Im Höhenflug, aber nicht abgehoben
20. November 2010Die glänzenden Umfragewerte beflügelten die Grünen auf ihrem Parteitag in Freiburg - und sie führten zu interessanten Denkanstößen, die weit über die Grenzen der Parteipolitik hinausgehen. Natürlich identifizieren sich die neuen Mitglieder, die den Grünen zurzeit in Scharen zulaufen, mit den grünen Themen, aber das alleine greift als Erklärung zu kurz. Hinzu kommt eine weit verbreitete Unzufriedenheit: In Deutschland vermissen viele Menschen die Möglichkeit, jenseits des Wahlzettels politische Prozesse ernsthaft mitzugestalten. Die Emotionen, die seit Monaten rund um den geplanten Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs hochschlagen, belegen das deutlich. Der schwer zu kontrollierende Einfluss großer Konzerne, die Verschwendung von Steuergeldern, gebrochene Wahlversprechen arroganter Politiker - alles das registrieren die Wähler seismographisch genau, und es treibt sie um.
Vor diesem Hintergrund ist es anmaßend, wenn die Regierungsparteien aktiven und kritischen Bürgern eine Blockadehaltung vorwerfen oder den Demonstranten in Stuttgart eine Verhinderungsmentalität. Genau diese Art der Bevormundung lehnen die Grünen ab: Sie selbst sind stets gewachsen an ihren Minderheitenpositionen, und mit ihnen die gesamte Gesellschaft. Dass der Umweltschutz in Deutschland heute weltweit als vorbildlich gilt, ist maßgeblich den Grünen zu verdanken - dafür ertrugen sie jahrelang geduldig Spott und Hohn.
Aufgrund ihrer eigenen Geschichte haben die Grünen eine feine Antenne für Veränderungsprozesse in der Gesellschaft, und gerade jetzt nehmen sie einen solchen wahr: Die deutsche Parteien-Demokratie ist in Teilen hohl und leblos geworden. Sie braucht neue Formen der Bürgerbeteiligung, eine moderne Verbindung der Parlamente zu den außerparlamentarischen Bewegungen, sie muss offener sein für Veränderungen. Diese Botschaft ist weit wichtiger als die Frage, ob die kleinen Grünen nun eine Volkspartei sind – natürlich nicht. Aber sie arbeiten daran, die neuen Strömungen und Ideen aufzugreifen. Und es deutet alles darauf hin, dass sich das im Jahr 2011 in guten Wahlergebnissen niederschlagen wird.
Autorin: Nina Werkhäuser, zzt. Freiburg
Redaktion: Thomas Grimmer