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Film

"Im Westen nichts Neues": Filmpremiere vor 90 Jahren

Antje Allroggen
21. November 2020

Die Verfilmung des Literaturklassikers von Erich Maria Remarque wurde mehrfach zensiert. Am 21. November 1930 kam er zum ersten Mal in die deutschen Kinos.

Filmszene aus "Im Westen nichts Neues" zeigt die Westfront des Ersten Weltkriegs: Deutsche Soldaten ergeben sich
"Im Westen nichts Neues": Deutsche Soldaten ergeben sich an der Westfront Bild: picture-alliance/akg-images

Es war der bis dahin größte Erfolg in der deutschen Literaturgeschichte: Erich Maria Remarques Antikriegs-Roman "Im Westen nichts Neues" war am 29. Januar 1929 erschienen. Nur wenig später wurde er in 26 Sprachen übersetzt. Allein in Deutschland waren im darauffolgenden Sommer schon mehr als eine Million Exemplare verkauft.

Mitten in einer Zeit, in der die Nationalsozialisten ihre Machtübernahme mit nationalem Pathos vorbereiteten, feierte in Deutschland ein Roman über die Gräuel des Ersten Weltkrieges Erfolge. Das gefiel den Nationalsozialisten nicht. Sie ließen verbreiten, dass sich der Autor Remarque einen falschen Familiennamen gegeben habe und eigentlich Kramer heiße. Und sie behaupteten, er sei französischer Jude und als Soldat gar nicht an der Front im Ersten Weltkrieg gewesen.

Nazi-Proteste gegen "Im Westen nichts Neues"

Wenig später wurde der Roman von einer US-amerikanischen Produktionsfirma unter der Regie von Lewis Milestone bereits verfilmt. Die US-Produktion wurde am 21. November 1930 von der Obersten Filmprüfstelle in Berlin für das deutsche Publikum zugelassen.

Die Uraufführung des Films, der im englischen Original "All Quiet on the Western Front" heißt, fand im Berliner Mozartsaal in einem großen Gründerzeitgebäude statt. Die liberale Vossische Zeitung schrieb dazu, das Publikum sei über den Film tief erschüttert gewesen und habe nach Vorführungs-Ende den Saal "still und im Innersten aufgewühlt" verlassen. Noch nie habe ein Filmwerk "so unmittelbar auf die Zuschauer gewirkt".

Im Premierenpublikum saßen auch viele prominente Zuschauer. Der sozialdemokratische Minister Preußens für Inneres und Kultur war erschienen, ebenso der Botschafter der USA, und auch bekannte Intellektuelle wie Alfred Döblin, Carl Zuckmayer, George Grosz und Egon Erwin Kisch.

Die Verfilmung von "Im Westen nichts Neues" gefiel den Nazis überhaupt nichtBild: picture-alliance/AKG

Stinkbomben gegen die Aufführung des Films

Das Erstaunen und Entsetzen war groß, als bei einer weiteren Filmvorführung am Berliner Nollendorfplatz, dieses Mal für die breite Öffentlichkeit, die Aufführung plötzlich abgebrochen wurde: Unter das Publikum hatten sich NS-Schlägertruppen gemischt, die lautstark die Absetzung des Streifens forderten.

Die SA-Leute ohrfeigten angebliche Juden, warfen Stinkbomben ins Publikum und setzten sogar Mäuse im Kinosaal aus. Reichstagsabgeordnete der NSDAP nutzen ihre parlamentarische Immunität aus und drängten das Publikum aus dem Lichtspielhaus. Die Polizei räumte schließlich den Saal.

Eingefädelt hatte diese Störaktion Joseph Goebbels, damals noch NS-Gauleiter von Berlin-Brandenburg. Remarques wenig heldenhafte Sicht auf den Krieg schadete seiner Meinung nach der gerade so erfolgreichen NS-Ideologie. Auf dem Berliner Wittenbergplatz hielt er deshalb eine flammende Hassrede gegen den Film.

An den darauffolgenden Tagen konnten die Filmvorführungen nur noch unter massivem Polizeischutz stattfinden. Im Dezember 1930 wurde dem Film dann "aus Sicherheitsgründen" die Zensurfreigabe von der Obersten Filmprüfstelle wieder entzogen. Im Januar 1933 wurde "Im Westen nichts Neues" vom Hitler-Regime gänzlich verboten. Der jüdische Kinobetreiber Hanns Brodnitz geriet später ins Visier der Nationalsozialisten und wurde nach Auschwitz deportiert.

