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Politik

In Ankara wächst die Angst vor dem Mob

Diego Cupolo (Adaption: Jan D. Walter)19. Juli 2016

Eingeschüchtert von Erdogans "Säuberungen" halten sich säkulare Türken seit dem gescheiterten Coup bedeckt. Angst bereiten ihnen vor allem die Anhänger des Präsidenten. Diego Cupolo hat sich in Ankara umgehört.

Demonstranten in Nationalflaggen gehüllt auf einem Pick-Up (Foto: DW/D. Cupolo)
Bild: DW/D. Cupolo

Während Anhänger des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Wochenende die Straßen füllten und islamische Gesänge anstimmten, blieben säkulare Türken zu Hause. Und bis heute bleiben sie dort und halten sich aus der Öffentlichkeit fern.

Das Militär in der Türkei hat seit 1960 vier Regierungen abgesetzt, um den Verfall der Staatsmacht gegenüber rechten, linken und auch islamistischen Kräfte zu stärken. Jedes Mal mit Erfolg. Doch auf Geheiß Erdogans stellten sich Tausende Zivilisten den Putschisten in den Weg und trugen so maßgeblich zu deren Niederlage bei. Insofern ist das Scheitern der Revolte auch eine Genugtuung für diejenigen, die sich lange Zeit von der laizistischen Verfassung des Landes unterdrückt fühlten.

Moderate Moslems und säkulare Türken fürchten sich vor AKP-AnhängernBild: DW/D. Cupolo

Moderate Muslime und säkulare Türken dagegen sind geschockt. Viele fragen sich, wie ihre Zukunft aussehen kann in einem Land, in dem Erdogans nun weiter erstarkte AKP offenbar jeden verfolgt, der ihrer Macht gefährlich werden könnte. Mehr als 9000 Menschen, darunter fast 3000 Justizbeamte sind seit dem Wochenende verhaftet worden.

Einziger Ausweg Exil

"Ich fühle mich definitiv als Angehöriger einer Minderheit", sagt Ugur Zaman, ein 24 Jahre alter Kellner aus Ankara. Er arbeitet in dem Ausgehviertel Tunali, dessen beliebte Bars und Restaurants am Wochenende gespenstisch leer oder sogar ganz geschlossen blieben. "Erdogans Anhänger sind wie eine Sekte", sagt Zaman im Gespräch mit der DW. "Sie wissen um ihre Macht und Erdogan stachelt sie an."

Will die Türkei bei nächster Gelegenheit verlassen: Ugur ZamanBild: DW/D. Cupolo

Zaman ist schwul und praktiziert keine Religion. Er sagt, er habe das gesamte Wochenende mit Freunden darüber gesprochen, was sie nun tun könnten. Viele haben begonnen, sich auf Studienplätze im Ausland zu bewerben. Sie haben Angst, dass sich ihr Land immer weiter entfernt von Laizismus und Demokratie, und sich zu einem Ein-Parteien-System entwickelt. Auswandern erscheint vielen die einzige Perspektive.

"Ich dachte immer, es ginge voran", sagt Zaman. "Aber das ist inzwischen zehn Jahre her. Die Türkei hat sich verändert. Es gibt weniger Meinungsfreiheit. Wir können nicht mehr protestieren, wie wir es gewohnt waren, und inzwischen denke ich mehr an meine Sicherheit als an alles andere."

Diskriminierung und Spaltung

Die Regierung setzt auf Polarisierung - und auch einige Unternehmen machen mit. So war die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs in Ankara und Istanbul am Wochenende kostenlos. Diverse türkische Mobilfunkanbieter, berichtet Zaman, hätten ihren Kunden nach dem Putschversuch kostenlose Handygespräche, SMS und Datenvolumen zur Verfügung gestellt. Das alles erleichterte es den Erdogan-Anhängern sich zu verabreden und zu treffen.

In anderen Momenten der Krise, etwa nach Terrorattacken, werden soziale Netzwerke meist landesweit blockiert. Freifahrten mit Bus und Bahn zu kritischen Demonstrationen wie Friedens-, Toleranz- oder Mai-Kundgebungen sind dann undenkbar. "Die letzten zwei Jahren durfte die Gay-Pride-Parade in Istanbul nicht stattfinden, aber wenn die Menschen die AKP-Flagge schwenken wollen, können sie das tun, wann und wo sie wollen", sagt Zaman.

Dies, und auch das, was am Samstag geschah, könnte ein Vorgeschmack sein auf das, was Erdogan seinen Anhängern versprach: "eine neue Türkei". Szenen, in denen aufgebrachte Menschenmengen aufständische Soldaten attackieren und sogar lynchen, kursieren ebenso als Videos durch die Medien wie Angriffe auf Minderheitenviertel, Journalisten und Geschäfte, die keine türkische Flagge zur Schau stellen.

Die Kosten der AKP-Politik

Ziya Turfan hat sehr wohl eine Flagge in seiner Bar "La Bebe Angara" in Tunali hängen. Doch auf ihr ist der türkische Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk zu sehen, der den Staat von seiner islamischen Vergangenheit distanzieren wollte. Damit will sich Turfan, der sich selbst als moderaten Moslem bezeichnet, zur laizistischen Verfassung der Türkei bekennen.

Präsident Erdogan ruft und sie schwenken die Flaggen: AKP-Anhänger in AnkaraBild: DW/D. Cupolo

"Erdogan ist nicht unser Feind, aber er macht uns Sorgen", erklärt Turfan. "Ich liebe den Islam, aber ich mag nicht, wie er benutzt wird. Religion ist eine sehr gefährliche Waffe, deshalb hatte Atatürk sie ja vom Staat getrennt."

Nachdem Turfan seine Bar über das vergangene Wochenende geschlossen hielt, um Übergriffe zu vermeiden, weiss er nicht, wie er seine Angestellten bezahlen soll. Ohnehin, klagt er, sei der Tourismus in letzter Zeit stark zurückgegangen. Zudem stiegen auch die Alkoholpreise stetig - 20 Prozent allein letzte Woche -, auch das habe ihn Kunden gekostet.

"Die AKP wird vorüber gehen, aber die türkische Republik wird überdauern", sagt Turfan. "In jedem Fall wird unser Land noch lange Zeit die Konsequenzen dafür tragen, was die AKP-Regierung anrichtet, um kurzfristig an der Macht zu bleiben."

Keine Hoffnung auf die Jugend

Auch Hasan Topuz fühlt sich seit dem gescheiterten Aufstand unsicher. Der 36-jährige arbeitet in einem Weingeschäft: "Wir haben den Laden über das Wochenende geschlossen, weil Männer mit langen Bärten durch die Nachbarschaft gezogen sind", berichtet Topuz. "Ich habe wirklich Angst."

Die 30-jährige Cilem arbeitet in der Schulverwaltung und will aus Sicherheitsgründen ihren Nachnamen nicht nennen. Cilem ängstigt es, wie der aufgebrachte Mob unbehelligt von der Polizei durch die Straßen gezogen ist: "Eigentlich beschützt uns die Polizei ja, aber inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher."

Auch Ugur Zaman, dem Kellner aus Tunali, flößt weniger Erdogan selbst Angst ein, als dessen Anhänger. Allen voran die "Muslimische Jugend" und überhaupt Jugendliche, die in den letzten zehn Jahren nach einem zunehmend islamischen Lehrplan unterrichtet wurden. "Selbst wenn wir Erdogan besiegen", sagt er, "müssen wir erst mit dieser Generation fertig werden."

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