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Immer mehr Kinder mit Diabetes Typ 1

Gudrun Heise
14. November 2018

"Hättest du nicht so viel Süßes gegessen, dann hättest du auch keinen Diabetes." Vollkommen falsch. Diabetes Typ 1 hat man oder hat man nicht, und manche haben ihn schon im Kindesalter.

Arzt setzt einem Kind eine Insulinspritze
Betreuer zeigen, wie die Insulinspritze funktioniert Bild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Diabetes Typ 1 hat nichts mit ungesunder Ernährung zu tun, auch nicht mit zu wenig Bewegung. Es ist eine Autoimmunerkrankung, und die kann auch junge Menschen treffen. "Die meisten Kinder erkranken im Kleinkindalter oder vor der Pubertät", erklärt Professor Andreas Neu. Der Kinder- und Jugendmediziner leitet die pädiatrische Diabetologie am Universitätsklinikum Tübingen. "Etwa 30.000 Patienten im Alter von unter 20 Jahren gibt es allein in Deutschland, und es werden immer mehr", sagt Neu.

Verschiedene Hypothesen

Die Ursachen für den Anstieg von Diabetes Typ 1 bei Kindern und Jugendlichen sind nicht klar. Es gibt verschiedene Hypothesen: Die Lebensbedingungen haben sich geändert und die Umwelt. Wir und natürlich auch unsere Kinder ernähren uns anders als früher. "Wir können die Entwicklung nicht auf eine einzige Ursache reduzieren", gibt Neu zu Bedenken. Das hat Diabetes Typ 1 mit vielen anderen Autoimmunerkrankungen gemein.

Erste Symptome

"Wenn ein Kind plötzlich beginnt, viel zu trinken und viel Wasser zu lassen, dann muss der Weg zum Kinderarzt führen", rät Neu. "Das Kind ist vielleicht nicht mehr so leistungsfähig und verliert an Gewicht. Das sind die klassischen Symptome, die auch schnell zu einer Diagnose führen." Der Durst entsteht, weil der Körper die Glukose nicht mehr verwerten und in Energie umwandeln kann. Die Glukose wird über die Nieren ausgeschieden und zieht Wasser nach sich. Der Körper dehydriert und signalisiert durch ein starkes Durstgefühl, dass er Flüssigkeit braucht. 

Mehr dazu: Kinder-Diabetes – das Experten- Gespräch

Insulin ist ein lebenswichtiges Hormon

Wichtiges Hormon

Bei Diabetes Typ 1 herrscht ein absoluter Insulinmangel. Dieses Hormon, das den Blutzucker senkt, müssen die Betroffenen von außen zuführen. Es ist lebenswichtig, um Zucker aus dem Blut in die Zellen weiterzuleiten. Bei Diabetes Typ-1 greift das körpereigene Immunsystem die sogenannten Beta-Zellen an und zerstört sie. Diese Zellen registrieren den Blutzuckergehalt, produzieren Insulin und schütten es aus. Ist die Bauchspeicheldrüse geschädigt und kann kein eigenes Insulin mehr produzieren, steigt der Zuckerspiegel im Blut an. Auf Dauer können erhöhte Zuckerwerte wiederum unterschiedliche Organe schädigen. Es kann zu schweren Stoffwechselstörungen und Folgeerkrankungen kommen.

Überzuckerung

Der langfristig zu hohe Blutzucker führt dazu, dass sich in den Blutgefäßen Ablagerungen bilden. Sie sind ähnlich wie bei einer Arteriosklerose. Die Organe werden damit im Extremfall nicht ausreichend mit Blut versorgt. Das führt zu Folgeerkrankungen. Das sind beispielsweise Erblindung, Niereninsuffizienz und auch Beinamputationen. "Wir erleben immer wieder Krisen und auch schwere Stoffwechselentgleisungen, die potentiell lebensbedrohlich sein können", sagt Neu. In unserer Praxis haben wir zum Glück noch keinen Todesfall bei Diabetes Typ 1 in den letzten 30 Jahren erlebt."

Unterzuckerung

Eine Unterzuckerung kann zunächst einmal drei Ursachen haben: Erstens gibt es zu viel wirksames Insulin im Körper, zweitens ist der Verbrauch bei gesteigerter körperlicher Aktivität zu hoch und drittens der Patient isst zu wenige Kohlehydrate. 

