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Politik

Im Schilfboot übers Meer

Jodi Hilton hin
5. August 2019

Ein deutscher Experimentalarchäologe und sein Team wollen in einem prähistorischen Schilfboot von Bulgarien nach Zypern segeln. Altägyptische Händler sind ihr Vorbild. Aus Beloslaw Jodi Hilton.

Bulgarien - Archeologe plant Meeres-Reise mit Schilfbooten
Bild: DW/J. Hilton

Am Ufer des Warna-Sees in Bulgarien wird ein außergewöhnliches Schiff gebaut. Ein Team aus Europäern und Bolivianern arbeitet unter Hochdruck daran. Die Mitglieder binden, packen und schneiden Schilf unter der brennenden bulgarischen Sonne.

Das halbmondförmige Segelboot besteht hauptsächlich aus Schilf, das in zwei großen Containern vom Titicacasee in Bolivien hergebracht wird. Kopf des Teams ist Dominique Görlitz. Der 53-jährige deutsche Experimentalarchäologe plant seine vierte Expedition in einem prähistorischen Schilfboot mit der "Abora IV". Er und seine Mitstreiter wollen von Bulgarien nach Zypern segeln und beweisen, dass Händler schon im Altertum von Ägypten bis ins Schwarze Meer und zurück fuhren.

Dabei brachten die Seeleute aus dem Kaukasus Eisen nach Ägypten, das für den Bau der Pyramiden gebraucht wurde, erklärt Görlitz. Er gehörte zu einer Gruppe von Wissenschaftlern, die Eisenspuren in den riesigen Blöcken der Cheops-Pyramide von Gizeh untersucht haben. Die Pyramide stammt aus dem dritten Jahrtausend vor Christus, rund tausend Jahre bevor nach herrschender Meinung die Eisenzeit begann. Görlitz sieht darin einen Beleg dafür, dass Eisenwerkzeuge benutzt wurden, um die schweren Quader zu heben, so wie es der griechische Geschichtsschreiber Herodot darstellt.

Arbeit unter Hochdruck: Dominique Görlitz und sein Team auf der "Abora IV"Bild: DW/J. Hilton

Mit früheren Expeditionen hat Görlitz gezeigt, dass es möglich ist, mit antiken Schilfbooten von Sardinien nach Elba zu segeln (1999), von Alexandria im Nildelta nach Zypern (2002) und von New York auf die Azoren (2007). Seine Hypothese: Prähistorische Menschen reisten in die Neue Welt und zurück und brachten Kokain und Tabak nach Nordafrika. Der Archäologe fand Spuren von beidem neben ägyptischen Mumien.

Schifffahrtsrouten der Steinzeit

Im Laufe des Augusts will das Team mit dem 14-Meter-Schilfboot "Abora IV" aufbrechen und von Warna in Bulgarien rund 3000 Kilometer bis nach Zypern zurücklegen, durch den Bosporus und die Dardanellen bis in die Ägäis. "Das ist das stabilste Boot, das Sie sich vorstellen können", erklärt Görlitz und zeigt auf die vorgeschichtliche Zeichnung eines Bootes aus Ägypten, die ihm Anregungen gegeben hat.

Schon vor Jahrtausenden konnten prähistorische Segler navigieren und sogar gegen den Wind kreuzen, indem sie das benutzten, was Görlitz eine "Geheimwaffe" nennt: Seitenschwerter, eine Art verstellbarer Kiel, die am Rumpf befestigt sind und unter Wasser anderthalb Meter gehoben oder gesenkt werden können, um jedes Manöver zu kontrollieren und zu stabilisieren.

Die Wahl Warnas als Ausgangspunkt der Reise verweist auf die Existenz der Warna-Kultur, die 4300 Jahre vor Christus zurückreicht, als Warna ein wichtiger Handelshafen am Schwarzen Meer war. Bewohner der griechischen Insel Limnos reisten nach Warna und brachten die Schalen wertvoller korallenfarbiger Stachelaustern mit, die von dort nach ganz Europa kamen und in mehreren archäologischen Stätten gefunden wurden, auch in Deutschland. Handelsrouten, die kreuz und quer über das Mittelmeer und das Schwarze Meer verliefen, ebneten ganz entscheidend den Weg für technologische und kulturelle Errungenschaften. Sie waren die Fernstraßen für den Transport des Rohmaterials, das fortgeschrittene Zivilisationen jener Zeit brauchten.

