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Verwohnen zum Nulltarif

20. Oktober 2010

Wohnen ohne zu zahlen - immer wieder gelingt es so genannten Mietnomaden, in Wohnungen oder Häuser einzuziehen und dann die Miete schuldig zu bleiben. Die Vermieter bleiben oft auf dem Schaden sitzen.

Total verdreckte und vermüllte Toilette in einer Wohnung (Foto: dpa)
Die Mietnomaden sind weg...Bild: DPA

Die Anzahl der Mietnomaden in Deutschland kann nur geschätzt werden, weil es keine offiziellen Statistiken an zentraler Stelle dazu gibt. Schätzungen der Vereinigung "Haus und Grund", in der sich Haus- und Wohnungseigentümer zusammengeschlossen haben, gehen aber von 15.000 bis 100.000 Fällen aus.

Das Vorgehen des klassischen Mietnomaden läuft nach den Schilderungen von Betroffenen meist so ab: Ein Mann zwischen 30 und 45 Jahren erscheint als Mietinteressent. Meist gibt er sich als alleinstehend aus, hat eventuell eine Partnerin, aber selten Kinder. Er fährt mit einem großen Auto vor und behauptet, gut zu verdienen, gar selbständig zu sein. Er wirkt symphatisch und vertrauenserweckend. Er zahlt vielleicht noch eine erste Miete, aber dann kommt nichts mehr. Auf Mahnungen wird nicht reagiert, Versuche der Vermieter, persönlich Kontakt aufzunehmen, werden abgeblockt oder mit Gewaltdrohungen beantwortet.

Mietnomaden wirken oft sehr seriösBild: Fotolia/Andres Rodriguez

Vertrauen ist ein Fehler

Es klappt immer wieder: Wohnen zum Nulltarif, die Eigentümer bleiben meist auf dem Schaden sitzen.Bild: BilderBox

Daniel Turner ist als Vermieter auf so einen Mietnomaden hereingefallen. Turner musste einen Anwalt engagieren, um die ausstehenden Mieten einzufordern. Das blieb über sechs Monate erfolglos. Eines Tages reichte es Turner. Er sperrte die Wohnung auf und musste mit Entsetzen feststellen, dass sie total zugemüllt und verlassen war.

Hinterlassenschaften in einem WohnraumBild: AP

"Da hat man fast dreißig Jahre als Handwerker gearbeitet, hat jeden Cent gespart, ist Jahre nicht in Urlaub gefahren - und dann macht einer so etwas kaputt" schimpft der geprellte Vermieter. Sein Schaden liegt bei rund 15.000 Euro: Entgangene Miete von einem halben Jahr, Anwalts- und Verfahrenskosten. Die Sanierung der Wohnung kostet Geld, und die Müllabfuhr noch einmal extra. Alles nur, weil Turner den Mieter vor dem Einzug nicht hart genug geprüft hatte. Das aber trauen sich gerade private Vermieter in Deutschland kaum noch, denn längst gibt es einen immer größer werdenden Leerstand von Wohnungen: Heute elf Prozent, Tendenz steigend.

Abhilfe kann nur Kontrolle im Vorfeld eines Mietverhältnisses schaffen. Wer etwas über seine Mieterknadidaten erfahren möchte, erkundigt sich mittlerweile beim früheren Vermietern. Eine umfassende Datenbank über Mietpreller gibt es aber nicht. Der Auf- und Ausbau von Dateien mit Warninformationen über Mieter verstößt in der Regel gegen das deutsche Datenschutzgesetz. Dieses Gesetz soll verhindern, dass unschuldige Mieter zu Unrecht verdächtigt werden und womöglich keine Wohnung mehr erhalten. Folglich ist vorgeschrieben, dass eine Mieterdatenbank stets durch einen Datenschutzbeauftragten auf den Wahrheitsgehalt kontrolliert wird.

