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Politik

Ofelia Fernández, Lateinamerikas neue Feministin

Nicolas Martin
7. März 2021

Entschlossen, wild, feministisch - Ofelia Fernández ist die jüngste Abgeordnete Lateinamerikas. Schon jetzt gilt sie vielen Frauen als Vorbild. Mit dem Erfolg kommt auch der Hass.

Julieta Christofilakis
"Du nennst mich nicht kleines Mädchen" - Die junge argentinische Abgeordnete Ofelia Fernández fordert Respekt einBild: Julieta Christofilakis

Eines ist Ofelia Fernández ganz bestimmt nicht: schüchtern. Wenn die heute 20-Jährige spricht, dann sprudeln die Worte nur so aus ihr heraus. Es geht dabei um die tief verwurzelte Machokultur in ihrem Heimatland Argentinien, in Lateinamerika, es geht um Frauenrechte und um mehr Mitbestimmung der jungen Generation in der Politik. Eine Welt, die Fernández als eingerostet, unzeitgemäß und überaltert empfindet.

"Ich erwarte, dass niemand mehr einen auf großzügig macht, indem er uns die Zukunft nennt. Sie müssen anerkennen: Wir sind die verdammte Gegenwart, und wir sind jetzt an der Reihe", sagte Fernández  in einem Wahlkampfclip im Juni 2019 auf Instagram.

Sie zieht sich die Kapuze ihres grünen Hoodies ins Gesicht. Es ist Wahlkampf und die kleine Fernández mit bemalten Fingernägeln und schulterlangen braunen Haaren will das erreichen, was vor ihr noch niemand gelang: den Sprung als jüngste Abgeordnete Lateinamerikas ins Parlament ihrer Heimatstadt Buenos Aires.

Angriffslustig und unberechenbar

Es sollte ihr gelingen. Seit Ende 2019 sitzt sie dort. Das Time Magazinbezeichnete sie im vergangenen Jahr als "Next Generation Leader" - als Anführerin der nächsten Generation. Und auch an Vergleichen fehlt es nicht - zum Beispiel mit Alexandria Ocasio-Cortez, der 31-jährigen schlagkräftigen Kongressabgeordneten aus den USA.

Ofelia Fernández, mit dem Symbol von den Feministinnen im LandBild: Barbara Leiva

Ähnlich wir Cortez ist Fernández rhetorisch unberechenbar. Etwa, als sie einen deutlich älteren Experten während eines Interviews in die Schranken weist, als der sie unterbricht mit "warte mal, chiquita" - was übersetzt kleines Mädchen heißt. Fernández gleitet in diesem Moment ein Schauer übers Gesicht. "Du nennst mich nicht kleines Mädchen", erwidert sie da prompt. Die Szene geht viral. Dreieinhalb Jahre liegt das zurück - damals besetzen Schüler aus Protest gegen die ihrer Meinung nach neoliberale Bildungsreform mehrere Schulen. Fernandez, damals 17, ist als Sprecherin ihrer Schule einem Fernsehkanal zugeschaltet.

Prominentes Gesicht der grünen Welle

Vor allem aber macht sich Fernández einen Namen als prominentes Gesicht der sogenannten "Revolution der Töchter", der argentinischen Frauenbewegung, die mit grünen Halstüchern und Fahnen für eine Legalisierung von Abtreibungen auf die Straße gehen.

Im katholischen Lateinamerika ein heißes Eisen, denn in vielen Ländern stehen Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe - selbst wenn die Schwangerschaft auf einer Vergewaltigung beruht oder mit der Geburt große Gefahren für die Frauen einhergehen.

"Ihr müsst euch damit anfreunden, dass wir selbst entscheiden, welches Leben wir führen - und dass wir nicht mit dem Leben bezahlen, wenn wir eure scheinheiligen Moralvorstellungen ablehnen", so Fernández in einer Wutrede vor Parlamentariern ein Jahr vor Beginn ihrer offiziellen politischen Karriere.

Aber die Abgeordneten hörten nicht auf sie und stimmten gegen die Legalisierung von Abtreibungen. Für Fernández und die Frauenbewegung ein Schlag ins Gesicht – denn trotz des Verbots, abgetrieben wird dennoch, dafür meist illegal unter schlechten hygienischen Bedingungen und oft auch mit tödlichen Folgen für die Frauen.

Fast zufällig zum Feminismus

Der Erfolg gelingt Fernández im zweiten Anlauf. Ende 2020 verabschiedet der Kongress das Gesetz. Abtreibungen sind nun bis zur 14. Woche legal, der Staat übernimmt die Kosten. Tausende Frauen liegen sich in den Armen, Weinen vor Freude und feiern den Sieg gegen das Patriarchat. Mittendrin auch Ofelia Fernández, die, wie sie sagt, fast ein bisschen zufällig zur Feministin wurde.

Entladene Freude über die Legalisierung von AbtreibungBild: Flor Guzzetti/REUTERS

Fernández stammt aus einer Mittelschichtsfamilie. Der Vater Musiker, die Mutter Angestellte. Sie habe schon immer nach den Gründen hinter gesellschaftlichen Zuständen gesucht, erzählt sie in einem Fernsehinterview. Als Kind habe sie sich gefragt, warum sie zu Essen hätte und andere nicht.

Schon früh beginnt sie, sich einzubringen. Mit 15 Jahren wird sie zur ersten weiblichen Präsidentin des Schülerausschusses an einer der besten öffentlichen Schulen Argentiniens.

Es ist ungefähr auch die Zeit, als die Frauenbewegung "Ni una menos" in Argentinien groß wird. Fernández geht mit auf die Straße, demonstriert gegen Frauenmorde, sexuelle Übergriffe und die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen.

Erst da habe sie überhaupt über den Feminismus nachgedacht, sagt Fernández in einem Fernsehinterview. Danach habe sich vieles verändert. "Der Feminismus ist eine Perspektive, und da musste ich auch meine Logik und Prioritäten neu durchdenken."

Mit dem Erfolg kommt der Hass

Heute ist Fernández eine Ikone für viele Frauen und eine Hoffnung für die jüngere Generation, die sich politisch kaum vertreten fühlt. Sie ist ehrlich und nahbar. Auf Instagram trällert sie auch mal vergnügt nach einem Joint vor sich hin.

Auch politisch ist Fernández direkt. Für das linke Regierungsbündnis zu kandidieren sei ihr nicht leicht gefallen, sagt sie in mehren Interviews. Aber sie hätte einfach nicht widerstehen können: "Ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass die Dinge nicht passieren. Und dafür, dass sie all das, was die jungen Menschen fordern, weiter hinauszögern können - bei der Umwelt oder beim Feminismus", so Fernández.

Als junge Abgeordnete eckt sie an. Sie fordert die Schulung von Beamten in Genderfragen, macht sich stark für eine gesunde und kostenlose Ernährung an Schulen. Ihr größter politischer Erfolg ist die Legalisierung von Abtreibungen.

Politik macht sie auch auf Instagram. Dort folgen ihr knapp eine halbe Million Menschen. Immer zeigt sie dort auch die vielen Hasskommentare gegen ihre Person. Das mache sie sehr traurig, sagte sie dem Time Magazin.

"Aber ich muss mich immer wieder daran erinnern, dass sie das nicht nur machen, damit ich zurücktrete, sondern um alle Mädchen, die mich sehen und inspiriert sind, etwas zu bewegen, davon abzubringen. Deshalb halte ich dagegen." Dafür bleibt ihr noch viel Zeit. Im April wird sie 21 Jahre - zum alten Eisen gehört sie damit noch lange nicht. 

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