Mehr zum Thema:Diabetes Typ 2: Frühstück mit Kaffee gut gegen Zuckerkrankheit

Der Blutzucker muss regelmäßig und konsequent gemessen werden Bild: Fotoimpressionen/Fotolia

Ein Blutzuckerabfall von unter 60 mg pro Deziliter wird üblicherweise als Unterzucker klassifiziert. "Das kann sich durch Schweißausbrüche, zittrige Knie, Herzklopfen, Ängstlichkeit  oder Aggressivität zeigen, aber auch durch Verwirrtheit oder Bewusstseinsverlust. Das ist individuell sehr unterschiedlich", so Neu. Sinkt der Blutzucker zu stark, müssen Diabetiker schnellstmöglich etwas essen, am besten Kohlehydrate, die schnell ins Blut gehen. Traubenzucker oder Apfelsaft sind ideale Retter. 

Lebenslange Therapie

Wenn die Diagnose bei Kindern oder Jugendlichen 'Diabetes Typ 1' lautet, gerät die Lebensplanung meist aus dem Gleichgewicht. Sie brauchen besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung, denn der Diabetes greift in alle Lebensbereiche des Alltags ein. Für junge Menschen bedeutet das zunächst einmal zu begreifen, dass ihre Erkrankung chronisch ist und sie ihr ganzes Leben damit zurechtkommen und Medikamente nehmen müssen. 

"Der Alltag des Kindes ist stark geprägt vom Typ 1 Diabetes, denn die Insulindosis muss an verschiedene Situationen und Umstände angepasst werden", erläutert Neu. "Menschen mit Diabetes müssen regelmäßig ihre Blutwerte kontrollieren und sich Insulin spritzen", so Neu. Das geschieht entweder mit einer Spritze oder einem sogenannten Pen. Gespritzt wird subkutan, also unter die Haut. Eine andere Möglichkeit ist eine Insulinpumpe, die regelmäßig Insulin ins Gewebe abgibt.

Schwierige Lebensphase

Neben der medizinischen Betreuung geht es gerade bei jungen Menschen auch um deren Psyche. "Zu unserem Team gehört eine Sozialpädagogin und eine Psychologin. Psychologische Betreuung ist Teil der Behandlung. Es gibt regelmäßige Termine in der Diabetes-Sprechstunde. Dabei bieten wir den Jugendlichen an, einfach mit uns zu reden", sagt Neu. In diesen Gesprächen würden Probleme besprochen, mit denen sich die meisten jungen Diabetiker beschäftigen wie zum Beispiel: "Wie gehe ich mit meinem Diabetes in der Öffentlichkeit um?"

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Nicht immer ganz einfach für Jugendliche mit Diabetes Typ 1: Die Krankheit erfordert viel DisziplinBild: picture-alliance

Die Krankheit für sich zu akzeptieren, ist eine Sache, sich darüber mit Freunden und Bekannten auszutauschen, eine ganz andere. Wie erkläre ich, dass ich manchmal den Unterricht verlasse, warum ich sechs bis achtmal am Tag etwas essen muss? Werden die anderen das verstehen?

Eine kritische Phase bei Jugendlichen ist die Pubertät. "In diesem Lebensabschnitt wird den Heranwachsenden nochmal sehr bewusst, dass sie eine chronische Erkrankung haben, und in der Pubertät will man nicht anders sein als die Altersgenossen. Da stört der Diabetes oft ganz enorm", sagt Neu.

Im ungünstigsten Fall kann das dazu führen, dass sowohl die Blutzuckermessungen wie auch die Insulininjektionen vernachlässigt oder ignoriert werden." Im Extremfall könne das zu einer schweren Stoffwechselentgleisung führen, die durchaus lebensgefährlich sein kann.

Vieler solcher Situationen könnten vermutlich vermieden werden, wüssten mehr Menschen wie sie einem Diabetespatienten im Ernstfall helfen können und wenn sie sich von einem Mythos verabschiedeten, der noch immer in vielen Köpfen ist und der falsch ist. "Beim Typ 1 Diabetes ist die Entstehung in keiner Weise verschuldet oder mitverantwortet", betont Diabetologe Neu. "Es liegt nicht an Übergewicht, und es liegt auch nicht an mangelhafter Bewegung. Typ 1 Diabetes entsteht quasi schicksalhaft."

 

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