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Handarbeit ist wieder in

Christiane Wolters7. April 2009

Häkeln, Stricken, Nähen - lange waren das eher Hobbys für die Oma als für die Enkelin. Doch auf einmal liegt Selbstgemachtes voll im Trend. Und angeblich macht es die Welt nicht nur bunter, sondern auch besser.

Nahansicht von zwei Händen, die Strickzeug halten
Zwei rechts, zwei links - Stricken liegt wieder voll im TrendBild: AP

Linda Eilers Kleidergeschmack verträgt sich eindeutig nicht mit der Massenmode, die in Kaufhäusern und Filialen der großen Modeketten an den Kleiderständern hängt. Zu einer lässig fallenden Hose aus weichem Jeansstoff trägt sie eine blaue Bluse und einen weißen Blazer mit prächtigem, großformatigem Blumenmuster. Alle Kleidungsstücke sind Einzelteile, alle hat sich Linda Eilers selbst auf den Leib geschneidert - und beweist damit, dass es wirklich funktioniert: Selbermachen statt von der Stange kaufen, Einzelteil statt Massenware.

Rat und Naht im Nähcafé

Linda Eilers in ihrem NähcaféBild: DW / Wolters

"Es gibt nur ganz wenige Menschen, die das Nähen nicht lernen können", sagt die 31-Jährige überzeugt. Seit 2006 führt sie das Näh-Café "Stitch ´n Bitch" in Berlin-Kreuzberg. In dem kleinen Ladenlokal in der Wrangelstraße steht Nähmaschine neben Nähmaschine. Auf einem großen Tisch werden Stoffbahnen zugeschnitten, dazwischen liegen Schnittmuster und Modezeitschriften. Doch am wichtigsten ist eindeutig der Rat von Chefin Linda Eilers, die bereits seit ihrer Kindheit mit Begeisterung näht. Für eine Kundin stellt sie rasch die richtige Nähmaschine ein, um den Saum eines Jerseyrocks umzunähen, einer anderen erklärt sie, wie die Belege einer Weste genäht werden.

Nähen in der Nähe der ExpertinBild: DW / Wolters

Das Geschäftsprinzip von "Stitch ´n Bitch" ist einfach. Gegen fünf Euro Gebühr pro Stunde kann hier jeder, der Stoff mitbringt, losnähen und sich helfen lassen. Für die, die gerne noch mehr Anleitung haben, gibt es Nähkurse. "Die Idee kam hier von Anfang an sehr gut an", sagt Eilers. "Die Leute sind es satt, Kleidung zu kaufen, die jeder hat. Außerdem möchten viele mal wieder etwas mit ihren Händen tun, nachdem sie die letzten Jahre nur am Rechner gearbeitet haben."

Technik der Alltagsentschleunigung?

Damit beschreibt Eilers ein Gefühl, das derzeit offenbar voll dem Zeitgeist entspricht. Spätestens seit Hollywoodstars wie Julia Roberts oder Cameron Diaz in den Drehpausen mit Strickzeug gesichtet wurden, gilt die gute alte Handarbeit wieder als salonfähig.

In den USA heißt das "Crafting", was im Grunde das gleiche meint, jedoch ein bisschen schicker klingt. Mit den "landläufigen Vorstellungen vom traditionellen Heimchen am Herd" habe der Begriff in jedem Fall nichts zu tun, schreiben Holm Friebe und Thomas Ramge in ihrem 2008 erschienen Buch "Marke Eigenbau", das sich der neuen Lust am Selbermachen in verschiedenen Lebensbereichen widmet. Vielmehr hätten Betätigungen wie Nähen, Sticken, Stricken und Häkeln Bedeutung gewonnen als "Technik der Alltags-Entschleunigung und politisches Statement gegen Fashion-Diktakt und Massenproduktion".

Handarbeit in Zeiten von Web 2.0

Profitieren tut die traditionelle Handarbeit dabei ausgerechnet von der modernen Kommunikationstechnologie. Denn ohne Internet hätte die neue Lust am Selbermachen wohl kaum so weite Kreise ziehen können. Auf youtube etwa finden sich Filme, die in den richtigen "Maschenanschlag" einweisen, auf burdastyle.com gibt es Schnittmuster und Näh-Anleitungen, außerdem können die Nutzer Fotos eigener Entwürfe einstellen. Fast 190.000 Mitglieder sind dort derzeit registriert. "Das erlebt gerade dadurch einen Boom, dass etwas vermeintlich Altmodisches mit etwas ganz Neumodischem zusammengebracht wird", sagt Claudia Helming, Gründerin und Geschäftsführerin des Online-Portals Dawanda, das diese Kombination aus alt- und neumodisch zum Geschäftsprinzip gemacht hat.

Selbst ein großer Fan der Dawanda-Produkte: Geschäftsführerin Claudia Helming mit einer AuswahlBild: DW / Wolters

"Social Shopping" als Zukunftsmodell?

Auf Dawanda kann man fast alles kaufen – von ausgefallenen Kleidern, über Kinderspielzeug bis hin zu Accessoires und Taschen. Alles ist selbstgemacht – mal mehr, mal weniger professionell. Viele der Menschen, die bei Dawanda kaufen, hätten eine "Sehnsucht nach einem Wert, der über das rein Materielle hinausgeht", sagt Helming. Auf Dawanda kann der Käufer sehen, wer sein Produkt macht, er kann dem Verkäufer Fragen zur Fertigung stellen und bekommt so einen ganz anderen, sehr viel persönlicheren Zugang zu dem, was er letztlich kauft.

Zum Lieben und mit Liebe gemacht: Dawanda-ProdukteBild: DW / Wolters

"Social Shopping" nennt sich diese sympathische Variante Geschäfte zu machen, die allein bei Dawanda inzwischen rund 250.000 registrierte Mitglieder begeistert.

Angst, dass dieser große Ansturm den Charme ihres Online-Kaufhauses, das schließlich als Nischenanbieter begonnen hat, langfristig kaputtmachen könnte, hat Claudia Helming nicht. "Handarbeit gab es schon immer, man hat das nur die letzten Jahre unterschätzt", sagt sie. "Je mehr das jetzt wächst, umso besser."

Denn wie die meisten Vorreiter der modernen Selbermach-Bewegung hofft sie, dass so irgendwann einmal Massenmarkt und Massenproduktion zurückgedrängt werden können.

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