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Gesellschaft

Immer mehr Österreicher wollen starken Mann

20. April 2017

Die Demokratie in Österreich hat offenbar ein Problem. Ein Umfrage zeigt, dass sie zwar weiter die beliebteste Regierungsform ist. Doch eine steigende Zahl von Bürgern möchte einen starken Mann an der Staatsspitze sehen.

Joerg Haider  FPÖ
Ein Prototyp des starken Mannes? Der verstorbene frühere FPÖ-Chef und Landeshauptmann von Kärnten, Jörg Haider (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa

Aus Sicht von 43 Prozent der Befragten wäre es "sehr" oder "ziemlich" wünschenswert, wenn ein gewählter Politiker vom Typ starker Mann regieren würde. Das geht aus einer Umfrage im Auftrag des österreichischen Zukunftsfonds hervor, die in Wien vorgestellt wurde. Demnach ist nicht jeder Freund einer autoritären Führung für einen Systemwechsel weg von der Demokratie.

Dies gelte aber für 23 Prozent der Bevölkerung mit durchaus totalitären Einstellungen, erläutert der Historiker Oliver Rathkolb, der die Umfrage wissenschaftlich begleitete. Fast jeder Vierte stimmte der Aussage zu: "Man sollte einen starken Führer haben, der sich nicht um ein Parlament und Wahlen kümmern muss." Dieser Wert sei "extrem hoch", so Rathkolb. Diese Nähe zum totalitären Regieren gehe sogar über das hinaus, was heute in der Türkei und Russland politischer Alltag sei. Der Vergleichswert von vor zehn Jahren lag übrigens bei 14 Prozent. Wesentlicher Grund für die steigende Sehnsucht nach einem starken Mann oder gar den Abschied von der Demokratie sei die Verunsicherung vieler Menschen durch die Globalisierung.

Demokratie hat viele Fans

Für die überwiegende Mehrheit (78 Prozent) bleibt die Demokratie allerdings die beste Regierungsform. Generell habe die Demokratie in den vergangenen zehn Jahren aber Zustimmung verloren, sagte Rathkolb. Vor zehn Jahren lag der Anteil ihrer Befürworter noch bei 86 Prozent. Der Ansehensverlust der Demokratie gelte nicht nur für Wähler vom politischen Rand, sondern für eine oft schweigende, durch Perspektivlosigkeit frustrierte Gruppe. "Politische Apathie führt zu totalitären Systemen", sagte Rathkolb.

Den Trend zum mit starker Hand regierenden Mann unterstreicht auch die Aussage zum wachsenden Bedürfnis nach "Recht und Ordnung". Ein stärkeres Vorgehen gegen Unruhestifter und Außenseiter könnten sich 61 Prozent der Befragten vorstellen. Im Jahr 2007 waren es erst 53 Prozent. Dahinter verbirgt sich nach Überzeugung von Rathkolb vor allem eines: Angst. "Es zeigt die Sorge der Menschen, in turbulenten Zeiten unter die Räder zu kommen", sagt der Forscher, der an der Universität Wien lehrt.

Ein weiteres zentrales Ergebnis der Befragung: Eine starke politische Führung ist nicht automatisch deckungsgleich mit dem Modell der Rechtspopulisten. Solche Ergebnisse könnten zwar potenziell Rückenwind für Parteien wie FPÖ, AfD und Front National bedeuten. "Aber das hängt immer vom Angebot der anderen ab", sagt Rathkolb. Auch eine demokratieorientierte Führung, die ruhig, nachhaltend und glaubhaft das soziale Gefüge aufrechtzuerhalten suche, könne attraktiv sein.

Der Wiener Historiker Oliver Rathkolb (Archivbild)Bild: picture alliance/APA/ ROLAND SCHLAGER

Historisches Wissen: Mangelware

Die Umfrage zeigt auch, dass insbesondere bei vielen Jüngeren substanzielle historische Kenntnisse weder vorhanden sind noch gewünscht scheinen. 72 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges denkt rund die Hälfte der Bevölkerung, dass der Nationalsozialismus Österreich nur oder großteils Schlechtes gebracht hat. Rund ein Drittel sieht sowohl Gutes als auch Schlechtes im Nationalsozialismus. Unter den bis 35-Jährigen sind sogar 55 Prozent der Meinung, dass der Nationalsozialismus Österreich nicht nur Schlechtes gebracht hat. Das ist der höchste Anteil bei allen Altersgruppen. Unwissen und der Hang zum autoritären Staat hängen laut Studie eng zusammen.

Trotz aller Ausstellungen, Initiativen, Gedenkstätten und Bemühungen im Unterricht komme das Thema offenbar nicht an, erklärt Rathkolb. "Da läuft irgendetwas schief." 40 Prozent aller Befragten sind der Meinung, dass man einen Schlussstrich unter die Debatte zum Holocaust ziehen sollte. Vor zehn Jahren waren das 48 Prozent. Die Autoren sehen in dieser Entwicklung ein Indiz für ein zunehmendes Geschichtsbewusstsein.

Österreichs Jungwähler ticken rechts

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Law&Order-Themen sind angesagt

Die Politik in Österreich hat in gewisser Weise schon seit einiger Zeit auf die Grundstimmung der Verunsicherung reagiert. Die in einer rot-schwarzen Koalition verbundenen Volksparteien SPÖ und ÖVP nahmen speziell in der Flüchtlingskrise viele "Law&Order"-Themen auf. Eine harte oder zumindest härtere Hand gegenüber Ausländern und Asylbewerbern sollte ihre Führerschaft suggerieren. Die Rechtspopulisten der FPÖ, die bisher mit Anti-Ausländer-Sprüchen hervortrat, haben laut letzten Umfragen ihre Spitzenposition in der Wählergunst an die SPÖ verloren. Die SPÖ hat zudem jüngst eine "Zuhör-Kampagne" gestartet. Erster Akt: Bundeskanzler Christian Kern arbeitete einen Abend als Pizzabote in Wien, um sich nebenbei beim Ausliefern der Ware die Sorgen der Menschen schildern zu lassen.

Für die repräsentative Umfrage wurden im Februar und März 1000 Bürger ab 15 Jahren vom Wiener Forschungsinstitut SORA telefonisch befragt. Finanziert wurde sie vom Zukunftsfonds Österreich. Dieser wurde 2006 vom österreichischen Staat geschaffen und soll einen Beitrag zur fundierten Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte, den Menschenrechten und der demokratischen Entwicklung leisten. Bisher hat der Fonds mehr als 1100 wissenschaftliche, pädagogische und künstlerische Projekte gefördert.

kle/sti (dpa, www.sora.at)

 

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