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AstraZeneca-Impfstopp: Fragen und Antworten

16. März 2021

Nach mehreren Todesfällen in zeitlichem Zusammenhang mit der Verimpfung des AstraZeneca-Vakzins wächst die Verunsicherung. Was ist der aktuelle Stand und wie geht es weiter für die, die schon eine Dosis erhalten haben?

Schweden Malmo | Coronavirus | AstraZeneca Impfung
Wird momentan nicht verimpft: der Wirkstoff von AstraZenecaBild: Joahn Nilsson/TT News Agency/AFP/Getty Images

Warum wurde die Impfung ausgesetzt?

In Deutschland und mehreren anderen europäischen Ländern sind Menschen kurz nach der Impfung mit dem Vakzin des schwedisch-britischen Herstellers AstraZeneca verstorben. Die Todesursache waren Sinusvenenthrombosen, auch Hirnvenenthrombosen genannt, und ähnliche Erkrankungen, die Hirnblutungen auslösten. Nun hat auch Deutschland auf Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), des Bundesinstituts für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, die Impfung mit diesem Präparat ausgesetzt.

Noch am vergangenen Donnerstag hatten die PEI-Experten erklärt, dass die dokumentierte Häufigkeit keine statistische Auffälligkeit darstelle. Sprich: Es seien nicht mehr Menschen an einer Thrombose verstorben, als dies auch ohne Impfungen geschieht.

Nachdem danach jedoch weitere Fälle, auch aus Deutschland, gemeldet wurden, kommen sie nun zu der Einschätzung, es liege eine "auffällige Häufung einer speziellen Form von sehr seltenen Hirnvenenthrombosen" vor. Dennoch betonte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der Impfstopp sei eine "reine Vorsichtsmaßnahme".

Was weiß man über Sinusvenenthrombosen?

Sinusvenenthrombosen sind seltene Schlaganfälle, bei denen Blutgerinnsel im Gehirn entstehen und dort Venen verstopfen. Weltweit, sagt der Neurologe Christian Dohmen von der LVR-Klinik Bonn, führten zwischen acht und 15 Prozent solcher Thrombosen zum Tod, etwa genauso viele Menschen erlitten eine dauerhafte, alltagsrelevante Behinderung: "In Industrieländern sind diese Raten niedriger, weil die Erkrankung im Durchschnitt früher erkannt wird und behandelt werden kann."

Das häufigste Symptom ist ein starker Kopfschmerz: Etwa 75 Prozent der Patienten berichten davon; hinzu kommen häufig Übelkeit, Sehstörungen oder gar epileptische Anfälle. Allerdings sind die Verläufe sehr unterschiedlich, die Symptome können über Wochen zunehmen oder sich verändern, erklärt Dohmen: "Häufig vergehen deshalb mehrere Wochen vom Auftreten der Sinusvenenthrombose bis zur Diagnose."

Welche Personengruppen könnten besonders betroffen sein?

Statistisch gesehen tritt eine Sinus- oder Hirnvenenthrombose unter einer Million Einwohnern zwischen zehn- und 20-mal pro Jahr auf. "Eine Studie aus den Niederlanden kommt auf 13 Fälle pro Million Einwohner und Jahr", sagt Neurologe Dohmen. Besonders häufig betroffen seien Menschen zwischen 30 und 50 Jahren, Frauen erkrankten zwei- bis dreimal so oft wie Männer. Die Einnahme hormoneller Verhütungsmittel, vor allem der "Pille", erhöhe das Risiko zusätzlich.

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen den Todesfällen und der Impfung?

Bisher ist ausschließlich ein zeitlicher Zusammenhang festgestellt worden, kein kausaler. Im deutschen Fernsehen sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach am Dienstag: "Ich rechne damit, dass die Prüfung ungefähr eine Woche dauern wird und dass man danach eine klare Warnung ausspricht."

