Kaurismäkis Flüchtlingsfilm "Die andere Seite der Hoffnung"
Jochen Kürten
29. März 2017
Wie bringt man das Thema Flucht und Vertreibung in einem Spielfilm auf die Leinwand? Einige Regisseure sind mit dem schwierigen Sujet schon gescheitert. Der Finne Aki Kaurismäki zeigt, wie man es macht.
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Aki Kaurismäkis Flüchtlingsdrama "Die andere Seite der Hoffnung"
In Berlin gab's dafür einen Silbernen Bären: "Die andere Seite der Hoffnung" des kautzigen Regisseurs begeisterte das Berlinale-Publikum. Jetzt kommt das bewegende Werk des Finnen in die Kinos.
Bild: Sputnik Oy
Zwei Männer - ein Film
Kaurismäkis Filme leben von ihren skurrilen Charakteren. Auch in seinem neuen Spielfilm setzt der finnische Regisseur wieder auf zwei wunderbare Protagonisten: den von Sherwan Haji gespielten syrischen Flüchtling Khaled Ali (l.) und den von Sakari Kuosmanen dargestellten Waldemar Wikström, der seinen Job als Vertreter von Oberhemden gerade an den Nagel gehängt hat und nun ein Restaurant eröffnet.
Bild: Sputnik Oy
Ein Finne im Glück
Zum Abschluss der 67. Berliner Filmfestspiele durfte sich der finnische Regisseur freuen. Für "Die andere Seite der Hoffnung", der am Wettbewerb des Festivals teilgenommen hatte, wurde ihm der Silberne Bär für die beste Regie überreicht.
Bild: picture-alliance/AP Images/B. Pedersen
Willkommenskultur in Finnland
Kaurismäki zeigt, wie es den Flüchtlingen überall in Europa ergeht, wenn sie nach langer, gefährlicher Reise in einem ihnen fremden Land stranden. Dazu gehören auch Gastfreundlichkeit und Willkommenskultur. Nach anfänglichen Schwierigkeiten wird Khaled vom Personal des Restaurants herzlich aufgenommen. Er bekommt dort auch Arbeit.
Bild: Sputnik Oy/M. Hukkanen
Auch die Härten werden gezeigt...
Doch Aki Kaurismäki zeigt trotz aller optimistischer und utopischer Zwischentöne auch die schmerzhaften Erfahrungen, die der syrische Flüchtling Khaled in Finnland macht. Obwohl aus dem zerbombten Aleppo kommend, wird sein Asylantrag abgelehnt. Von finnischen Neo-Nazis wird er angepöbelt und geschlagen. Auch das Leben in den Asylheimen ist hart und entbehrungsreich.
Bild: Sputnik Oy/M. Hukkanen
Kaurismäkis Stilbewußtsein
Sehenswert ist "Die andere Seite der Hoffnung" vor allem auch, weil es Kaurismäki gelungen ist, für seinen ernsten Stoff eine entsprechende Ästhetik zu finden. Der Film weist den typischen Kaurismäki-Look auf - mit Verweisen auf das Kino früherer Zeiten, einer ausgewogenen Mischung aus Humor und Ernst, wunderbar geführten Darstellern und einer originellen Musikauswahl.
Bild: Sputnik Oy/M. Hukkanen
Begeisterung in Berlin
Bei der Berlinale wurden Kaurismäki und seine Schauspieler (hier drei der Hauptdarsteller auf dem roten Teppich) schnell zu Publikums- und Kritikerlieblingen. "Die andere Seite der Hoffnung" sorgte für viele Lacher im Saal, regte aber auch zum Nachdenken an. Das Thema Flucht und Vertreibung war bei dem finnischen Regisseur in besten Händen.
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Aki Kaurismäkis "Le Havre"
Schon in seinem letzten Spielfilm hatte sich der finnische Regisseur dem Thema Flucht gewidmet - lange bevor es 2015 in Europa zu den großen Flüchtlingsströmen aus den Ländern des Nahen Ostens gekommen ist. 2011 präsentierte Kaurismäki in Cannes den Film "Le Havre", der von der Begegnung eines Schuhputzers und ehemaligen Schriftstellers und eines Flüchtlingsjungen aus Afrika erzählt.
