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Politik

Wenn Träume auf der Straße enden

Carsten Grün
21. November 2017

Der Winter kommt und mit ihm die Kälte. Wer kein festes Dach über dem Kopf hat, für den brechen damit noch härtere Zeiten an als ohnehin schon. Immer mehr dieser Menschen kommen aus EU-Staaten wie Polen oder Rumänien.

EU-Wohnunglose - Obdachlose im Tiergarten in Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

"Wir hatten 2011 einen Anteil von etwa elf Prozent an wohnungslosen Menschen aus EU-Staaten. Inzwischen sind es 25 Prozent", sagt Petra Fuhrmann, die sich für das Sozialzentrum des Diakoniewerks Essen um Wohnungslose kümmert. Mit ihrer Arbeit fühlt Fuhrmann sich von der Politik alleingelassen. "Eigentlich sind wir für die EU-Wohnungslosen von unserem Auftrag her gar nicht zuständig. Das ist in den Sozialgesetzbüchern so geregelt. Aber es fehlt einfach eine geregelte Anlaufstelle für Migranten."

So kann sie mit ihren sechs Mitarbeitern nur wenig tun. "Wir beschaffen Essen über die Suppenküche, mal eine Notunterkunft für die Nacht oder die Möglichkeit zu duschen." Die Menschen seien eher scheu, daher bekomme man sie auch kaum dazu, sich zu ihren Problemen zu äußern, erläutert Fuhrmann.

Teufelskreis der Armut

Die meisten EU-Migranten ohne Dach über dem Kopf kommen aus Rumänien, Bulgarien und Polen. Viele der Menschen kommen nach Deutschland mit falschen Vorstellungen, ohne Ausbildung und Sprachkenntnissen. Sie leben wie in Berlin oft in mitgebrachten Zelten in Parks, in Autos oder mit 30 Leuten in einer kleinen Wohnung. Tagsüber versuchen sie, als Tagelöhner einen Job zu ergattern. Dort werden sie dann mit geringen Löhnen oft ohne Sozialversicherung ausgebeutet. Als EU-Bürger haben sie zwar das Recht, sich in Deutschland Arbeit zu suchen, aber keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Sie kommen durch ihre Jobs nicht auf anrechenbare Leistungen für ein Arbeitslosengeld und haben, da sie noch nicht fünf Jahre in Deutschland leben, auch keinen Anspruch auf Hartz IV. Da sie auch keine Flüchtlinge sind, haben sie zudem keinen Anspruch auf andere öffentliche Zuwendungen.

Dennoch ist diese Gruppe, die zwar stetig wächst, im Vergleich zur Gruppe der etablierten EU-Zuwanderer aus Ost- und Südosteuropa klein. "In Hamburg im Werk von Airbus arbeiten zahlreiche Ingenieure aus Rumänien, Bulgarien und Polen. Diese Länder haben einen richtigen Brain Drain erlebt" sagt Ulrich Hermannes, Geschäftsführer der Hoffnungsorte Hamburg, einer Einrichtung, die sich auch um wohnungslose EU-Migranten kümmert.

Allerdings werden diese integrierten Zuwanderer kaum wahrgenommen - Leute auf der Straße aber schon. Dazu ist die Situation in Hamburg deutlich verschärfter als im Ruhrgebiet. "Wir bekommen bei unserem angespannten Wohnungsmarkt für diese Leute gar keine Wohnung. Das ist auch in Berlin, Frankfurt und München so", erklärt Hermannes. Für ihn sind immer mehr Wohnungslose auch aus Osteuropa sozialer Sprengstoff. "Das birgt alles ein großes Konfliktpotenzial. Nicht unbedingt in Stadtteilen wie Wilhelmsburg, der von Migranten geprägt ist. Hier ist die Integrationsfähigkeit größer. Aber in anderen bürgerlichen Stadtteilen sieht das anders aus."

Polen versucht zu helfen

Petra Fuhrmann sieht bei dem Problem auch die Herkunftsstaaten in der Pflicht. "Eigentlich müssten die mehr für ihre Bürger tun. Ich kann das schon verstehen, dass sich die Menschen auf den Weg machen, um ihre Situation zu verbessern." In Polen hat die Politik die Problematik offenbar erkannt und will handeln. Viele der in Deutschland gestrandeten Polen leben in Berlin. So will sich die Regierung nun stärker an der Versorgung von in der Hauptstadt lebenden polnischen Obdachlosen beteiligen. "Im kommenden Jahr werden mit Hilfe polnischer Gelder Sozialarbeiter in Berlin Polen in Not aufsuchen und sie beraten", sagte Dariusz Pawlos,  Presseattaché der polnischen Botschaft, der Nachrichtenagentur AFP. Allein in Berlin lebten mehr als 2000 polnische Obdachlose, so Pawlos. Der polnische Senat habe den Etat für Auslandspolen auf hundert Millionen Zloty (etwa 24 Millionen Euro) erhöht und für Sozialprogramme geöffnet. "Polnische Nichtregierungsorganisationen können nun Geld für Hilfsprojekte im Ausland beantragen, wenn sie mit einer Partnerorganisation vor Ort zusammenarbeiten", so Pawlos

Die bereits in anderen Ländern mit hoher polnischer Gastarbeiterquote tätige Stiftung Barka werde mit Hilfe des neuen Etats im kommenden Jahr ihre Arbeit in Deutschland aufnehmen. Barka könnte nach Angaben von Pawlos mit den Vereinen KLIK und Gangway kooperieren, die sich in Berlin um obdachlose Menschen kümmern. Wie viele polnische Sozialarbeiter wann genau zum Einsatz kämen, stehe noch nicht fest.

Tendenz steigend

Die genaue Zahl der Zuwanderer aus Staaten Osteuropas und vom Balkan, die in schwierigen Verhältnissen leben, ist unklar. "Es gibt keine Erhebungen dazu. In den vergangenen Jahren kamen rund 1,5 Millionen Menschen aus EU-Staaten zu uns. Wir rechnen, dass 15 Prozent von ihnen scheitern und in prekären Lebenslagen leben. Also wären das so zwischen 200.000 und 300.00 Menschen", sagt Ulrich Hermannes.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, BAG, geht von rund zwölf Prozent an wohnungslosen EU-Bürgern aus, das wären zirka 50.000 Menschen. Vor allem in den Metropolen betrage ihr Anteil an den Personen ohne jede Unterkunft auf der Straße bis zu 50 Prozent, heißt es in einer Mitteilung des Verbandes. Insgesamt waren in Deutschland 2016 etwa 860.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung - seit 2014 ist dies ein Anstieg um rund 150 Prozent. Die BAG prognostiziert von 2017 bis 2018 einen weiteren Zuwachs um etwa 350.000 auf dann gut 1,2 Millionen wohnungslose Menschen. Das wäre eine weitere Steigerung um 40 Prozent. Die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, Karin Kühn, will dass die Politik endlich handelt: "Wir fordern einen Wohnungsgipfel und einen nationalen Aktionsplan zur Überwindung der Wohnungsnot. Dafür haben wir schon 2014 ein Konzept dargelegt. Es wäre ein gutes Zeichen, wenn sich die Bundeskanzlerin dafür starkmacht."
 

Als Schlafplatz dienen oft Hauseingänge oder U-Bahn-SchächteBild: picture alliance/dpa/A. Arnold
Manche schlagen sich mit dem Sammeln von Pfandflaschen durchBild: picture-alliance/dpa/W. Steinberg

 

 

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