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Impfung gegen Kokainsucht – funktioniert das?

26. März 2024

Brasilien entwickelt eine Impfung, die gegen Kokainsucht helfen könnte. Antikörper bremsen den Rausch und sollen vor Abhängigkeit schützen. Doch es gibt auch Bedenken.

Häufchen von Kokain auf einer Glasplatte und ein gerollter Geldschein, um das Kokain durch die Nase zu ziehen.
Die meisten ziehen Kokain als Pulver durch die Nase. Alternativ wird es mit einer Pfeife als Crack geraucht. Bild: Christoph Hard/Geisler-Fotopress/picture alliance

Der Kokainkonsum ist auf einem Rekordhoch: Nach Berechnungen der Vereinten Nationen konsumierten im Jahr 2021 ungefähr 22 Millionen Menschen den Stoff, der aus Cocablättern des Cocastrauchs gewonnen wird. Das sind mehr Menschen als im US-Bundesstaat New York leben. In Europa ist Kokain die zweithäufigste illegale Droge nach Cannabis. Auch in Deutschland gibt es einen hohen Kokain-Konsum, wie Abwasseranalysen zeigen.

Die Droge macht stark abhängig und schädigt lebenswichtige Organe. Der Konsum bringt den Kreislauf an seine Grenzen - vergleichbar mit einem Marathon. Ein Entzug wiederum geht mit großer körperlicher und mentaler Belastung einher. In Brasilien entwickeln Forschende jetzt eine Impfung, die bei der Therapie unterstützen soll.

Wie wirkt Koks?

Die meisten Konsumenten ziehen Kokain oder Koks als Pulver durch die Nase. Alternativ wird es mit einer Pfeife als Crack geraucht. Die Substanz gelangt über das Blut ins Gehirn. Dort regt die Droge den Körper dazu an, verschiedene Botenstoffe auszuschütten - darunter Dopamin. Das alles beherrschende Gefühl: intensive Euphorie. 

Der Körper ist hyperaktiv und gereizt. Das Herz pumpt bereits auf voller Leistung, während sich die Arterien verengen. Der Blutdruck steigt ebenso wie die Körpertemperatur. Bedürfnisse wie Hunger und Durst werden unwichtig. Im schlimmsten Fall kann der Trip zu Krämpfen führen oder im Koma enden - bis hin zum Atem- und Herzstillstand. 

Der Rausch dauert zwischen fünf und dreißig Minuten. "Es fühlt sich an, als seien alle Ampeln auf Grün gestellt", beschreibt Hanspeter Eckert den Rausch. Er ist Therapeut bei einem Berliner Verein für Drogentherapie. 

Das Gehirn prägt sich ein: Das war intensiv und großartig, das will ich wieder erleben! Der Körper speichert den Konsum als "überlebenswichtig", so Eckert. Das Verlangen nach mehr Kokain dominiert die Gedanken. Die inneren Stimmen, die vor den Folgen warnen, werden leiser. Gesundheit, soziale Kontakte und Beruf werden vernachlässigt. Eine Sucht entwickelt sich.

Impfung gegen Kokainsucht als Lösung?

Die Anti-Kokain-Impfung kann bei der Behandlung der Sucht helfen. Nach der Impfung bilden sich Antikörper im Blut. Diese Antikörper binden gezielt an das Kokain. Der Stoff ist damit zu groß, um die Blut-Hirn-Schranke zu passieren. So kann das Gehirn nicht stimuliert werden. Der Rausch bleibt aus. 

Die Hirnreaktionen, die normalerweise das Verlangen nach der Droge auslösen, werden unterbunden. Dadurch nimmt der Patient die Droge anders wahr, sagt Frederico Garcia von der brasilianischen Universität UFMG, in einem Interview mit DW Brasil. Sein Forschungsteam hat Versuche mit dem Impfstoff an Ratten durchgeführt.

Garcia glaubt, dass die Ergebnisse aus den Tierversuchen auf den Menschen übertragbar sein könnten. Es wäre der erste Anti-Kokain-Impfstoff weltweit, der zur Therapie eingesetzt würde. Weitere Forschungsteams in den USA arbeiten ebenfalls an Impfstoffen. Derzeit stehen klinische Studien am Menschen noch aus, und es ist daher ungewiss, wann und ob es eine Impfung für Kokainsüchtige tatsächlich geben wird.

Kann die Impfung vor Sucht schützen? 

Therapeut Eckert begrüßt die Impfstoff-Forschung grundsätzlich: Bleibt der Rausch aus, darf der Kopf zur Ruhe kommen. Der Körper kann sich von der permanenten Reizung befreien. Der Mensch kann positive Erfahrungen machen und merkt: Das gute Gefühl liegt an mir selbst und nicht an der Droge.

Drogen - die Sucht nach dem Rausch

26:06

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Skeptisch ist Eckert dennoch, denn eine Therapie sei harte Arbeit. Er braucht für die Behandlung mindestens ein Jahr. Süchtige lernen, ihren Körper und ihre Psyche zu verstehen. Sie sprechen über ihre Gefühle und Probleme - und müssen schwierige Entscheidungen treffen. Von welchen Freunden sollte ich mich fernhalten? Wie ertrage ich die körperlichen Schmerzen? Durch diesen Prozess erarbeiten sie sich mehr Kontrolle über ihr Leben.

Zur Vorsorge oder für Gelegenheits-Konsumierende ist die Impfung nicht gedacht. Eckert warnt, dass bei Geimpften die Gefahr einer Überdosierung bestehe. Denn aufgrund der Impfung "kickt" der Rausch nicht. Die Person greift eventuell nach einer höheren Dosis, die den Kreislauf überlasten kann - Herz- und Atemstillstand können die Folge sein.

Marica Ferri von der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) hat weitere Bedenken: "Die Substanz selbst ist kein isoliertes Problem." Nur weil nicht mehr gekokst werde, seien nicht automatisch alle Probleme gelöst. Körperliche Schäden müssten heilen, ebenso wie die mentale Gesundheit. In einer Therapie werde auch an der Psyche gearbeitet und am sozialen Umfeld. "Das braucht Zeit", sagt Ferri. 

Sie strebt nach umfassenderen Lösungen. Als Expertin für öffentliche Gesundheit kämpft sie für mehr Therapieplätze. Die Impfung sei für einen kleinen Teil der Menschen geeignet, die bereits in Therapie sind, so Ferri.

Quellen:

European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA): "New psychoactive substances" in the European Drug Report 2023: https://www.emcdda.europa.eu/publications/european-drug-report/2023/new-psychoactive-substances_en

Safety and immunogenicity of the anti-cocaine vaccine UFMG-VAC-V4N2 in a non-human primate model. Published in the National Library of Medicine by Brian Sabato, Augusto PSA et al 2023: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36822966/ 

Global report on Cocaine 2023 – Local dynamics, global challenge: https://www.unodc.org/documents/data-and-analysis/cocaine/Global_cocaine_report_2023.pdf

Aline Spantig Multimedia-Journalistin mit Fokus auf Gesundheit, Menschenrechte und globale Themen.