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Impf-Kontroverse: Biologe beklagt Diffamierungskampagne

14. Oktober 2020

Kritiker beschleunigter Impfstoff-Zulassungsverfahren sind keine Esoteriker, sagt Gesundheitsökologe Clemens Arvay im DW-Interview. Derartige Vorwürfe verhinderten eine notwendige Debatte, sagt er.

Schriftzug "Nettiquette" auf einer Pinnwand
Bild: picture-alliance/dpa/B. Wüstneck

Deutsche Welle: Herr Arvay, wir haben jüngst in einem Beitrag über eine laufende Kontroverse zum Oxford-Impfstoff berichtet und Sie darin auch zitiert. Dabei war es Ihnen wichtig, nicht als "Impf-Kritiker" und schon gar nicht als "Impf-Gegner" bezeichnet zu werden. Warum legen Sie darauf so viel Wert?

Clemens Arvay: Einerseits bin ich gar nicht gegen Impfungen. Meine Kritik richtet sich gegen beschleunigte Test- und Zulassungsverfahren, bei denen die Testphasen ineinandergeschoben werden - also eine Testphase beginnt noch bevor die vorangegangene abgeschlossen wurde und übliche Wartezeiten nicht eingehalten werden. Man nennt das auch "Teleskopierung". Andererseits nutzen Industrie-Lobbyisten diese beiden Begriffe, um Kritiker wie mich zu bekämpfen.

Clemens Arvay fordert, dass Forschung sich ausreichend Zeit nimmt, um die Sicherheit von Impfungen gewährleisten zu könnenBild: Lukas Beck; Wien

Nun hat es für mich als Gesundheitsökologe schon immer dazu gehört, mich mit Lobbys und Konzernen anzulegen, etwa der Agrar- und Tierindustrie oder der Saatgut-Industrie. Aber noch nie stand eine Auseinandersetzung um ein Fachthema so im Zentrum der öffentlichen Debatte wie jetzt, weil durch COVID-19 die Frage der Impfstoffentwicklung einfach sehr präsent ist. 

Gegen das, was ich jetzt erlebe, wo ich erstmals richtig frontal gegen pharmazeutische Interessen aufstehe, waren die Auseinandersetzungen mit anderen Industriezweigen eigentlich ein Kinderspiel. 

Es geht dabei darum, dass kritische Stimmen aus der Wissenschaft nicht gebührend gehört werden. So warnen etwa zahlreiche renommierte Wissenschaftler, dass DNA-Impfstoffe (nicht zu verwechseln mit mRNA-Impfstoffen) als Nebenwirkung in Zellkerne gelangen können und dort in wenigen Fällen möglicherweise Krebs auslösen könnten.

Es wurde auch in wissenschaftlichen Fachartikeln immer wieder eingeräumt, dass das nicht ausgeschlossen werden kann. Solche Impfstoffe sind sicher noch nicht für eine Zulassung bereit. Die Gefahren werden erst evident, wenn sich ein Tumor gebildet hat und das dauert lange.

Deshalb brauchen wir keine Einführung solcher Impfstoffe in einem teleskopierten Verfahren, sondern in einem üblichen Verfahren mit ausreichend langen Wartezeiten und genügend Sicherheitsdaten. Erschreckenderweise haben es bereits vier DNA-Impfstoffe gegen COVID-19 in kurzer Zeit in die zweite klinische Phase geschafft.

Impfstoffe gegen Corona

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Wer greift sie denn für Ihre Positionen an, und wie?

Die Angriffe kommen unter anderem aus Richtung der sogenannten Skeptikerbewegung. Ich erlebe ein massives Mobbing in den sozialen Medien, teilweise mit primitiven Beschimpfungen unter der Gürtellinie, die sich nie gegen meine Inhalte, sondern immer gegen meine Person richten. Es geht darum, mich als Wissenschaftler abzuqualifizieren.