Auf Thor Heyerdahls Spuren

Den Bootsbau beaufsichtigt ein Team aus Bolivien: Fermin Limachi, 50, und sein Sohn Yuri, 25 Jahre alt. Sie sind indigene Aymara und Experten für die Konstruktion der traditionellen Totora-Schilfsegler und -kanus auf dem Titicacasee. Sie stammen aus einer Bootsbauerfamilie: Fermins Vater gehörte zu dem Team, das "Ra II" baute, das Papyrusboot, mit dem der berühmte norwegische Forscher Thor Heyerdahl 1970 über 6100 Kilometer von Marokko nach Barbados segelte.

Fermin Limachi wuchs auf einer kleinen Insel im Titicacasee auf. Als er sieben Jahre alt war, begann er, sein Handwerk zu lernen und mit seinem Vater und seinen Großvätern Totora-Schilfboote zu bauen. Anders als damals sind heutzutage die meisten Boote auf dem Titicacasee aus Holz oder Fiberglas, erzählt er: "Es gibt nicht mehr viele Menschen, die wissen, wie man Totora-Boote baut." Er arbeitet seit 2001 mit Görlitz an seetüchtigen Schilfschiffen. "Dies ist das erste Mal, dass wir ein Boot mit Material vom Titicacasee in einem anderen Land bauen", sagt Fermin Limachi. Die vorherigen Boote wurden am See in Bolivien hergestellt und dann zum Ausgangspunkt der Reise transportiert.

Bearbeiten des Schilfs: So wird Luft aus dem Rohr gedroschenBild: DW/J. Hilton

Totora gehört zu den Teichbinsen. Es wächst im Westen des amerikanischen Kontinents und auf der Osterinsel. Für den Bootsbau wird es zu dicken Bündeln verschnürt, die schließlich in Form einer Banane zusammengebunden werden. Danach verbringen die Schiffsbauer Stunden damit, die Bündel noch enger zusammenzufügen, indem sie mit einem Baseballschläger-ähnlichen Werkzeug auf sie eindreschen, um die Stängel zusammenzupressen. Gleichzeitig zurren sie die Seile um die Bündel noch fester, bis die meiste Luft herausgepresst ist. So werden die Boote haltbarer, bekommen mehr Auftrieb und nehmen weniger Wasser auf.

Sobald der Rumpf seine Form hat, wird ein zwölf Meter hoher zweibeiniger Mast errichtet. Dabei hilft ein Kran, der auch die beiden handgefertigten Papyrusschilf-Kabinen an Deck hievt, in denen die Crew schlafen wird. Von einer Rampe wird das Schiff in den Warna-See gelassen, wo es bald Probeläufe gibt, bevor das Team das offene Meer ansteuert.

Kabinenbau: Das Schilf wird am Gerüst befestigtBild: DW/J. Hilton

Eine Herausforderung, riesengroß und befriedigend

"Den ganzen Tag zu hämmern und zu ziehen, das erschöpft einen sehr", sagt Mark Peels, ein 42-jähriger niederländischer Elektriker und Windsurfer. Er hat als Kind von Thor Heyerdahls Expeditionen gehört und seitdem davon geträumt, auch so eine Reise zu machen. Für Peels geht das Abenteuer auf See weiter. Er vergleicht es mit dem Besteigen von hohen Gipfeln wie dem K2 zwischen China und Pakistan oder dem Kilimandscharo in Tansania. "Es ist die ganze Zeit harte Arbeit", so Peels, "aber das ist es wert."

Team-Mitglied Heike Vogel, eine 35-jährige Deutsche aus der Nähe von Chemnitz in Sachsen, hat den größten Teil des Tages damit verbracht, ein Seil entlang der Reling zu befestigen. Sie benutzt ein V-förmiges handgefertigtes Holzwerkzeug aus Bolivien, um das Seil durch das Schilfrohr zu fädeln.

Mühsame Arbeit: Ein Seil durch die Reling der "Abora IV" ziehenBild: DW/J. Hilton

Heike Vogel hat schon 2002 in Ägypten mit Dominique Görlitz zusammengearbeitet. In New York war sie erneut in seinem Team und half, die Kabinen für den Bootsrumpf zu bauen, der in Bolivien vorgefertigt worden war. "Normalerweise sitze ich am Computer oder spreche am Telefon mit Kunden", sagt Heike Vogel, die für einen Paketzusteller arbeitet. "Jetzt werde ich zum ersten Mal auf so einem großen Boot auf See sein." Sie will zwei Wochen lang mitfahren, bevor sie nach Hause zurückkehren muss: "Und ich will am liebsten gar nicht wieder arbeiten gehen."

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