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Politik

Immer mehr Neonazis in Deutschland

27. Juni 2019

Bundesinnenminister Seehofer schlägt im aktuellen Verfassungsschutzbericht Alarm. Rund 24.000 Rechtsextremisten sind derzeit in Deutschland aktiv. Rund 12.700 sind gewaltbereit. Auch die Zahl der Islamisten steigt an.

Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2018 Horst Seehofer und Thomas Haldenwang
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Besonders der Anstieg des Rechtsextremismus bereitet Bundesinnenminister Horst Seehofer und dem Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang Sorgen.Im vergangenen Jahr gab es sechs versuchte Tötungsdelikte, die von den Behörden als rechtsextremistisch eingestuft werden. Bei allen Vorgängen lag ein fremdenfeindlicher Hintergrund vor.

Rechtsextreme Straftaten mit antisemitischem Motiv sind von 28 auf 48 sprunghaft gestiegen. Das ist eine Zunahme von rund 71 Prozent. Der Antisemitismus ist in der rechten Szene ein verbindendes Merkmal, heißt es in dem Bericht.

Waffenaffinität

Insbesondere wegen der "hohen Waffenaffinität" der Szene seien die Zahlen "besorgniserregend", sagte Seehofer. In diesem Bereich bestehe eine "hohe Gefährdungslage". Einen deutlichen Anstieg registrierten die Behörden Seehofer zufolge bei den Reichsbürgern. Deren Zahl stieg um 13 Prozent auf 19.000 von denen 950 als rechtsextrem gelten. Auch sie hätten eine große Affinität zu Waffen. Die Reichsbürger behinderten zudem Gerichte, Polizei und Behörden in der Arbeit. Die meisten von ihnen sind zwischen 40 und 60 Jahre alt, drei Viertel sind Männer.

In Parteien wie der NPD organisierten sich dem Bericht zufolge etwa 5500 Rechtsextreme, 6600 gehörten parteiunabhängigen Strukturen wie der "Identitären Bewegung" an. Über 13.000 gelten als weitgehend unstrukturiert. 

Als Grund für die Zunahme im rechten Milieu werden das Thema "Überfremdung" und ein vermeintlicher drohender Verlust der "nationalen Identität" gesehen. Als Feindbilder gelten in der Szene Muslime, Ausländer und Politiker. Für Seehofer ist ist der Rechtsextremismus kein regionales Problem, sondern ein bundesweites. Rechtsextremisten seien inzwischen selbstbewusster in ihrem Auftreten, sagte er. Sie veranstalteten Musikkonzerte und Kampfsportveranstaltungen, internationale Kontakte würden weiter gefestigt.

Digitalisierter Rechtsextremismus

Um Kampagnen zu bewerben und Aktionen zu planen, nutzen Angehörige und Sympathisanten der rechtsextremistischen Szene intensiv das Internet, heißt es im Verfassungsschutzbericht. Soziale Netzwerke, Kurznachrichtendienste und Videoplattformen würden zentrale Orte bilden, wo sich die Szene bewege.

Mit Blick auf den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke betonte Seehofer, dass mit Hochdruck der Frage nachgegangen werde, ob der Tatverdächtige ein Unterstützerumfeld hatte. Verfassungsschutzpräsident Haldenwang fügte hinzu, dass man "auf sehr gutem Weg" sei, was die Aufklärung der Tat angehe.

Trauerfeier für getöteten Regierungspräsidenten LübckeBild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner

Aber nicht nur das rechte Spektrum gibt Anlass zur Sorge, sondern auch die zunehmende Zahl der Islamisten in Deutschland. Sie stieg im vergangenen Jahr um rund 750 auf 26.560 Menschen. Damit bestehe auch in diesem Bereich weiterhin eine "hohe Gefährdungslage", sagte Seehofer. Ein Anschlag sei jederzeit möglich. Besonders die IS-Rückkehrer aus Syrien und dem Irak stellten ein hohes Sicherheitsrisiko dar. Aber auch Islamisten aus Tschetschenien und aus dem Kaukasus tauchten in der Szene auf.

Auch im Linksextremismus ist die Zahl der Menschen, die die Verfassungsschützer im Fokus haben, um knapp 8,5 Prozent auf 32.000 gestiegen. 9000 Personen schätzen sie als gewaltbereit ein. Linksextremisten sehen den Kapitalismus kritisch und möchten die freiheitliche Demokratie durch ein kommunistisches oder anarchistisches System ersetzen. Linksextremisten bemühten sich um Vernetzung mit bürgerlichen Protestbewegungen etwa für den Klimaschutz oder gegen Wohnungsknappheit. Im vergangenen Jahr registrierten die Behörden deutlich weniger linksextremistische Straftaten: 4622 Delikte nach 6393 im Jahr 2017. Die Zahl der Gewalttaten sank von 1648 auf 1010. Das liege daran, dass es 2018 kein Großereignis wie den G20-Gipfel in Deutschland gab, heißt es.

 

PKK-Kundgebung in Köln 2018Bild: Getty Images/AFP/P. Stollarz

Die Zahl der Anhänger extremistischer Ausländerorganisationen ohne Islamismus ist laut den Behörden nahezu konstant geblieben. 30.350 Personen registrierte der Verfassungsschutz im Jahr 2018, zweihundert weniger als 2017. Fast die Hälfte von ihnen und der Großteil des linksextremistischen Spektrums wird der kurdischen Arbeiterpartei PKK zugerechnet. Das Mobilisierungspotenzial der PKK wird weiterhin als erheblich eingestuft.

Unter den rechtsextremistischen Ausländerorganisationen wurden 11.000 Menschen gelistet. Das Aufeinandertreffen rivalisierender extremistischer Gruppierungen aus der Türkei stelle eine Gefahr für die innere Sicherheit in Deutschland dar, heißt es vom Verfassungsschutz.

Mehr Spionage

Die Bedrohung durch Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten hat sich im vergangenen Jahr in Deutschland tendenziell verschärft, wie der Verfassungsschutz schreibt. Viele Staaten würden ihre Nachrichtendienste für einen Wissensvorsprung in Politik, Militär, Wirtschaft und Technik einsetzen. Staatlicher Terrorismus sei eine ernstzunehmende Gefährdung. Der Verfassungsschutz verweist auf andere europäische Länder, bei denen es bei Tötungsdelikten Hinweise auf ausländische Dienste als Drahtzieher gegeben habe. Deutschland stehe hier im Fokus - wegen der Mitgliedschaft in NATO und EU und wegen seiner Wirtschaftskraft und innovativen Forschung. Neben Spionagemöglichkeiten können insbesondere Cyberangriffe auch für Sabotagezwecke genutzt werden. Die allermeisten Operationen hätten 2018 aber mutmaßlich der Informationsgewinnung gedient, heißt es von der Behörde. Russland, China, der Iran und die Türkei sind für den Verfassungsschutz die Hauptakteure der gegen Deutschland gerichteten Spionageaktivitäten.

cgn/mak (afp, dpa, epd, kna)

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