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Politik

Die Angst vor der letzten Schlacht

Anchal Vohra | Nermin Ismail
6. September 2018

Die Truppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad bereiten ihren letzten Angriff auf die Rebellenhochburg Idlib vor. Die Deutsche Welle hat mit Zivilisten und Rebellen vor Ort sowie mit Experten gesprochen.

Syrien Rebellen in Idlib-Provinz
Bild: Getty Images/AFP/O.H. Kadour

Mohamed Tarik* stapelt Vorräte auf: Zwei Kartons Brot, mehrere Dosen Käse, Gläser mit Essiggurken und Jutetaschen gefüllt mit Reis. Er hat das Lebensnotwendige ordentlich im Regal im Keller verstaut - in einem Raum, der speziell als Versteck, für den Krieg, zum Überleben der Angriffe der syrischen Regierung gebaut wurde. "Was soll ich denn sonst tun? Ich habe hier auch Babynahrung und einige Spiele im Keller gelagert", sagt er der DW in seinem Haus in der Region Idlib. Ein Spielzeugauto für seinen vier Jahre alten Sohn und ein Gerät zum Laufenlernen für die zehnmonatige Tochter hat er mitgebracht in der Hoffnung, seine Kinder damit beruhigen und vom erwarteten Chaos in Idlib ablenken zu können.

Millionen Zivilisten sind in der gleichen Lage wie Mohamed und versuchen Mittel und Wege zu finden, wie sie sie und ihre Familie vor Angriffen schützen können.

Mohamed mit seinen Kindern im KellerBild: DW/A. Vohra

Die Kämpfe in Syrien stehen kurz vor dem Ende; Regierungstruppen haben das Land fast vollständig wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Die Provinz Idlib, die letzte Bastion der Rebellen, soll Schauplatz dieser letzten Schlacht sein. Idlib ist Heimat von rund zwei Millionen Syrern geworden, die gezwungen waren, ihre Dörfer und Städte zu verlassen.

Im Laufe der vergangenen Woche hat Idlib einen starken Militäraufmarsch erlebt. Fahrzeuge der syrischen Armee rückten vor zur Frontlinie. Ihr Ziel: die letzte Rebellenhochburg zurückerobern. Russland unterstützt die syrische Regierung dabei und stationiert sein bisher größtes Marine-Aufgebot im Mittelmeer. Auch die Türkei bereitet sich vor. Die zwölf türkischen Beobachtungsposten sind in Alarmbereitschaft, um notfalls auf Seiten der Rebellengruppen in den Kampf einzugreifen, die sie seit Beginn des Krieges unterstützen.

Dschihadisten haben Idlib fest im Griff

Die Al-Kaida-nahe Dschihadistengruppe Hai'at Tahrir al-Sham (HTS) kontrolliert ungefähr 60 Prozent des Gebiets. Sie hat die Rebellenhochburg fest im Griff. Am Donnerstag meinte ein Kreml-Sprecher, die syrische Armee bereite sich auf den Angriff auf das "Terrornest" vor. Russische Stützpunkte wurden immer wieder von unbemannten Luftfahrzeugen angegriffen, gesteuert von der HTS - ein Grund mehr für Russland, eine Offensive gegen Idlib zu starten.

Die Front kommt näher: Luftangriffe der russischen Luftwaffe südwestlich von IdlibBild: Getty Images/AFP/O. H. Kadour

Momentan suchen Russland und die Türkei nach einem diplomatischen Weg aus der Krise. Am Freitag soll es auf Einladung des Iran ein Treffen vor Beginn der Offensive geben. In Teheran wollen Recep Tayyip Erdoğan, Wladimir Putin, Baschar al-Assad und Hassan Ruhani zusammenkommen.

Die Suche nach einer diplomatischen Lösung

"Ich bin mir sicher, dass eine politische Lösung der beste Weg für Idlib wäre. Das sagte auch die türkische Seite den Führern der Rebellengruppen, als sie sich zuletzt in Istanbul getroffen hatten", sagt Bilal Zikra, Präsident der Gemeindeverwaltung von Maarrat al-Nu'man, einem Dorf in der Region.

Joshua Landis, Direktor des Zentrums für Nahost-Studien an der Universität Oklahoma, meint, eine diplomatische Lösung wäre möglich, wenn die HTS Idlib verlasse. Doch bis jetzt scheiterten diese Bemühungen.

Die DW sprach mit einem hochrangigen Offizier der Nationalen Befreiungsfront (NLF), einem Zusammenschluss mehrerer moderater und islamistischer Rebellengruppen, die von der Türkei unterstützt werden. Um seine Sicherheit nicht aufs Spiel zu setzen, wollte er anonym bleiben. "HTS ist ein vorgeschobener Grund für die Russen, um die Kämpfe zu legitimieren. Wir haben dennoch versucht, HTS zu überzeugen, sich aufzulösen und sich uns anzuschließen - vor allem um den Russen diesen Vorwand zu nehmen; aber sie haben bis jetzt abgelehnt."

"Russland und Syrien haben verlangt, dass sich die Bevölkerung von Idlib ergibt und eine Art Versöhnungsprozess durchläuft wie in [der Provinz] Daraa", sagt er weiter. Doch HTS habe abgelehnt und gesagt, dass jeder, der mit dem syrischen Regime verhandle, ein Verräter sei und enthauptet werde. 

Zivilisten: Gefangen zwischen Regierung und Dschihadisten

Vor dem Krieg war Mohamed Englischlehrer und unterrichtete in Schulen auf dem Land. Während der Kämpfe begann er, eine Kalaschnikow bei sich zu tragen, um seine Familie vor der syrischen Armee zu beschützen".

Idlib: Gefährliches Spiel mit der scharfen WaffeBild: DW/A. Vohra

"Das Regime hat aus uns Extremisten im Kopf gemacht, die ihre eigenen Leute umbringen. Es hat uns dazu gebracht, Schiiten und Alawiten zu hassen. Vor dem Krieg gab es diesen Hass nicht", sagt er. "Und diese Al-Kaida-Männer haben alles schlimmer gemacht. Sie haben meine Wasserpfeife zerbrochen. Sie zwingen uns eine harte Lebensweise auf. Wir wollen die Rebellen auch nicht. Sie ruinieren den Ruf der Opposition."

"Ich wäre sofort türkischer Staatsbürger"

Mohameds Dorf ist unter Kontrolle der Faylaq al-Sham, die zur Nationalen Befreiungsfront gehört. Er sagt, sie seien Muslime, aber keine Dschihadisten. "Die beste Lösung für Idlib wäre, unter türkische Herrschaft zu kommen. Ich würde sofort türkischer Staatsbürger werden, weil ich nicht mehr unter Assads Herrschaft leben möchte, und mit diesen Dschihadisten will ich auch nichts zu tun haben. Die Türkei unterstützt die muslimischen Rebellen, und wir tun das auch", sagt Mohamed.

Sorgen macht er sich am meisten über einen Angriff der syrischen Regierung mit chemischen Waffen - wie zuletzt im Februar, als in Sarakeb, fünf Kilometer von Abulkafis Dorf, Chemiewaffen eingesetzt wurden. Dieser Angriff wurde später von der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) bestätigt.

"Wir sind uns sicher, dass das Regime dieselben Taktiken anwenden wird und chemische Waffen einsetzen wird. Warum sollten sie auch nicht? Ich überlege, nach Afrin zu flüchten." Dort wäre es sicherer für seine Familie, glaubt Mohamed.

*Name von der Redaktion geändert

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