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn steht wegen des Impfstopps in der KritikBild: Annegret Hilse/REUTERS

"Wir wissen bisher zu wenig über die einzelnen Fälle. Ob ein Zusammenhang mit der Impfung im Sinne einer seltenen schweren Nebenwirkung besteht, muss nun gründlich geprüft werden", stellt Neurologe Dohmen klar, bisher handele es sich nur um eine auffällige Häufung in vergleichsweise kurzer Zeit: "Der Wahrscheinlichkeit nach hätte man in dem Zeitraum mit ungefähr einer Sinusvenenthrombose rechnen müssen." So hoch sei das Risiko nämlich in einer Gruppe dieser Größe von Menschen mit demselben Altersprofil. Tatsächlich sind aber sechs Fälle aufgetreten, alle sechs waren Frauen. Zudem hatte ein Mann eine ähnliche Erkrankung, die zu einer tödlichen Hirnblutung führte. Die Inzidenz scheint also sechs- bis siebenfach erhöht.

Welche Erklärungen gibt es noch?

Neurologe Dohmen ist vorsichtiger als Lauterbach mit seiner Bewertung der bekannten Informationen: Es sei zum Beispiel möglich, dass es sich eher um eine Häufung von Diagnosen, als eine Häufung von Fällen handle: "Wegen Kopfschmerzen und ein wenig Übelkeit gehen viele Menschen gar nicht zum Arzt oder erst, wenn sie lange anhalten oder sehr stark sind. Vielleicht tun sie das früher, wenn sie frisch geimpft sind." Dann wären die fraglichen Thrombosen möglicherweise nicht oder erst später entdeckt worden - mehr oder weniger in Einklang mit der statistischen Wahrscheinlichkeit. Auch eine dritte Möglichkeit schließt Dohmen nicht aus: "Letztlich kann es sich auch um einen bloßen Zufall handeln."

Viele Länder haben die Verimpfung des AstraZeneca-Vakzins ausgesetzt oder eingeschränkt, Ausnahmen sind Großbritannien und AustralienBild: Joahn Nilsson/TT News Agency/AFP/Getty Images

Was müssen Geimpfte nun beachten?

Das PEI rät allen, die mehr als vier Tage nach einer Impfung noch "zunehmend unwohl fühlen", sich unverzüglich in ärztliche Behandlung zu begeben. Zu den Symptomen einer Hirnthrombose zählen neben Kopfschmerzen auch Übelkeit und Erbrechen, epileptische Anfälle, Bewusstseinstrübung sowie Sehstörungen und Lähmungserscheinungen.

Was gilt für Menschen, die bisher eine Dosis erhalten haben?

Auch die Folgeimpfungen mit dem AstraZeneca-Präparat sind vorerst ausgesetzt. Von einer Zweitimpfung, auch Booster-Impfung genannt, mit einem anderen Vakzin ist derzeit dringend abzuraten, da es hierzu keinerlei Untersuchungen gibt. Genau dies gelte aber nun herauszufinden, sagte die Virologin Ulrike Protzer bei zdfheute live: "Bei dem Astrazeneca-Impfstoff hat man zwölf Wochen Zeit, bis die Booster-Impfung passieren muss. Das heißt, man hat jetzt schon ein bisschen Zeit da erstmal rational dranzugehen." Die EMA hatte den Impfstoff erst vor sieben Wochen in der EU zugelassen.

Wie geht es nun weiter?

Der Empfehlung des PEI, die AstraZeneca-Impfungen auszusetzen, soll so lange bestehen bleiben, bis die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) zu einer abschließenden Bewertung gekommen ist. Die EMA will sich an diesem Donnerstag dazu äußern. 

Kritiker bemängeln, dass Nebenwirkungen von Impfungen bisher nicht aktiv nachverfolgt werden. Bisher werden in Deutschland nur Nebenwirkungen gemeldet, wenn Ärzte oder auch Apotheker den Verdacht auf einen Zusammenhang zwischen Erkrankungen und einer Impfung melden. Voraussetzung dafür ist, dass auch die Patienten die Fachleute über ihre Impfungen und Beschwerden informieren. "Was uns in Deutschland fehlt, ist ein gutes Impfregister", sagte der Mikrobiologe Tomas Jelinek, der unter anderem das Berliner Centrum für Reise- und Tropenmedizin leitet, in einem Video mit der Tageszeitung "Die Welt". 

In einem Impfregister würden Impfungen und andere klinische Patientendaten systematisch, anonymisiert oder auch pseudonymisiert erhoben, sodass empirische Zusammenhänge sehr einfach und schnell aufzudecken wären. Medizinische Register gibt es bereits für viele Krankheiten und Therapieformen von Rheuma über Krebs bis hin zu künstlichen Gelenken.

AstraZeneca-Impfungen gestoppt

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Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.