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Idomeni nach dem Lager

Panagiotis Kouparanis12. Juni 2016

Zwei Wochen nach der Räumung des Lagers weist kaum etwas im Ort auf die Flüchtlinge hin. In Idomeni geht man wieder dem beschaulichem Leben nach. Doch nicht alle sind darüber froh, wie Panagiotis Kouparanis erfuhr.

Idomeni: Kostas, der Flüchtlinge beherbergte(Foto: DW/P. Kouparanis)
Bild: DW/P. Kouparanis

"Das kann doch nicht wahr sein, wo kommen die denn her?" Was noch bis vor zwei Wochen Alltag war, ruft jetzt Erstaunen hervor. Keine 50 Meter vom Bahnhof Idomeni entfernt liegt ein kleines Café. Seine Gäste, eine Gruppe alter Männer, trauen ihren Augen nicht: Zwei junge Syrer, übernächtigt und mit verschlissener Kleidung, kommen die Straße entlang.

Im Tante-Emma-Laden gegenüber kaufen sie sich eine große Flasche Wasser, die sie hastig leer trinken. Dann gehen sie weiter bis zum Bahnhof. Völlig entkräftet setzen sie sich auf den Bahnsteig. Ein griechischer Polizist versucht, sich mit ihnen zu verständigen. Doch sie sprechen kein Englisch. Soviel wird aber klar: Sie haben in der Nacht versucht, die Grenze nach Mazedonien zu überqueren. Dabei wurden sie von mazedonischen Sicherheitskräften erwischt und umgehend über den Grenzzaun zurückgeschickt. Sie wussten nicht weiter, deshalb sind sie nach Idomeni gekommen.

Ein einzelner Syrer hat sich nach Idomeni verirrtBild: DW/P. Kouparanis

Ein wenig später holt sie ein Polizeiwagen ab. "Sie werden in einem der wilden Camps auf der Autobahn abgesetzt", sagt der Polizist. In eines der offiziellen Aufnahmelager wollten sie nicht gehen. "Man kann sie dazu nicht zwingen", fügt er mit einem Achselzucken hinzu.

Keine Geschäfte mehr

Monatelang beherrschte Idomeni die Schlagzeilen der Weltpresse. Mehr als 10.000 Flüchtlinge lagerten dort zu Hochzeiten und hofften, die Grenze nach Mazedonien überqueren und weiter nach Mitteleuropa ziehen zu können. Dann war alles ganz schnell vorbei: Am 24. Juni begann die Evakuierung des Lagers, keine zwei Tage später war sie abgeschlossen.

Zurück blieben Unmengen von Zelten, Decken und all das, was nicht mehr gebraucht wurde. Seitdem sind alle Zufahrtswege nach Idomeni von der Polizei abgesperrt - vor allem für die Presse. Gelangt man dennoch hinein, dann wähnte man sich in einer ganz anderen Gegend - wenn man es nicht besser wüsste. Einige wenige Großzelte der internationalen Hilfsorganisationen und Container, die als Polizeistation dienten, erinnern an das Idomeni der Flüchtlinge. Auf den Feldern und in den Waldstücken dagegen wurden bereits sämtliche Spuren beseitigt. Nichts weist mehr darauf hin, dass hier einmal Tausende von Menschen gelebt haben.

Ohne Flüchtlinge keine Kunden: ein Lebensmittelmarkt und eine Agentur für BargeldtransferBild: DW/P. Kouparanis

"Jetzt gehört Idomeni wieder den Rentnern", sagt Parthena mit Bitterkeit in der Stimme. Die Fünfzigjährige wird bald wieder arbeitslos sein. Als die Flüchtlinge kamen, wurde sie in dem Lebensmittelladen gegenüber dem Café eingestellt, weil das Geschäft brummte. Jetzt sei der Umsatz auf zehn Euro am Tag gefallen. Noch dramatischer ist die Situation in der Filiale der Western Union direkt daneben: Nachdem die Agentur für Bargeldtransfer Anfang März eröffnet hatte, wurde sie von rund 50 Kunden täglich aufgesucht, schätzt Giannis, der einzige Angestellte. Normalerweise zahlte man Beträge zwischen 200 und 300 Euro aus. Als sich abzeichnete, dass das Lager aufgelöst wird, waren Überweisungen von bis zu 3000 Euro keine Seltenheit. Seitdem das Camp geräumt wurde, kommt Giannis nur noch sporadisch vorbei. Er zieht die Rollläden hoch, lässt sie nach einiger Zeit wieder herunter und fährt weg. Nein, man wolle die Filiale noch nicht aufgeben, sagt Giannis: "Es könnte doch sein, dass Flüchtlinge wiederkommen. Oder?"

"Kein Rassismus"

Daran glaubt Kostas (Artikelbild) nicht. Er gehört zu den ganz wenigen, die die Petition der Einwohner von Idomeni an die Regierung, das Lager zu räumen, nicht unterschrieben hatten. Nicht nur das. Er und eine ältere Frau hatten monatelang Flüchtlinge in ihren Häusern beherbergt. Der 57-jährige Gelegenheitsarbeiter schämt sich für die Petition, denn sie sei Ausdruck von Rassismus. Die Ängste der Einwohner habe er nie verstanden. In all den Monaten, hätten die Flüchtlinge keinem einzigen Griechen ein Leid zugefügt. Die Zustände im etwa 25 Kilometer entfernten Aufnahmelager Nea Kavala in dem seine ehemaligen Gäste jetzt untergebracht sind, seien miserabel. Aber eine Antwort, wie man mit dem Problem umgehen soll, hat auch Kostas nicht. "Es war falsch, dass sie hier waren, und es ist falsch, dass sie in den Lagern sind." Er könne für sie nur hoffen, dass sie es doch schaffen, mit einem der Umverteilungsprogramme für Flüchtlinge nach Westeuropa zu gelangen.

Auf den Feldern um Idomeni zeugt nichts mehr von den Tausenden FlüchtlingenBild: DW/P. Kouparanis

Den Vorwurf des Rassismus lässt Lakis, der Besitzer des Cafés am Bahnhof von Idomeni, nicht auf sich sitzen. Um seinen Worten Gewicht zu verleihen, holt er Mahmud an den Tisch. In den vielen Monaten in denen der syrische Arzt im Camp von Idomeni wohnte, kam er täglich hierher, und sie wurden Freunde. Seit zwei Wochen, berichtet Mahmud, lebe er im Aufnahmelager Sindos bei Thessaloniki. Vor einigen Tagen habe er Lakis angerufen und gefragt, ob er ihn besuchen könne. Er sei dann mit dem Bus zur nahe gelegenen Stadt Polykastro gefahren. Lakis habe ihn mit dem Wagen abgeholt. Da er als Einheimischer bei der Polizeisperre durchgewunken wird, konnte er Mahmud nach Idomeni mitbringen. Nein, insistiert Lakis, er habe die Petition nicht aus Fremdenfeindlichkeit unterschrieben. Natürlich habe er sich in all den letzten Monaten mit den Flüchtlingen eine goldene Nase verdient. Sein Café war rund um die Uhr geöffnet und ständig überfüllt. Aber irgendwann ging es einfach nicht mehr so weiter. "Schauen sie sich um", sagt er und weist auf die fünf Greise, die dort sitzen und ihren Kaffee trinken. "Wir sind vielleicht 100 Einwohner. Fast alle sind Rentner. Wer hier an der Grenze lebt, der will seine Ruhe haben."

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