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Politik

"Ich muss eine Drohung jetzt ernster nehmen"

25. Juli 2019

Die extreme Rechte radikalisiere sich weiter, sagt die Publizistin Simone Rafael. Auch angebliche Einzeltaten spiegelten die Bedrohung, die von der Szene ausgeht. Ein Interview über die Normalisierung von Gewalt.

Archivbild | Kiel | Sichergestellte Waffen und ein Schild der kriminellen Neonazi-Gruppe «Combat 18»
Bild: picture-alliance/dpa/H. Pfeiffer

Rechte Gewalt in Deutschland ist nicht neu, doch die Gewalttaten häufen sich. Laut dem Verfassungsschutzbericht 2018 ist die Zahl der Körperverletzungen mit rechtsextremistischem Hintergrund um knapp vier Prozent gestiegen. Die Zahl der Mordversuche stieg von vier auf sechs. 2019 ist bereits ein Mord zu verzeichnen - der an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Im Falle der Schüsse von Wächtersbach ist aus allgemeinen Drohungen gegen Menschen ausländischer Herkunft ein Mordversuch geworden. Das Opfer ist ein offenbar beliebiger Vertreter dieser Gruppe. Beide Arten von Drohungen finden in Sozialen Netzwerken mittlerweile täglich statt, sagt Simone Rafael von der Amadeu Antonio Stiftung. 

Deutsche Welle: Frau Rafael, nach dem Mordanschlag in Wächtersbach sprechen nun wieder Menschen von einer neuen Qualität der Ereignisse: Sehen Sie das auch so?

Simone Rafael: Die Radikalisierung in der rechtsextremen und auch in der rechtspopulistischen Szene schreitet offensichtlicher fort als bisher. Durch rechte Demonstrationen und Hassrede in sozialen Netzwerken haben sich rassistische oder rechtsextreme Positionen mittlerweile normalisiert. Inzwischen haben wir eine überbordende Menge an Morddrohungen gegen Politiker, Journalisten und Aktivisten, Bombendrohungen gegen öffentliche Gebäude wie Gerichte und Rathäuser oder auch gegen ein Kino, das einen Film gegen Rechtsextremismus zeigen will.

Wird die Bedrohung durch Taten realer?

Ich fürchte, dass Drohungen im Netz Gewalttaten inspirieren, weil sich die Täter damit legitimiert fühlen und meinen, passend zu einer vorgeblichen Mehrheitsmeinung zu agieren. Aber natürlich gilt auch umgekehrt: Wenn ich weiß, dass Rechtsextreme Leute ermorden oder attackieren, muss ich eine Gewaltandrohung natürlich ernster nehmen.

Markierungen auf dem Asphalt: Ort der Schüsse von WächtersbachBild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Rechte und rechtsextreme Tendenzen in Deutschland finden sich laut der "Mitte-Studie" der Universität Bielefeld seit längerem relativ konstant in der deutschen Gesellschaft. Warum veranlasst diese Ideologie mittlerweile Menschen zum Handeln?

Die rechtsextreme Szene wähnt sich in einem imaginierten Bürgerkrieg, das konnten wir schon in den letzten Jahren in den sozialen Netzwerken erkennen. Nun rufen sie dazu auf, zu den Waffen zu greifen und um Deutschland zu kämpfen, bevor alles verloren geht, was sie als deutsch empfinden.

Wie kommt es, dass sich die Gewalt gerade jetzt Bahn bricht?

Die rechtsextreme oder rechtspopulistische Szene war relativ erfolgreich damit, ihre Thesen in die Öffentlichkeit zu bringen. Wenn wir uns allein die massive Aufregung um zwei Kitas in Leipzig anschauen, die kein Schweinefleisch mehr auf ihrem Speiseplan haben wollen: Das hat nicht nur zu einem massiven Shitstorm geführt, sondern auch dazu, dass die Polizei es für nötig empfand, mit den Kitas Gespräche wegen möglichen Gefährdungen zu führen - nicht zuletzt, weil auch eines der größten deutschen Boulevardmedien dieses Thema auf die Agenda gesetzt hat. (Die "Bild"-Zeitung berichtet ausführlich über die Kita in Leipzig, d.R.) Darum muss sich die rechtsextreme Szene selbst jetzt nicht mehr kümmern.