Schonungslose Darstellung des Krieges

Das alles tat der Beliebtheit des Films und des Romans beim Publikum und bei den Kritikern keinen Abbruch, im Gegenteil. Was "Im Westen nichts Neues" so schnell populär machte, war seine schonungslose Darstellung des Geschehens an der Front: Erzählt wird die Geschichte des jungen Gymnasiasten Paul Bäumer vor seinem Kriegseinsatz an vorderster Linie. Zu dieser Zeit ist die Stimmung im Deutschen Reich noch sehr euphorisch. So auch in der Schulklasse von Paul. Dessen Lehrer vertritt einen politischen Nationalismus. Er versucht, seine Schüler für das "Sterben fürs Vaterland" zu begeistern.

Streit um eine Scheibe Brot - Filmszene aus "Im Westen nichts Neues"Bild: picture-alliance/dpa

Tatsächlich melden sich Paul und seine Mitschüler freiwillig für die Armee. Doch schon wenig später erfolgt an der Front die Ernüchterung: Paul verwundet bei einer Attacke einen französischen Soldaten. Daraufhin versucht er, dessen Leben zu retten und bittet ihn um Vergebung. Dann wird Paul selber verletzt und landet in einem katholischen Hospital.

Auf seinem Heimaturlaub besucht er noch einmal seine alte Schule und seinen Lehrer, der ihn für den "deutschen Heldenmut" lobt. Bäumer berichtet jedoch desillusioniert und nahezu drastisch von seinen Kriegserlebnissen. Er bezeichnet es als Fehler, in den Krieg gezogen zu sein. Daraufhin beschimpfen ihn Lehrer und Schüler als Angsthasen.

"Nichts am Sterben ist süß"

Von dieser Reaktion enttäuscht, kehrt Paul an die Front zurück. Dort sind viele seiner Kameraden gefallen. Die letzte Szene spielt im Herbst 1918, wenige Tage vor Kriegsende. Im Schützengraben greift Paul spontan nach einem Schmetterling. Dabei wird er von einem französischen Soldaten erschossen. "Nichts am Sterben ist süß", sind die letzten Worte Bäumers, mit denen der Film endet.

Der Filmkritiker Siegfried Kracauer attestierte dem Film seinerzeit, den Krieg wahrlich "nicht schmackhaft" zu machen. Diese Schonungslosigkeit hatte es bis zu diesem Zeitpunkt in der noch jungen Filmgeschichte nicht gegeben. Der Opfergang einer "verlorenen Generation" wird mit einer unerbittlichen Dramaturgie äußerst realistisch nachgezeichnet.

Mit zwei Oscars ausgezeichnet

Regisseur Lewis Milestone, der aus einer jüdischen Familie aus der russischen Ukraine stammte, die vor dem Ersten Weltkrieg in die USA übergesiedelt war, stand für die Realisierung des Kinofilms ein für damalige Verhältnisse üppiges Budget von 1,2 Millionen US-Dollar zur Verfügung.

Milestone arbeitete mit aufwendigen Kamerafahrten, Gegenschnitten und Bild-Perspektiven, die den Zuschauer unmittelbar in das Geschehen hineinziehen. Eine realistische Abrechnung mit dem Krieg und seiner als sinnlos empfundenen Tötungsmaschinerie, die es bis dato noch nicht gegeben hatte. 1930 wurde der Film mit zwei Oscars ausgezeichnet - als bester Film und für die beste Regie.

Erich Maria Remarque in seinem Haus am Lago MaggioreBild: picture alliance/dpa/DB

Diesem internationalen Erfolg hielt selbst die krude Kulturpolitik der Nationalsozialisten nicht stand: 1931 gelangte dann eine stark gekürzte und zensierte Fassung in die deutschen Kinos, die allerdings nur "für bestimmte Personenkreise und in geschlossenen Veranstaltungen" aufgeführt werden durfte. Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 wurde der Film schließlich verboten.

Einer der 100 besten Filme der Filmgeschichte

Und selbst nach Kriegsende 1945 konnte man den Film nur in bearbeiteten und stark gekürzten Versionen sehen: Als "Im Westen nichts Neues" 1952 endlich wieder in die deutschen Kinos kam, war das immer noch um eine Fassung, in der die Schlüsselszenen bewusst fehlten.

Erst 1983/84 konnte sich das deutsche Publikum ein Bild vom amerikanischen Original machen, wenn auch nur im Deutschen Fernsehen. Dafür in einer neu synchronisierten Urfassung der US-amerikanischen Produktion..

Nicht nur in Deutschland war der Milestones Original-Film zeitweise verboten. Auch in Österreich und in Frankreich, selbst in den USA kursierten lange nur gekürzte Versionen. Aber all diese Versuche der Verunglimpfung und Zensur taten dem Welterfolg des Antikriegs-Films keinen Abbruch: Nach wie vor gilt "Im Westen nichts Neues" unter der Regie von Lewis Milestone als einer der besten 100 Filme in der amerikanischen Filmgeschichte.

"Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque

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