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Pianist Igor Levit

Anastassia Boutsko15. März 2012

Mit 24 Jahren wird der russische Pianist bereits als Weltstar von morgen gefeiert, die Kritiker ergehen sich in Lobeshymnen. Und er tut so, als wäre es ihm egal.

Pianist Igor Levit (Foto: Barbora Prekopova dpa/lni)
Bild: picture-alliance/dpa

"Wissen Sie, für mich ist es nichts Besonderes, Musiker zu sein", sagt Igor Levit fast streitlustig." Seitdem ich denken kann, mache ich Musik. Das ist völlig normal, das Natürlichste der Welt."

Natürlich ist auch Levits Spiel: Es ist voller Kraft und Logik und hat in jeder Note den inneren Anspruch, so und nicht anders zu klingen. Technisch brillant, seiner Sache sehr sicher und intellektuell tritt der junge Klaviervirtuose auf. Und dann kommt noch das gewisse Etwas dazu, das ausgerechnet Ludwig van Beethoven zu Levits Verbündetem macht.

Forscher am Klavier

Vier Abende hintereinander Beethovens 5. Klavierkonzert zu spielen, ist nicht einfach. Das Werk ist technisch anspruchsvoll, intensiv, emotional aufrührend und eine Herausforderung für jeden Pianisten. Igor Levit hat sich ihr gestellt; in der Düsseldorfer Tonhalle gab er unter dem Dirigenten Andrey Boreiko vier Konzerte mit den Düsseldorfer Symphonikern.

Wer das Glück hatte, Levit an mehr als einem Abend zu hören, stellte schnell fest: Er ist ein Forscher am Klavier, immer auf der Suche nach neuen Ansätzen. Das bestätigt auch Bernd Goetzke, sein Professor an der Hochschule für Musik in Hannover, die Igor Levit letztes Jahr mit der höchsten Punktzahl in der Geschichte des Konservatoriums absolvierte: "Wird man ihn irgendwann Weltstar nennen", so der ehemalige Lehrer, "wird er das billigend in Kauf nehmen und weiter arbeiten."

Levit liebt Beethovens WerkeBild: CC

Eifriger Schüler

Igor Levit wurde 1987 in Nischnij Novgorod (damals Gorki) an der Wolga geboren. Die Mutter ist Klavierlehrerin, sie war seine erste Pädagogin. Bereits als Achtjähriger kam Igor mit seiner Familie nach Deutschland und zwar nach Hannover, einer Stadt, die beim Musikernachwuchs ein begehrtes Reiseziel ist: In der Umgebung der Hochschule konzentriert sich die Crème de la Crème der europäischen Musikpädagogik.

Für Igor Levit wurde Hannover zum Ausgangspunkt. Er wollte unbedingt den "wunderbaren Hans Leygraf", wie er sagt, den schwedischen Pianisten und Klavierphilosophen kennenlernen, der in Salzburg unterrichtet. "Leygraf hat zu mir gesagt, dass er mir anbietet, bei ihm Jungstudent zu werden", erinnert sich der 24-Jährige. "Wir sind dann immer wieder von Hannover nach Salzburg gefahren- völlig verrückt. Irgendwann ist es eine untragbare Situation geworden, denn ich bin noch zur Schule gegangen." In Hannover studierte Levit bei Karl-Heinz Kämmerling, Matti Raekallio und Bernd Goetzke: "Technisch ist man nie perfekt, man lernt immer", lautet sein Motto.

Besessen von der deutschen Sprache

Igor Levit ist zweisprachig, spricht aber lieber Deutsch als seine Muttersprache Russisch. Es sei auf jeden Fall eine Bereicherung, meint er. Gerne würde er noch mehr Sprachen lernen, etwa Spanisch und Französisch. Einer Definition, ob er nun Russe oder Deutscher sei, widersetzt er sich mit Händen und Füßen: "Ich bin von klein an hier aufgewachsen", betont er. "Auf der anderen Seite ist die Bezeichnung 'deutscher Pianist' genauso Humbug. Wenn Sie es genau wissen wollen, bin ich ausnahmslos jüdischer Abstammung, in Russland geborener, in Deutschland verwurzelter, in Europa verliebter Pianist."

Igor Levit ist gern zuhause in HannoverBild: picture-alliance/dpa

Dennoch wäre seine Beethoven-Interpretation ohne eine tiefe Bindung an die deutsche Sprache undenkbar, findet Igor Levit: "Die Tatsache, dass ich mich angekommen fühle in diesem Land, ist in allerersten Linie der Sprache geschuldet. Sie hat bei mir schon als kleiner Junge Emotionen geweckt, die ich nicht beschreiben kann. Ich liebe diese Sprache über alles."

Wenn die Presse Igor Levit belagert und ihm eine Frage stellt, die ihm nicht gefällt, antwortet er einsilbig. Er lässt sich nicht aus der Deckung locken und wirkt dabei weder besonders theatralisch noch charmant. Der Begriff Antistar drängt sich auf: Igor Levit lasst sich nicht zum Medienprodukt degradieren, er überzeugt durch künstlerische Reife und virtuoses Können. Aufnahmen mit dem jungen Shooting Star sind allerdings rar; er bevorzugt eindeutig Liveauftritte.

Beethoven und die Realität

Igor Levit ist ein Musikbesessener, er kniet sich in die Arbeit: Beethovens Diabelli-Variationen zum Beispiel seien ein Werk, das er viermal am Tag spielen könne, sagt er, und stets entdecke er dabei etwas Neues. Einsam oder isoliert fühlt er sich als Solist keinesfalls, aber er würde nie einem glauben, der Floskeln wie "Musik ist mein echtes Zuhause" von sich gibt. Levits Zuhause ist eindeutig in Hannover – da, wo seine Familie und seine Freunde sind. Auch sonst ist eine enge Bindung an die Realität für ihn unverzichtbar.

"Das ist sicherlich nicht ungefährlich, weil sie die Tendenz hat, einen aufzufressen", sinniert er. "Angst ist mir fremd, nur die Gefahr unter den Eindrücken von außen zusammenzubrechen, ist extrem stark." Etwa, wenn er an seinem Instrument arbeite, Musik mache und dann seinen Laptop öffne: "Und das erste, was man liest, ist: 68 Tote nach Amoklauf auf der Insel Utoja…" Was kann man danach machen? Nur eines: auf die Bühne gehen und Beethoven spielen.

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