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Im Propagandakrieg wider Willen

Roman Goncharenko10. Februar 2016

Das russische Fernsehen wirft dem ZDF vor, Zeugenaussagen in einer Putin-Doku manipuliert zu haben. Der Mainzer Sender dementiert und gibt kleine Produktionsfehler zu. Der Vorfall gibt Rätsel auf.

Screenshot zum ZDF-Film "Machtmensch Putin"
Bild: ZDF

"Wir wollen keinen Propagandakrieg", sagt Robert Bachem. Der Bereichsleiter von ZDFinfo, Gesellschaft und Leben wiederholt diesen Satz in einem DW-Gespräch mehrmals. Es sieht aus, als würde der Mainzer Sender in einen Informationskrieg hineingezogen - von Russland.

Seit Wochen beschäftigen Bachem schwere Vorwürfe aus Moskau. Am 15. Dezember strahlte das ZDF eine Dokumentation mit dem Titel "Machtmensch Putin" aus. Es war ein kritischer Film, der jedoch kaum neue Fakten enthielt. Fünf Tage später warf der staatliche Sender Rossija-1 dem ZDF Fälschung vor. Ein Russe aus Kaliningrad, der im Film als freiwilliger Kämpfer für die Separatisten in der Ostukraine präsentiert wird, dementierte seine Aussagen. Er sei vom deutschen Sender bezahlt worden, um eine falsche Geschichte zu erzählen. Während das ZDF den 27-Jährigen verpixelt und unter dem fiktiven Namen "Igor" vorgestellt hatte, gaben die Russen seine wahre Identität bekannt: Juri Labyskin.

Das ZDF wies die Fälschungsvorwürfe zurück. "Wir lügen oder betrügen nicht", sagte Bachem. Die Kernfrage lautet: Kämpfte Labyskin in der Ostukraine oder nicht? Der Sender glaubt bis heute, dass er das tat. "Die Vorwürfe sind haltlos", sagte Dietmar Schumann, ZDF-Autor und ehemaliger Russland-Korrespondent, im Gespräch mit der DW. Er hatte im Sommer 2015 in Moskau ein Interview mit Labyskin geführt.

Umstrittener Zeuge: Juri LabyskinBild: ZDF

Fragen an Producer

Doch einige Fragen bleiben offen. So würden die Mainzer gerne wissen, welche Rolle der Producer Waleri Bobkow spielt, der Labyskin gefunden und mit ihm in der Ostukraine gedreht hat. Das ZDF wunderte sich, als Rossija-1 Rohaufnahmen von Labyskin ausstrahlte, die der Mainzer Sender teilweise nicht hatte. Bobkow teilte dem ZDF mit, er habe sie Labyskin als Erinnerung gegeben. "Das durfte er nicht", sagt Bachem.

Der 59-jährige Bobkow ist seit Jahrzehnten im Geschäft und betreibt in Moskau ein Filmstudio. Auf seiner Webseite präsentiert er große Namen als Kunden, darunter CNN, BBC, Arte und das ZDF. Bobkow beschreibt sich als jemand, der "exklusive Bilder in schwer zugänglichen und gefahrenreichen Zonen" besorgen kann. Manche deutsche Journalisten in Moskau sagen, er habe einen umstrittenen Ruf. Skandale mit Bobkow waren bisher aber unbekannt. "Wir haben viele gute Erfahrungen mit ihm gemacht", sagt Schumann. Der Producer sei nun aus "Angst vor Verfolgung durch den russischen Geheimdienst FSB" abgetaucht. Eine DW-Anfrage ließ Bobkow unbeantwortet.

Eine Aktion des Geheimdienstes?

Die Schnelligkeit, mit der das russische Fernsehen ein "Gegenstück" produzierte, erklärt Schumann so: "Es ist offenbar eine gezielte Aktion gegen das ZDF gewesen, das geht ohne den Geheimdienst nicht." Sein Sender habe offen gearbeitet und die russischen Behörden seien informiert gewesen, welchen Film man mache. Der Autor glaubt, Labyskin sei vom FSB "umgedreht" worden.

In der Tat gab Labyskin zu, im September 2015 vom FSB festgehalten worden zu sein. Man habe ihm mit einer Freiheitsstrafe wegen Landesverrats gedroht, sagte der Russe in einem Interview für die Bonner Fachzeitschrift Journalist. Die Reporter Moritz Gathmann und Maxim Kireev stellten in der Februar-Ausgabe ihre Recherche-Ergebnisse vor. Labyskin sagte ihnen, er habe nicht in der Ostukraine gekämpft. Sie tendieren dazu, ihm zu glauben - und vermuten, das ZDF sei von seinem Producer reingelegt worden. Feste Beweise haben sie nicht.