Bild: Sputnik Oy/Marja-Leena Hukkanen
Mittelteil einer Trilogie
Nach eigener Aussage stellt "Die andere Seite der Hoffnung" Teil Zwei einer Trilologie zum Thema Flucht und Vertreibung dar. Kaurismäki, hier nach der Premiere bei der Berlinale, fragte in der deutschen Hauptstadt vor dem Hintergrund der politischen Weltlage: "Wo zum Teufel ist denn die Menschlichkeit geblieben? Wenn wir nicht menschlich sind, wozu sind wir dann überhaupt da?"
Wäre es nach den internationalen Kritikern gegangen, dann hätte "Die andere Seite der Hoffnung" bei der Berlinale die Siegestrophäe, den Goldenen Bären bekommen. Die britische Filmfachzeitschrift "Screen International" listet Jahr für Jahr auf, wie die einzelnen Wettbewerbsbeiträge der Berliner Filmfestspiele abschneiden. 2017 stand dort ganz eindeutig das Werk des Finnen an der Spitze der Kritiker-Rangliste. Doch die Jury unter Vorsitz des niederländischen Regisseur Paul Verhoeven entschied am Ende anders und verlieh dem ungarischen Beitrag "On Body and Soul" den Hauptpreis.
Freude über einen Silbernen Bären
Immerhin bekam Kaurismäki dann zum Abschluss des Festivals den Silbernen Bären für die beste Regie. Ob der Finne bei der Bären-Gala so schwer alkoholisiert war, weil er sich wegen des verpassten Goldenen Bären grämte, ist nicht überliefert. Aber wahrscheinlich hat sich Kaurismäki auch über den Silbernen Bär gefreut. Dazu hatte er allen Grund. "Die andere Seite der Hoffnung" ist einer seiner gelungensten Filme.
Einen Kaurismäki-Film erkennt man immer sofort. Es gibt wohl nur wenige Regisseure, die eine so eigenwillige, schnell zu identifizierende Handschrift haben wie Kaurismäki. Das wird auch in "Die andere Seite der Hoffnung" offensichtlich. Die Geschichte, die der Finne erzählt, vereint wieder die für ihn so typische Mischung aus trockenem Humor und skurrilem Witz, aus Melancholie und künstlicher Tristesse.
Schwere Kost - poetisch serviert
Gerade bei einem solch politisch hochaufgeladenen "schweren" Thema erwies sich Kaurismäkis eigenwilliger Regiestil als Geschenk. Wo andere Regisseure nicht selten mit erhobenem Zeigefinger und einem anklagenden Gestus daherkommen, da lässt der Finne seinen Zuschauern Raum zum Atmen. Was nutzt es, im Kino moralische Botschaften zu verkünden, seien sie nun intellektuell verbrämt oder mit Zuckerguss à la Hollywood überzogen? Das politisch ambitionierte Kino erreicht sein Publikum nachhaltiger und ehrlicher, wenn es seine Geschichte nicht mit dem Ballast einer Moralkeule beschwert.
Kaurismäki, der Meister des filmischen Understatements und des lakonischen Witzes, hat in "Die andere Seite der Hoffnung" zwei Protagonisten präsentiert, die das Berlinale-Publikum im Sturm erobert haben. Es ist ihm meisterhaft gelungen, das Thema Flüchtlingskrise zu behandeln, ohne dabei auf Härten zu verzichten oder die Realität auszublenden. "Ich würde gern die Einstellung der Finnen ändern", hat Kaurismäki in Berlin gesagt. 20.000 Iraker seien nach Finnland gekommen, viele seiner Landsleute hätten das "als Angriff empfunden, wie einen Krieg". Das habe ihn sehr erschreckt. Er habe sich mit dem Film "zu Wort melden" müssen.
Der Kanzlerin, von vielen Deutschen gerade aufgrund ihrer Flüchtlingspolitik hart angegangen, zollte er Respekt: "Ich respektiere Frau Merkel. Denn sie ist die einzige Politikerin, die zumindest an dem Problem interessiert scheint," sagte Aki Kaurismäki in Berlin.