalls in einem Flüchtlingslager der Palästinenser. Dort ist die Sicherheitslage prekär und die Armut hoch. Anfangs konnten die drei bei Verwandten unterkommen, durch Bassams Aushilfsarbeit reicht das Geld für eine Einzimmerwohnung mit Küche und Bad. In Syrien hätten sie ein Haus, sagt er. Und Freunde. "Hier haben wir wenig soziale Kontakte. Hier sind wir Fremde."

Bassam H.Bild: DW/D. Hodali

Die Stimmung im Libanon ist angespannt. Durch die zusätzlichen Flüchtlinge ist zum einen der Druck auf dem informellen Arbeitsmarkt gestiegen, zum anderen ist der günstige Wohnraum knapp. Und viele Libanesen machen die Flüchtlinge für sämtliche Missstände im Land mitverantwortlich. Gut 950.000 Syrer sind nach Angaben des UNHCR im Libanon registriert, die Dunkelziffer soll viel höher sein. 

Seine Großeltern hätten ihm versichert, dass ihr Haus in Damaskus bewohnbar sei. Ist er sich sicher? In Jarmouk ist viel zerstört worden. Ja, er ist sicher - und vielleicht hat er recht. Doch die syrische Organisation Sawa for Development and Aid in Beirut warnt davor, sich einzig und allein auf Informationen von Verwandten zu verlassen: "Viele haben aus Sorge vor Repressionen Angst, frei und offen am Telefon zu sprechen", sagt Elena Hogdes von Sawa bei einer ihrer Veranstaltungen an der Amerikanischen Universität in Beirut. Dies führe dazu, dass manche Syrer ihre Rückkehr auf der Basis falscher Informationen planten.

Keine politische Äußerung - aus Angst

Dass bereits Menschen zurückgegangen und nach ihrer Ankunft inhaftiert und gefoltert worden sind, davon habe er zwar gehört, aber das betreffe ihn nicht. "Ich habe in Damaskus von Bekannten Erkundigungen einholen lassen, ich stehe auf keiner Liste. Ich muss mir keine Sorgen machen", bekräftigt er.

Die Listen - damit meint er Verzeichnisse der Sicherheitsbehörden. Drei Millionen Syrer stehen nach Aussage von Syriens gefürchtetem Chef des Luftwaffengeheimdienstes Jamil Hassan auf Fahndungslisten. Mit der Rückkehr riskieren besonders Oppositionelle und ihre Angehörigen Haft, Erpressung, Folter. Das findet er natürlich "nicht gut". Aber wahrscheinlich hätten sie sich etwas zuschulden kommen lassen. Was denn? "Sie waren bestimmt politisch aktiv. Meine Familie ist mir wichtiger als Politik. Sie haben immer gesagt: Mach was du willst, aber halt dich aus der Politik raus."

"Viele sprechen aus Angst nicht offen": Elena Hodges von Sawa for Development and Aid in BeirutBild: DW/D. Hodali

Dann stutzt er. Offenbar wird ihm gerade klar, dass das nichts anderes bedeutet als politische Unfreiheit - und massive Unterdrückung. Doch das Risiko will er in Kauf nehmen. Er sei froh, dass Baschar al-Assad noch im Amt sei, sagt er. Eine Alternative sehe er nicht. Politischer wird das Gespräch nicht. Bassam H. will sich anpassen, koste es, was es wolle - damit die Rückkehr gelingt.

Libanon will Syrer zurückschicken

Sehr zur Freude der libanesischen Regierung. Die will die syrischen Flüchtlinge lieber gestern als heute wieder loswerden. Einige Minister haben sich bereits auf den Weg nach Damaskus gemacht, um die Beziehungen zu normalisieren. Außerdem bietet die Regierung an, Syrer, die freiwillig zurückgehen wollen, mit einem Bus an einem Donnerstag im Monat zurückzubringen.

Nach Angaben des Chefs der General Security in Beirut, General Abbas Ibrahim, sind 2018 etwa 50.000 Personen nach Syrien gebracht worden. Meist konnten sie ihre Aufenthaltsgenehmigungen für den Libanon nicht mehr bezahlen und hatten hohe Schulden beim libanesischen Staat, die ihnen damit erlassen wurden. Ob sie sicher vor Verfolgung seien, haben die Libanesen angeblich mit den syrischen Behörden geklärt.

Menschenrechtsorganisationen bemängeln, dass der Libanon in dieser Angelegenheit nicht mit ihnen zusammenarbeite. Sie fordern, die Namen von freiwilligen Rückkehrern zu bekommen, damit sie später überprüfen können, was aus ihnen geworden sei. Bassam H. und seine Familie wollen ihre Rückreise selber organisieren, zu einem von ihnen gewählten Zeitpunkt.

"Syrien wird niemals sicher sein": Diana Semaan von Amnesty InternationalBild: DW/D. Hodali

Syrien will nicht alle Flüchtlinge

"Ich denke, es ist der syrischen Regierung ziemlich egal, was die Libanesen wollen", sagt Diana Semaan von Amnesty International. "Es ist eindeutig, dass Damaskus nicht alle Flüchtlinge zurückhaben will." Die Regimeanhänger stünden für Damaskus an erster Stelle und würden für ihre Treue zu Syriens Präsident Baschar al-Assad belohnt. Für wen Syrien in der Zukunft noch die Türen offen hält, daran lässt Machthaber Assad keinen Zweifel. Man habe zwar viele Männer und die Infrastruktur verloren, aber dadurch habe Syrien eine gesündere und homogenere Gesellschaft erhalten, betonte er bereits 2017.

Ob auch Bassam H. und seine Familie dazu gehören? Er erwarte keine große Unterstützung. Er wolle einfach nur wieder sein Leben in Syrien aufbauen. "Ich brauche bestimmt erst mal Zeit, um mich wieder einzugewöhnen, aber das wird schnell gehen." Immerhin erwarte ihn dort auch seine Verlobte. Er habe natürlich davon gehört, dass es kaum Strom gebe, wenig Wasser und die Schlangen, um Benzin und Gas zu kaufen, nicht abrissen, aber das sei alles eine Frage der Zeit. "Die, die die Religion in den Krieg gebracht haben, die haben viel zu verantworten. Die müssen das Land auch wieder aufbauen." Wen er damit meint? Ein kurzes Schweigen. "Na, eben die, die das gemacht haben." Das Gespräch schwankt zwischen totaler Offenheit und Distanz. 

Von Sicherheit kann in Syrien keine Rede sein und schon gar nicht von einer Sicherheit ohne Angst. Doch die wird nötig sein, um die Gesellschaft nach so vielen Jahren des Krieges miteinander zu versöhnen. "Syriens Verbündeter Russland", erklärt Diana Semaan von Amnesty International, "übt keinerlei Druck auf Damaskus aus, die Geheimdienste zu reformieren. Das zeigt, dass Syrien niemals sicher sein wird."

Das scheint Bassam H. egal zu sein. "Ich gehe zurück nach Syrien - komme was wolle."

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