Mietnomaden erhalten Rückendeckung

Der Mietvertrag wird unterschrieben, Miete gezahlt wird nichtBild: picture-alliance / Sven Simon

Die gemeldeten Fälle von Mietnomaden nehmen in Deutschland deutlich zu. Im Verein "Haus und Grund" haben sich über eine Million Vermieter zusammengeschlossen und informieren sich inzwischen gegenseitig über die Daten aus der Deutschen Mieterdatenbank. Trotzdem häufen sich die Fälle, wie "Haus und Grund" registriert. Präsident Rüdiger Dorn macht dafür auch gesamtgesellschaftliche Veränderungen verantwortlich. In Zeiten, in denen sich Banker bereichern, Politiker nur wenig dagegen unternehmen, sinke die Hemmschwelle auch bei den Bürgern:

"Ich will nicht sagen, dass sich unsere Gesellschaft generell zum Schmarotzertum verändert hat, aber es gibt sicher viele Fälle, wo man einfach von Schmarotzertum sprechen muss."

Man würde in einem Rechtsstaat wie Deutschland vermuten, dass man sich gegen Mietnomaden wirksam und schnell wehren kann. Dem ist aber nicht so. Das Mietrecht stammt noch aus den 1950er und 1960er Jahren, einer Zeit, in der Wohnungen Mangelware waren und das Recht des Mieters vor einem überraschenden Rauswurf gestärkt werden musste. So darf der Vermieter heute ohne Genehmigung des Mieters nicht einmal seine eigene Wohnung betreten. Wenn er sie gar räumen lässt, weil keine Miete gezahlt wurde, macht sich der Vermieter sogar strafbar. Es bleibt nur der Weg zu den Gerichten. Kai Warnecke, der stellvertetende Generalsekretär der Vereinigung "Haus und Grund" allerdings weiß von Missständen auch dort.

Die Fälle stapeln sich, die Verfahren dauern sehr langeBild: picture-alliance/dpa

Deutsches Rechtssystem zu langsam

"Wir haben in Deutschland Fälle, in denen über Monate nicht ein einziger Gerichtsvollzieher in einem Gerichtsvollzieherbezirk aktiv ist, weil die Stellen nicht besetzt sind oder weil alle vorhandenen Gerichtsvollzieher krank sind. Wir haben Fälle, wo Gerichte überlastet sind, weil zu wenig Personal vorhanden ist, wo einfachste Räumungsprozesse sich über Jahre hinziehen", berichtet Warnecke. Fälle von vier bis fünf Jahren für ein Verfahren gegen Mietnomaden sind keine Seltenheit.

Was viele Vermieter zudem ärgert: Mietnomaden haben immer wieder die gleichen Rechte, sich zu verteidigen, selbst wenn sie schon zum sechsten oder siebten Mal Mietbetrug begehen. So will es das deutsche Rechtssystem. Anwalt Ingo Apel beschreibt ein weiteres großes strafrechtliches Rechtsproblem: "Um den Tatbestand des Betruges nachzuweisen und einen sofortigen Räumungstitel zu erwirken, muss die Staatsanwaltschaft nachweisen, dass der Täter, der Mietnomade, in die Wohnung eingezogen ist mit dem festen Willen, überhaupt keine Miete zu bezahlen."

Die einzelnen rechtlich erforderlichen Schritte in Deutschland verschlingen viel Zeit. Zeit, die viele Vermieter gar nicht haben. Sie sind häufig entgegen vieler Klischees nicht reich, haben für die vermietete Wohnung Kredite aufgenommen oder benötigen die vermieteten Objekte für ihre Altersversorgung. Rechtsanwalt Apel fordert daher unmissverständlich:

Schärfere Gesetze gegen Mietnomaden

Die Justiz schützt vorwiegend die MieterBild: picture-alliance/ dpa

"Es muss jetzt gehandelt werden, weil die Schäden bis hin zum Selbstmord nicht mehr zu übersehen sind." Jetzt wird an der Universität Bielefeld eine Untersuchung angestellt, die der Bundesregierung als Grundlage dienen soll, die derzeitigen Gesetze zu verschärfen. "Die Studie wird darüber Aufschluss geben, wie viele Fälle es wirklich gibt", sagt Warnecke. "Wir wissen bereits heute, dass sich ungefähr 1500 Betroffene bei der Universität Bielefeld gemeldet haben. Und das, obwohl ja nicht aktiv und bundesweit in den Zeitungen für die Aktion geworben wurde." Die Zeiten für Mietnomaden dürften damit vielleicht etwas ungemütlicher werden.


Autor: Wolfgang Dick
Redaktion: Hartmut Lüning