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PolitikEuropa

Im Gleichschritt gegen Bosnien

Marion Kraske
12. Januar 2022

Serbische Nationalisten provozieren Konflikte im multiethnischen Westbalkanstaat. Unterstützt werden sie von Rechtsextremisten aus der Europäischen Union. Die Kritik an der passiven Haltung Brüssels wächst.

Bosnien und Herzegovina, Republika Srpska feiert 30-jähriges Jubiläum
Mit serbischer Fahne: Die Feierlichkeiten zum 30jährigen Bestehen der Republika Srpska, eines Teils BosniensBild: Miomir Jakovljevic/Anadolu Agency/picture alliance

Seite an Seite standen sie am Sonntag (9.1.) im bosnischen Banja Luka auf der Haupttribüne in der ersten Reihe: Milorad Dodik, seit Jahrzehnten der starke Mann der serbisch dominierten "Entität" Bosnien und Herzegowinas, der Republika Srpska (RS), und derzeit serbisches Mitglied im Präsidium des gemeinsamen bosnischen Staates, seine langjährige Weggefährtin, die RS-Präsidentin Zeljka Cvijanovic, der Innenminister des benachbarten Serbiens, Aleksandar Vulin, Russlands Botschafter und Mitglieder der französischen ultrarechten Partei Rassemblement National.

Vor den Rechtsextremen aus der EU und den Westbalkanländern marschierten Uniformierte im Gleichschritt vorbei: RS-Polizisten, darunter auch Sondereinheiten in Camouflage-Anzug mit rotem Barett. Die Ähnlichkeiten mit den berüchtigten serbischen Paramilitärs, die im Bosnienkrieg von 1992-95 zahlreiche Verbrechen begangen haben, ist kein Zufall. Dazu passt die Parole, die die Marschierenden in Banja Luka am Sonntag skandierten: "Für das Kreuz, für das Kreuz!"

Der martialische Aufmarsch war mehr als nur eine Parade. Er war eine Kampfansage an den bosnischen Staat und die Friedensordnung auf dem Westbalkan. Seit Monaten droht Dodik mit der Abspaltung des von ihm kontrollierten Landesteils. Seit Jahren lässt er am 9. Januar den "Tag der Republika Srpska" feiern - obwohl dies vom bosnischen Verfassungsgericht verboten wurde. Das Datum markiert die Gründung der RS im ersten Kriegsjahr 1992. Direkt danach begannen in der Region die Verbrechen gegen Nicht-Serben, die Vertreibungen, die Massenmorde, die Massenvergewaltigungen. Die Gewalt kulminierte im Juli 1995 im Völkermord von Srebrenica.

Trotz des neuerlichen Angriffs auf Bosniens staatliche Integrität fiel die Reaktion der Europäischen Union eher verhalten aus: Man verurteile die Entwicklungen, heißt es aus Brüssel, sie gefährdeten die Prosperität und Stabilität des Landes. Abseits solcher Standardformulierungen scheinen manche EU-Spitzenbeamte sogar auf Dodik zuzugehen. So etwa soll sich laut einem geleakten EU-Dokument der EU-Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi gegen Ende des vergangenen Jahres persönlich mit Dodik über den Zeitplan von dessen sezessionistischen Plänen abgestimmt haben. Konkret soll Varhelyi ausgehandelt haben, dass die RS mit der Umsetzung ihrer Anfang Dezember verkündeten Abspaltungspläne sechs Monate wartet; im Gegenzug soll Varhelyi der RS finanzielle Unterstützung durch die EU zugesichert haben. In dieser Woche protestierten 30 EU-Parlamentarier in einem Brief an die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gegen Varhelyis Vorgehen und forderten eine Untersuchung dazu.

Milorad Dodik (l.) und Viktor Orban (r.) in Banja Luka am 6. November 2021Bild: Dragan Maksimovic/DW

Varhelyis Landsmann, Ungarns Premier Viktor Orban, hatte den Sezessionisten Dodik gar jüngst in der RS-Hauptstadt Banja Luka besucht und damit seine Unterstützung für die RS demonstriert. Orban und der slowenische Premierminister Janez Jansa gelten als Masterminds eines brisanten "Non-Papers", in dem eine Aufteilung der Nachfolgestaaten Jugoslawiens nach ethnischen Gesichtspunkten gefordert wird. Zudem unterstützen beide die islamophobe Politik der serbischen Nationalisten.

