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Ein Nacktmull kennt keinen Schmerz

11. Oktober 2016

Der Nacktmull ist ein tolles Tier: Er empfindet keinen Schmerz und altert nicht. Könnten wir uns da nicht eine Scheibe von abschneiden? Denn Hässlichkeit ist nicht alles, was ihn ausmacht - auch innere Werte zählen.

Nacktmull
Bild: AP

Superheld im Faltenkostüm

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Dieses possierliche Kerlchen hat es zu einer etwas fragwürdigen Berühmtheit geschafft. Denn oft wird der Nacktmull als "eines der hässlichsten Tiere der Welt" bezeichnet. Zusammen mit dem Blobfisch.

Ganz schön gemein - aber so ganz abstreiten lässt sich das nicht. Vielleicht fehlt ihm für den Knuddelbonus auch einfach nur ein bisschen Fell - dann würde er - ähnlich dem Hamster - bestimmt ein putziges Haustier abgegeben.

Genug geschwafelt - in Wirklichkeit würden wir uns nämlich gerne eine Scheibe vom Nacktmull abschneiden. Denn - und jetzt kommt's! - der Nacktmull ist krebsresistent, langlebig und nahezu schmerzunempfindlich. Da haben wir's!

Woran letzteres liegt, haben Forscher vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin nun im Fachmagazin "Cell Reports" veröffentlicht. Die Forscher hatten sich eine bestimmte Form des Schmerzempfindens vorgenommen - die sogenannte thermale Hyperalgesie, also eine Überempfindlichkeit gegenüber Hitze-Reizen bei einer Entzündung. Ein gutes Beispiel hierfür ist ein Sonnenbrand: Viele von uns kennen es bestimmt nur zu gut, dass selbst milde Sonnenstrahlen auf verbrannter Haut heftig schmerzen. So empfinden auch die meisten Tiere. Nur den Nacktmullen fehlt die Kopplung von Entzündung und Wärmereiz. Der Schmerz wird erst gar nicht als solcher registriert.

Robustes Kerlchen

Ein ganz bestimmter Rezeptor ist hierfür verantwortlich - der beim Nacktmull ein kleines bisschen verändert ist. Bei einer bestehenden Entzündung binden in den sensorischen Neuronen nämlich normalerweise Nervenwachstumsfaktor-Moleküle (NGF) an den Rezeptor TrkA. Dadurch wird eine Reihe von Signalen in Gang gesetzt, die die sensorischen Neuronen letztlich losfeuern lässt. Im Gehirn wird Schmerz-Alarm ausgelöst. 

Beim Nacktmull ist diese Kaskade zwar nicht ganz ausgeschaltet, aber erheblich geschwächt. Bei ihm war eine zehnmal so hohe Dosis NGF nötig, damit sie wie die anderen Tiere reagierten.

Ein Erbgutvergleich mit der TrkA-Sequenz von 26 anderen Säugetieren und fünf engen Verwandten des Nacktmulls zeigte, dass dies lediglich an ein bis drei winzigen Veränderungen bei Aminosäuren liegt, die den Rezeptor weniger empfindlich machen. "Obwohl die Nacktmull-Version des TrkA-Rezeptors fast identisch der einer Maus oder Ratte ist, gibt es einen deutlichen Effekt auf die Fähigkeit der Tiere, Schmerz zu empfinden", so Gary Lewin vom MDC.

"Außergewöhnliche Tiere"

Während die thermale Hyperalgesie bei uns einen schützenden Effekt hat - und unser verletztes oder entzündetes Gewebe vor weiteren Schäden bewahren soll - verzichtet der Nacktmull schlichtweg darauf. "Bei den Tieren ist das ein wirklich sinnvoller Schritt der Evolution", erklärt Lewin, "da sie ohnehin schon in einem ständigen Mangel leben." Der Nacktmull spart also an jedem noch so kleinen System, das für die Körperfunktion nicht dringend benötigt wird.

Lewin ist begeistert von seinen Afrikanischen Nacktmullen. Sechs Kolonien, mit insgesamt rund 130 Tieren sind im Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin zuhause und bringen die Wissenschaftler immer wieder aufs Neue zum Staunen.

So verfügen die Tiere offenbar über eine Art inneren Jungbrunnen, denn sie bekommen keinen Krebs und ihre Zellen altern kaum. Die Lebenserwartung liegt bei etwa 30 Jahren. Eine Maus hält dagegen gerade mal knapp zwei Jahre durch. Auch ungewöhnlich: die sozialen Strukturen der Nacktmulle. Ihre Arbeitsverteilung erinnert an ein Insektenvolk. 

Und die Tiere reagieren - das haben die Forscherschon 2008 herausgefunden- kaum auf chemische Reize wie Säure oder Chili-Extrakt. Auch dies lässt sich wahrscheinlich durch das extreme Lebensumfeld der Tiere erklären: Nacktmulle leben in engen, dunklen Höhlengängen, dicht gedrängt in Kolonien mit bis zu 300 Tieren. Dadurch ist der Sauerstoffgehalt der Luft sehr gering, der Kohlendioxidgehalt hingegen so hoch, dass ein Mensch in dieser Luft kaum überleben könnte. Die Schmerzforscher weisen darauf hin, dass hoher Kohlendioxidgehalt zu einer Daueraktivierung von Schmerzsensoren führt, bei den Nacktmullen sei dieser Mechanismus aber im Laufe der Evolution stillgelegt worden.

Ein bisschen Fell an den Nacktmull und er wäre gleich viel süßer, oder?Bild: picture-alliance/dpa

Schmerz lass' nach…

Aber was haben wir nun von diesen Erkenntnissen? Die Forscher hoffen, dadurch auch Einblick in das "normale" Schmerzempfinden von Säugetieren und uns Menschen zu gewinnen. "Außerdem ist gerade eine vielversprechende Phase 3-Studie angelaufen", sagt Lewin, "bei der die NGF-Funktion durch Antikörper gehemmt wird." Ist diese letzte Phase erfolgreich, könnte dabei tatsächlich ein Mittel zur Schmerzlinderung herauskommen. Lewin lacht. "Das wäre genau der Mechanismus, den der Nacktmull schon seit jeher nutzt. Er ist uns wieder mal um Längen voraus."

Auch wenn Sie nun die Begeisterung für den Nacktmull verstehen, empfiehlt Gary Lewin trotzdem nicht, den Nager als Haustier zu halten. Der Nacktmull hat sich auf extreme Lebensbedingungen eingestellt, die wir ihm nicht ohne weiteres bieten können. Bleiben wir also beim plüschigeren Hamster.

Hannah Fuchs Multimedia-Reporterin und Redakteurin mit Fokus auf Technik, digitalen Themen und Psychologie.
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