Eskalationsgefahr: Hisbollah sperrt sich gegen Entwaffnung
20. August 2025
Wie geht es weiter mit der libanesischen Hisbollah? Die Entwaffnung der Miliz steht seit Jahrzehnten als Forderung auch in UN-Resolutionen. Konkret ist sie in dem von den USA und Frankreich vermittelten Abkommen vereinbart, dem Israel und die Regierung des Libanon im vergangenen November zugestimmt hatten, um den militärischen Konflikt zwischen der Hisbollah und Israel zu beenden.
Anfang dieses Monats dann verabschiedete das libanesische Kabinett tatsächlich einen Plan zur Durchsetzung des staatlichen Waffenmonopols bis Jahresende. Die von vielen westlichen und weiteren Staaten als terroristisch eingestufte Miliz stellt sich allerdings gegen ihre Entwaffnung. Sie interpretiere die im Abkommen festgehaltene Aufforderung "so, dass sie nur im Südlibanon gilt", heißt es in einer Analyse der renommierten "International Crisis Group" von Anfang August.
Hisbollah-Chef Naim Kassim bekräftigte vergangene Woche die ablehnende Haltung der iranisch finanzierten Schiiten-Miliz mit scharfen Worten. Die Entwaffnung diene vor allem den Interessen der USA und Israels und setze das Land einer "schweren Krise" aus. Sollte die Regierung die Konfrontation mit der Hisbollah suchen, "wird es kein Leben im Libanon geben".
Kassim warnte wörtlich vor einem "Bürgerkrieg" - was Libanons Premier Nawaf Salam zur Feststellung brachte, diese Drohungen kämen der Ankündigung eines Bürgerkriegs gleich. Auf der Plattform X und in einem Zeitungsinterview auf Arabisch betonte er: "Jede Drohung oder Einschüchterung mit Bezug auf einen solchen Krieg ist völlig inakzeptabel."
Experte: Miliz kämpft um politisches Überleben
Der Libanon litt bereits von 1975 bis 1990 unter einem blutigen Bürgerkrieg mit zehntausenden Toten. Die Erinnerungen daran sind für viele Menschen traurig und traumatisch. Die Reaktion der Hisbollah sei gleichwohl zu erwarten gewesen, meint Merin Abbass, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Beirut: "Niemand weiß, wie viele Waffen die Miliz noch hat. Das ist der einzige Trumpf, den sie noch ausspielen kann. Mit ihm kann sie versuchen, ihren politischen Einfluss hochzutreiben. Denn letztlich geht es um das politische Überleben der Miliz."
Allerdings hat die Hisbollah durch den militärischen Konflikt mit Israel im vergangenen Jahr massiv an Stärke und Einfluss verloren. Die israelischen Attacken haben nicht nur ihr Waffenarsenal schwer getroffen, sondern auch ihr Führungspersonal - an der Spitze den im September 2024 durch einen israelischen Bombenangriff getöteten Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah. Auch international hat die Hisbollah an Unterstützung verloren, so etwa im Dezember vergangenen Jahres durch den Sturz des verbündeten Assad-Regimes in Syrien. Selbst der Iran, seit Jahrzehnten Hauptsponsor der Hisbollah, vermag diese aufgrund des gekappten Landweges durch Syrien nicht mehr im bisherigen Maß zu unterstützen.
Einbeziehung Irans?
Grundsätzlich sei eine Entwaffnung der Hisbollah nicht unmöglich, aber politisch schwierig, meint der libanesische Politik-Analyst Ronnie Chatah gegenüber der DW. Er verweist auf erfolgreiche Beispiele in anderen Ländern, so etwa der IRA in Irland, der FARC in Kolumbien oder der ETA in Spanien.
Ob es tatsächlich dazu komme, sei allerdings offen, so Chatah. Eine wesentliche Voraussetzung für die Entwaffnung dürften internationale Gespräche unter Einbindung des Hisbollah-Hauptunterstützers Iran sein, argumentiert er. "Man kann sagen, dass der Iran die Führung der Hisbollah übernommen hat. Aus diesem Grund hat Ali Laridschani, der offizielle iranische Sicherheitschef, gerade den Libanon besucht." Eine Vereinbarung mit dem Iran sei eine Voraussetzung für eine Entwaffnung der Hisbollah. Politisch erscheine dies bis auf Weiteres schwer vorstellbar, doch Chatah sieht hierfür perspektivisch durchaus eine Chance: "Es könnte über ein Engagement der USA laufen, oder über die Öffnung weiterer Kanäle", meint er.