Aus den Bereichen Ökologie und Pflanzenwissenschaft habe ich meinen Zugang der Gesundheitsökologie entwickelt. Aber meine Gegner möchten mich am liebsten als Gärtner darstellen. So beschreiben einige Blogger meine Universität als "landwirtschaftliche Fachschule", was überhaupt nicht stimmt. Die Universität für Bodenkultur ist ein renommiertes Zentrum der Biowissenschaften in Europa. Dort habe ich am früheren Department für Angewandte Pflanzenwissenschaften und Pflanzenbiotechnologie studiert.

In den Blogbeiträgen oder auch auf der Plattform Psiram unterstellen mir die anonym bleibenden Autoren der Skeptiker, dass ich rechten Verschwörungstheorien nahestehe. Das ist völlig absurd, weil ich immer öffentlich gegen rechte Verschwörungstheorien aufgestanden bin.

So hatte ich mich etwa bei einem ökologischen Festival, zu dem ich als Redner eingeladen war, öffentlich gegen einen dort anwesenden Holocaust-Leugner gewehrt und auch gegen Verschwörungstheorien aus dem Kreis der Reichsbürger.

Da bin ich massiv aufgestanden und das Dokumentationsarchiv Österreichischer Widerstand hat das damals auch dokumentiert. Die Vorwürfe nehmen also verleumderische Ausmaße an. Zuletzt wurde auch mein Wikipedia-Eintrag teilweise im Stundentakt geändert, um meine wissenschaftliche Expertise infrage zu stellen. Mein Fachgebiet, die Gesundheitsökologie, wurde für nicht existent erklärt.

Sämtliche positiven Presserezeptionen meiner Arbeit wurden aus Wikipedia gelöscht und durch Negatives ersetzt. Neuerdings versucht man auch den Eindruck zu erwecken, meine Antwort auf die Pandemie seien "Waldspaziergänge". Das ist Quatsch. Ich befasse mich in meinem neuen Buch vor allem mit Öko-Immunologie und ökologischer Epidemiologie.

Sie kritisieren in Ihren Blogs ja nicht nur die Art der Impfstoffentwicklung und insbesondere die mRNA-Impfstoffe, bei denen Sie auf das Risiko von überschießenden Immunreaktionen verweisen, sondern etwa auch Akteure wie Bill Gates, der gerade diese Impfstoffe weltweit voranbringen will. "Gates" und "Impfungen" sind aber doch gerade willkommene Reizbegriffe der Querdenker, Esoteriker und Verschwörungstheoretiker. Mitgefangen, mitgehangen?

Das ist ein wirkliches Problem. So haben etwa irgendwelche rechtsextremen Q-Anon-Webseiten eines meiner Videos geteilt. Und nun werde ich dafür zur Verantwortung gezogen, wer meine Videos geteilt hat.

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Auch habe ich ein einziges Mal ein Interview gegenüber Russia Today gegeben, mich dabei aber - und das war eine Bedingung für das Interview - zu Anfang deutlich politisch von Russia Today distanziert. Dann habe ich über Sachthemen gesprochen.

Auch habe ich mir genau überlegt, ob ich das Interview geben soll. Damals kursierten Falschmeldungen, dass ein mRNA-Impfstoff das Genom verändert. Ich habe dann deutlich gemacht, dass das nicht das Problem ist, sondern dass es andere Probleme gibt, zum Beispiel überschießende Immunreaktionen und Autoimmunreaktionen, die bei diesen Impfstoffen besonders problematisch sind.

Ich wollte, dass die Kritik sachlich korrekt vorgebracht wird und es gab damals einfach noch keine anderen Kanäle, um die Öffentlichkeit zu erreichen. Aber auch hier versuchen meine Gegner, eine Kontaktschuld zu konstruieren und unterschlagen, dass ich mich distanziert habe, weil die Geschichte dann nicht mehr aufgeht.

Auch nennen sie meinen Namen im Kontext mit umstrittenen Forschungen, mit denen ich gar nichts zu tun hatte. Sie versuchen, um mich ein Netz der Pseudowissenschaft und Esoterik zu weben - meine Forschungsbereiche der Öko-Immunologie und Gesundheitsökologie seien Esoterik, obwohl ich in wissenschaftlichen Fachzeitschriften und in Fachbuchverlagen dazu publiziert habe.