Simone Rafael: überbordende Menge an MorddrohungenBild: Amadeu Antonio Stiftung

Gleichzeitig bewegen sich Leute, die bestimmten Ideologien anhängen, in entsprechenden Netzwerken, in denen sie permanent mit neuen Hiobsbotschaften versorgt werden, sodass in dieser Szene ein Gefühl von Handlungszwang entsteht.

"Kontakte zur organisierten rechtsextremen Szene sind gar nicht mehr nötig"

"Die Szene" - das klingt sehr abstrakt. Es gibt ja im rechten Spektrum nicht nur PEGIDA, sondern auch noch extremere Organisationen wie das internationale Neonazi-Netzwerk "Combat 18", zu dem auch die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Verbindungen hatte. Über den mutmaßlichen Täter von Wächtersbach heißt es dagegen, er habe zwar klar rassistische Motive verfolgt, aber keine Kontakte zur Szene gepflegt.

Ich muss immer ein bisschen schmunzeln, wenn ich solche offiziellen Stellungnahmen höre. Kontakte zur organisierten rechtsextremen Szene sind gar nicht mehr nötig, um sich mit diesem Gedankengut zu versorgen. Das funktioniert sehr gut über soziale Netzwerke.

Die klassischen Neonazis sind natürlich weiterhin präsent, gewaltbereit und gefährlich. Aber innerhalb der letzten zwei, drei Jahre haben sich völlig neue Täter und Täterinnen entwickelt - Menschen, die vorher nie strafrechtlich relevant in Erscheinung getreten waren. Den Behörden sind sie daher nicht bekannt als Rassisten oder Rechtsextreme, wohl aber in ihrem eigenen Umfeld. Dort haben sie sich so weit radikalisiert, dass sie sich Waffen besorgen und dann auch einsetzen.

Besucher des Rechtsrock-Konzerts "Schild und Schwert Festival" in OstritzBild: picture-alliance/dpa/D. Schäfer

Manch einer fordert von den Sozialen Netzwerken, dass sie gegen Hassrede und Mordaufrufe vorgehen. Was halten Sie davon?

Ich bin kein Fan davon, alles zu regeln, ich erhoffe mir immer, dass man zivilgesellschaftlich weiterkommt. Allerdings möchte ich tatsächlich auch ein Netzwerk in der Pflicht sehen, Verantwortung für das zu übernehmen, was auf seinen Kanälen passiert. Aber wenn wir in einen strafrechtlich relevanten Bereich wie Aufruf zu Gewalttaten oder Mord kommen, sind die Strafverfolgungsbehörden in der Pflicht. Und die sind in Deutschland bislang zu wenig spezialisiert auf Kriminalität im Netz.

"Opfer rechtsextremer und rechtspopulistischer Angriffe werden nicht ernst genommen"

Es heißt, rechtsextreme Positionen würden wieder salonfähig - auch weil bestimmte Behörden bei Straftaten aus diesem Spektrum nicht so genau hinsehen würden. Könnte man den Rechtsextremismus also durch konsequentere Strafverfolgung wieder aus den Salons verdrängen?

Wir sehen ganz stark in sozialen Netzwerken und zum Teil auch in der realen Welt, dass die Opfer rechtsextremer und rechtspopulistischer Angriffe nicht ernst genommen werden, Straftaten über Jahre nicht verfolgt worden sind. Das erzeugt ein Gefühl, dass es schon okay wäre, bestimmte Dinge zu sagen oder zu machen. Da sehe ich sehr deutlich unsere Strafverfolgungsbehörden in der Pflicht, sich dem ständig radikalisierenden Rechtsextremismus zuzuwenden und entsprechend stärker durchzugreifen als bisher.

Wie könnte man denn das Rad zurück drehen und Menschen aus ihrer Radikalisierung wieder herausholen?

Tatsächlich wird das nur in der praktischen Arbeit passieren. Und das passiert auch: Ganz viele tolle Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, engagierte Kirchengemeinden, Leute aus der Zivilgesellschaft engagieren sich vor Ort und schaffen es irgendwie Verständnis herzustellen und Ressentiments abzubauen, sodass ein gutes Zusammenwachsen der Gesellschaft funktioniert.

Simone Rafael ist Chefredakteurin von "Belltower.News - Netz für digitale Zivilgesellschaft", dem Internetportal der Amadeu Antonio Stiftung, die sich nach eigenen Angaben "gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus" wendet.

Das Gespräch führte Jan D. Walter.

Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.
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