Blick nach Israel
In der Mehrheit seien die Libanesinnen und Libanesen zwar für eine Entwaffnung der Hisbollah, meint Experte Merin Abbass im DW-Gespräch. "Aber aus Sicht der meisten Bürger ist die libanesische territoriale Integrität weiterhin bedroht. Das gilt vor allem mit Blick auf Israel. Dessen Armee verletzt sehr häufig die nationale Souveränität des Landes." Seit dem Waffenstillstand vom November habe Israel das Abkommen viele Male verletzt, hinzu kämen zahlreiche gezielte Tötungen. "Zudem ist Israel weiterhin mit fünf Stellungen auf dem libanesischen Territorium präsent. Das verschafft der Hisbollah natürlich weiterhin erhebliche Legitimation", so der Experte der Friedrich-Ebert-Stiftung. Israel wirft seinerseits der Hisbollah vor, sich nicht an die Vereinbarungen zu halten und weiterhin Angriffspläne zu schmieden.
Unterschiedliche Meinungen
In der libanesischen Bevölkerung gibt es unterschiedliche Meinungen zur Frage des Hisbollah-Entwaffnung - auch wenn vor allem viele Nicht-Schiiten ihre militärische Dominanz kritisch sehen. Sie sei gegen eine Entwaffnung, sagt etwa eine Frau, die wie andere Befragte ihren Namen nicht veröffentlicht sehen will. Zwar erhalte auch die libanesische Armee militärische Unterstützung aus dem Ausland. Aber die Unterstützung der israelischen Armee sei um ein Vielfaches höher. "Darum bin ich gegen die Entwaffnung der Hisbollah. Denn der regulären libanesischen Armee fehlen einfach die Mittel zur Landesverteidigung."
Ein anderer Befragter meint, für sein Land müsse es derzeit andere Prioritäten geben: "Der Staat ist bankrott und liegt am Boden. Die Entwaffnung sollte darum am Ende des Wiederaufbaus stehen - und nicht an dessen Anfang."
Ein weiterer Libanese verweist auf die Lage im Süden des Landes. Dessen Bewohner stünden seit Jahrzehnten unter israelischem Druck. "Darum fühlen sie sich sicherer, wenn die Hisbollah noch ihre Waffen hat." Er selbst sei allerdings für eine Entwaffnung der Hisbollah - freilich mit einem Grund, der ebenfalls politische Abneigung gegen den Nachbarn erkennen lässt: "Dann hat Israel keinen Vorwand mehr für einen weiteren Krieg."
Israel selbst hatte das militärische Vorgehen gegen die Hisbollah ab Herbst 2023 mit Raketenbeschuss aus dem Libanon auf israelische Wohngebiete begründet. Tatsächlich hatte die Miliz kurz nach dem 7. Oktober 2023, dem Tag des verheerendenTerrorangriffs der palästinensischen Hamas auf Israel, damit begonnen, das Nachbarland mit Raketen zu attackieren. Zudem beschoss auch die Hisbollah nach dem Waffenstillstand noch israelisches Territorium.
Stärkung staatlicher Strukturen
In der gegenwärtigen Lage komme es vor allem darauf an, auf allen Ebenen den libanesischen Staat zu stärken, sagt Libanon-Experte Merin Abbass. "Eine glaubwürdige Souveränitätsstrategie muss dort beginnen, wo der Libanon am schwächsten ist: bei Legitimität und Leistungsfähigkeit. Diese umfasst die Reform des politischen Systems, hin zu einem säkularen System; die Rückgewinnung fiskalischer Souveränität, weniger Abhängigkeit von ausländischer Finanzierung sowie Wiederherstellung der Rolle des Staates als Hauptanbieter grundlegender Dienstleistungen."
Gerade mit Blick auf die Armee sei das jedoch schwierig, gibt Abbass zu bedenken. Denn diese sei schwach. Bis heute gilt sie als schwächer als die Hisbollah. "Darum kommt es darauf an, dass die Kräfte der UN-Beobachtungsmission UNIFIL weiterhin im südlichen Libanon präsent sind", sagt er mit Blick auf die derzeitige Diskussion um die Verlängerung von deren Präsenz. "Die libanesische Armee könnte die dort anfallenden Aufgaben allein gar nicht erfüllen. Sie wäre überfordert."
Und das könnte Israel im Zweifel sogar veranlassen, erneut in den südlichen Libanon einzumarschieren, wenn es seine Interessen durch Hisbollah-Aktivitäten bedroht sähe - einerseits. Auf der anderen Seite hat die Hisbollah selbst klar zu verstehen gegeben, dass sie zu einer Entwaffnung derzeit nicht bereit sei.
Der Libanon habe ein grundsätzliches Problem, sagt der libanesische Experte Ronnie Chatah: nämlich seine starke konfessionelle Spaltung, verbunden mit einem entsprechenden Lagerdenken. "Dieses wird auch in Zukunft anhalten. Und das wird das Land weiterhin schwächen." Dennoch müsse sich die Hisbollah zu einer rein politischen Partei entwickeln, so Chatah. Ansonsten bestehe nicht nur die Gefahr weiterer israelischer Angriffe, sondern auch die Gefahr einer weiteren Spaltung der Gesellschaft, "und zwar in einer Qualität, wie wir sie bislang nicht kannten".
Mitarbeit: Sara Hteit, Beirut.