Holm Hümmler, ein Physiker und Protagonist der Skeptikerbewegung, schreibt in seinem Blog, ich hätte der Deutschen Apothekerzeitung esoterische Artikel über die Heilkraft des Waldes untergejubelt. Das ist unfassbar, weil es sachliche evidenzbasierte Artikel waren und die Zeitung einer meiner wichtigsten Publikationspartner ist. 

Außerdem kann man der Apothekerzeitung auch nichts "unterjubeln". Hümmler unterstellt mir in einer Hassschrift auch, dass ich behauptet hätte, das Genom wird durch die RNA-Impfstoffe verändert, was ich nie behauptet habe. Hümmler betreibt übrigens ein Strategie-Beratungsunternehmen für die pharmazeutische Industrie.

Holm Hümmler ist aber offenbar auch wirklich überzeugt von dem was er tut, etwa mit seiner Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP). Angesichts der polarisierten öffentlichen Debatte und der Aufmerksamkeit, die Sie bekommen, wäre es da für Sie nicht umso wichtiger, sich von Esoterikern, die die GWUP ja im Wesentlichen aufs Korn nimmt, deutlich abzugrenzen?

Das mache ich in meinen Büchern und Videos, indem ich ganz klar äußere, worum sich meine Arbeit dreht und worum es aber bei COVID-19 auch überhaupt nicht geht: Es geht nicht darum, dass irgendwer Genozid betreiben möchte. Es geht nicht darum, Menschen ohne ihr Wissen zu chippen. Es geht nicht darum, dass jemand das Virus erfunden hat - weder Bill Gates noch jemand anderes. Indem ich das deutlich mache, grenze ich mich von Verschwörungstheorien ab.

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Trotzdem bin ich nicht davor geschützt, in einem Artikel in Der Falter mit dem Titel "Aluhut, Globuli und Judenstern", gemeinsam mit der Q-Anon Bewegung in einen Topf geworfen zu werden. 

Das ist unfassbar, und dieser Artikel wird natürlich jetzt schon in Wikipedia und auf Psiram zitiert. Dort wird außerdem versucht, mich in das Eck der Esoterik und Geistheilerei zu drängen, womit ich überhaupt nichts zu tun habe.

Stichwort: Globuli. Wie stehen Sie denn zur Homöopathie?

Ich bin weder Homöopathie-Anwender, noch empfehle ich Homöopathie. Ich bin der Meinung, dass Homöopathie in der Substanz nicht wirksam ist. Was möglicherweise wirksam ist, kann der psychosoziale Prozess der Zuwendung sein.

Was wir aus der Homöopathie lernen können ist, dass wir ein Gesundheitssystem brauchen, wo der Mensch als Ganzes mehr im Mittelpunkt steht und wo man sich für den Menschen Zeit nimmt.

Mir ist aber auch wichtig, dass ich als Mensch tolerant bin. Ich empfinde keinen Hass oder keine Abneigung gegen Menschen, die homöopathische Arzneimittel einnehmen oder gegen Homöopathen. Ich kann einem Menschen ja auch respektvoll sagen, dass ich nicht glaube, dass seine Globuli wirken. 

Das Interview führte Fabian Schmidt 

Clemens G. Arvay studierte in Wien angewandte Pflanzenwissenschaften mit einem Abschluss als Diplomingenieur. Er forscht insbesondere zum Verhältnis von Biodiversität und Gesundheit und entwickelte als Biologe den Forschungsbereich der Gesundheitsökologie und publizierte sowohl wissenschaftliche als auch populärwissenschaftliche Aufsätze und Bücher. In diesem Jahr erschien von ihm der Spiegel-Bestseller Wir können es besser, der sich mit den Ursachen und dem Umgang mit der SARS-Cov-2-Seuche befasst.

Fabian Schmidt Wissenschaftsredakteur mit Blick auf Technik und Erfindungen
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