"Schießt in die Moscheen!"

Seit Monaten propagiert Dodik mit immer neuen Volten eine Vereinigung der "Serbischen Welt". Der Begriff steht für eine Neuauflage der großserbischen Politik, die zu den Kriegen der 1990er Jahre führte und rund 120.000 Menschen das Leben kostete. Dodiks Republika Srpska ist ein Resultat dieser Vertreibungs- und Vernichtungspolitik. Dodik testet nun aus, wie weit er gehen kann, indem er gegen den "Geruch Sarajevos" hetzt - in der Hauptstadt Bosniens leben mehrheitlich muslimische Bosniaken.

Die Ferhadija-Moschee in Banja Luka wurde 1993 von serbischen Nationalisten gesprengt und 2016 wiedereröffnet Bild: DW/D. Maksimovic

Dodiks Hassreden bleiben nicht folgenlos: Zum orthodoxen Weihnachtsfest am 7. Januar skandierten in mehreren Städten Bosniens und Serbiens Nationalisten Hasslieder: "Es ist Weihnachten, schießt in die Moscheen!" Angehörige ethnischer Minderheiten, die im Krieg aus dem serbisch besetzten Teil Bosniens geflohen waren und nach dem Friedensvertrag von Dayton zurückkehrten, müssen erneut um ihre Sicherheit bangen.

Kritische Masse für einen neuen Krieg

"Die faschistische Rhetorik von Milorad Dodik trägt Früchte", konstatiert der Regisseur und langjährige Politaktivist Dino Mustafic auf dem Webportal tacno.net. In der RS gebe es eine kritische Masse, die einen neuen Krieg befürworte. Maßgeblich unterstützt würden Dodik und Co. dabei von Serbiens Präsidenten Aleksandar Vucic, der auch in den Nachbarstaaten Kosovo und Montenegro Unruhe stifte - ganz im Geiste des ehemaligen serbischen Machthabers Slobodan Milosevic.

Auch Russland fördert Dodiks Sezessionsgelüste. Erst im Dezember war der starke Mann der RS zu Gast beim russischen Präsidenten Wladimir Putin, der neben den Drohgebärden an der Grenze zur Ukraine nun auf dem Balkan eine zweite Front eröffnet, um die EU zu destabilisieren. Es sei kein Zufall, dass die Situation in Bosnien und der Ukraine zeitgleich eskaliere, betont die bekannte serbische Menschenrechtsaktivistin Sonja Biserko.

Zuschauen oder reagieren?

In der bosnischen Bevölkerung wächst derweil die Angst vor weiteren Provokationen. Am 10. Januar, dem Tag nach der Parade in Banja Luka, versammelten sich besorgte Bürgerinnen und Bürger vor dem Sitz des für die Einhaltung des Dayton-Friedensvertrages verantwortlichen Hohen Repräsentanten in Sarajevo und forderten lautstark Sanktionen. Auch in mehreren europäischen Städten demonstrierten Hunderte Menschen für eine harte Reaktion auf die Zündler in Bosnien.

Die bisherige Haltung der EU nennt der Filmregisseur Dino Mustafic "naiv und desinteressiert". Reuf Bajrovic, Ex-Energieminister Bosniens und stellvertretender Vorsitzender der Nichtregierungsorganisation US-Europa-Allianz, konstatiert, Dodik gehe immer genauso weit, wie es die internationale Gemeinschaft durchgehen lasse. Seit 2006, so Bajrovics Kritik, habe das Ausland keine Bereitschaft gezeigt, das Friedensabkommen von Dayton zu verteidigen. Die Parade in Banja Luka sei nur eine Folge dieser Politik.

Die USA haben indes Anfang Januar Sanktionen gegen Dodik verhängt. Die aber hält Kurt Bassuener vom Think-Tank Democratization Policy Council für nicht ausreichend. Im Gespräch mit der DW fordert der Balkanexperte "eine schnelle, starke Sicherheitsantwort" in Form einer Verstärkung der EUFOR-Schutztruppe und regelmäßige NATO-Einsätze in Bosnien. 120 NATO-Soldaten sollten umgehend dorthin verlegt werden, um den Sezessionsbestrebungen und einem potentiellen bewaffneten Konflikt den Riegel vorzuschieben.

Marion Kraske Politologin und Journalistin, 2017-2021 Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung Sarajevo.