Auf der Suche nach Indizien

Wer die Wahrheit herausfinden möchte, kann sich nur bedingt auf Zeugen verlassen. Es ist schwer vorstellbar, dass Menschen in Russland oder in den ukrainischen Separatistengebieten Berichte russischer Medien entlarven würden, ohne ihr Leben zu riskieren. Ein Kommandeur in Donezk dementierte auf DW-Nachfrage, dass Labyskin dort gekämpft hat. Doch kann man ihm trauen? Man ist auf Indizien angewiesen.

Robert Bachem: "Wenn Labyskin lügt, ist er ein prima Schauspieler"Bild: ZDF/Carmen Sauerbrei

Nach den Vorwürfen aus Russland stellte das ZDF das volle Interview mit Labyskin ins Netz. Seine Aussagen wirken authentisch. "Wenn er lügt, ist er ein prima Schauspieler", sagt Bachem.

Und doch werfen einige Passagen im Interview Fragen auf. So sagt Labyskin, dass er zuerst zwischen Mai und Juli 2014 in der Ostukraine gewesen sei, im Bataillon "Sparta" in Donezk. Dieses Bataillon wurde aber erst später im Sommer bekannt und hat den Ruf, dass dort besonders hartgesottene Separatisten kämpfen. Es scheint ungewöhnlich, dass das Bataillon Labyskin aufgenommen hat, denn Labyskin erzählte dem ZDF, er habe nicht in der russischen Armee gedient. Auf der anderen Seite war der frühe Sommer 2014 die Zeit, als die Separatisten händeringend nach freiwilligen Kämpfern suchten.

Widersprüche zwischen Film und Interview

An einigen Stellen gibt es im nachträglich vom ZDF online veröffentlichten Interview mit Labyskin Widersprüche zum Film. In der Doku heißt es, er habe über "ein Rekrutierungsbüro für Freiwillige, das es nach Angaben russischer Behörden gar nicht gibt" den Weg in die Ostukraine gefunden. Gezeigt wird ein Sammelpunkt der russischen Armee in Kaliningrad. Im Interview sagt Labyskin aber, ein Bekannter habe ihm Kontakte in Moskau besorgt. Russland bestreitet nicht, dass seine Freiwilligen in der Ostukraine kämpfen. In den meisten Fällen werden sie jedoch über inoffizielle Kanäle dorthin geleitet. Schumann sieht hier keinen Widerspruch. Labyskin habe laut Producer Bobkow zunächst beim Rekrutierungsbüro und erst dann bei einem Bekannten nachgefragt. Der ZDF-Autor gibt jedoch zu, dass dies im Text "nicht so klar geworden" sei: "Das muss man selbstkritisch eingestehen".

Außerdem wird im Film erzählt, Labyskin habe "Frau und Kind zurückgelassen", um in den Krieg zu ziehen. Aus dem Interview geht jedoch hervor, dass es offenbar eine Freundin in Donezk und nicht in Kaliningrad gibt. "Das ist sprachlich, textlich nicht so ganz korrekt wiedergegeben worden", räumt Schumann ein.

Bild mit echtem Kommandeur

Hinweise, die doch für einen Aufenthalt Labyskins als Kämpfer in der Ostukraine sprechen, lassen sich in seinem Profil bei VKontakte finden, dem russischen Pendant zu Facebook. Ein Foto zeigt Labyskin zusammen mit einem bärtigen Mann in Uniform. Es wurde am 27. Juni 2015 hochgeladen. Wann und wo es aufgenommen wurde, ist unklar. Das Bild wurde möglichweise nachträglich digital bereinigt. Der bärtige Mann ähnelt stark einem gewissen Roman, Kampfname "Georgier", einem real existierenden Kommandeur in der Separatistenbrigade "Wostok" in Donezk. Dieser "Georgier" soll laut ZDF der Vorgesetzte von Labyskin gewesen sein. Außerdem wurden dieses und andere Fotos von Labyskin von einem gewissen Ewgeni T. mit "gefällt mir" markiert. Auch er ist ein bekannter Separatistenkämpfer.

Schließlich ist unklar, warum Producer Bobkow das ZDF hätte betrügen und sein lukratives Geschäft mit westlichen Sendern riskieren sollen. Warum einen Separatisten erfinden und ihn aufwendig für ein gefälschtes Interview trainieren, wenn es in Russland inzwischen offizielle Verbände der Freiwilligenkämpfer in der Ostukraine gibt?

Informanten besser schützen

Auch wenn der "Fall Labyskin" noch nicht abgeschlossen ist, lässt sich eine Zwischenbilanz ziehen. Das ZDF habe handwerkliche Fehler gemacht und sei für die russische Propaganda instrumentalisiert worden, sagen manche deutsche Jornalisten, die Russland gut kennen. Robert Bachem möchte weiterhin "vernünftig berichten" und sich nicht durch russische Vorwürfe provozieren lassen: "Wir haben keine Fehde mit Putin."

Eines möchte der ZDF-Bereichsleiter künftig anders machen: seine Informanten besser schützen und schon "bei der Kontaktaufnahme vorsichtiger" sein. Er habe mit einer Entwicklung wie im Fall Labyskin nicht gerechnet.

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