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Politik

In Athen stinkt es zum Himmel

Jannis Papadimitriou
28. Juni 2017

In Griechenland streiken die Mitarbeiter der Müllabfuhr unverdrossen weiter. Bei Temperaturen um die 40 Grad ein unerträglicher Zustand für Einheimische und Touristen. Eine Reportage von Jannis Papadimitriou aus Athen.

Griechenland Athen - Müllstreik
Bild: picture-alliance/NurPhoto/P. Tzamaros

Kein Durchkommen auf der belebten Filolaou-Straße im Athener Stadtteil Pangrati: Der Müll stapelt sich überall, vor allem in Nebenstraßen. Schwarze Mülltonnen, bunte Einkaufstüten und gebrauchte Kartons prägen das Bild, es stinkt zum Himmel. Vor attraktiven Schaufenstern und Stehcafés türmen sich die Abfallberge. Ein Wunder, dass einige Kunden immer noch ein- und ausgehen. "Wir müssen den Betrieb einfach weiterführen, was bleibt uns denn übrig?", meint Viktoras, der fleißig seinen Gyros vom Drehspieß zubereitet.

Den Müll bringt der Grill-Spezialist auf eine Sammelstelle gleich gegenüber. "Essensreste und sonstiger Müll werden dort abgeräumt, wahrscheinlich pflegt die Stadt eine Art Notdienst für diese Straßenseite. Aber wenn du hier um die Ecke kommst, bleibt der Abfall liegen, da kümmert sich kein Mensch", sagt Viktoras im Gespräch mit der DW.

Kostas und Gerassimos wollen abräumenBild: DW/J. Papadimitriou

Ein paar hundert Meter weiter passiert scheinbar Unglaubliches: Ein Müllwagen ist im Einsatz. Drei junge Männer springen heraus und sammeln Müll im Eiltempo. Sie tragen keine Schutzkleidung, sondern T-Shirts, nur einer von ihnen hat einen Mundschutz aufgesetzt, obwohl es unerträglich heiß ist: An diesem Mittag erreicht die Temperatur in Athen bereits 39 Grad im Schatten. Für die kommenden Tage werden bis zu 43 Grad vorausgesagt, eine Hitzewelle aus Nordafrika ist im Anflug. Bis dahin wollen Kostas, Elias und Gerassimos möglichst viele Abfallberge im dicht besiedelten Stadtteil Pangrati abbauen. Aber warum fahren sie erst jetzt den Müll ab? "Davor war es unmöglich, hierher zu kommen. Die Fristverträgler hatten die Ausfahrt aus der Wagenhalle blockiert", berichtet Kostas. 

Streikaktionen sollen weitergehen

Damit ist der Kern des Problems angesprochen: Da sich Städte und Gemeinden in Griechenland aus Kostengründen keine festangestellten Müllarbeiter leisten können, greifen sie auf Zeitverträge zurück. Sie werden zwar bisher immer wieder erneuert - allerdings erst, nachdem die Arbeitnehmer mit einem befristeten Vertrag eine Verlängerung ihrer Beschäftigung durch Streiks erzwungen haben. Um sicherzugehen, dass sich niemand um den Abfall kümmert, blockieren Streikende oft die Ein- und Ausfahrt festangestellter Kollegen, sowie sämtliche Müllhalden in ganz Griechenland.

Athen versinkt im Müll

01:30

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Sie verlangen eine Festanstellung und wollen nicht zurückweichen, bevor die linksgeführte Regierung von Alexis Tsipras ihnen dies zusichert. Wie es mit dem Streik weitergeht, können Kostas und seine Kollegen nicht sagen. Im Moment stehen die Zeichen jedenfalls auf Konfrontation: Für Donnerstag ist eine Protestkundgebung der Müllarbeiter in der Athener Innenstadt geplant, ein Vermittlungsversuch von Tsipras in letzter Minute scheiterte. Die Gewerkschaft der Stadtangestellten POE-OTA fordert weiterhin bis zu 10.000 feste Stellen für die Müllabfuhr, während die Regierung bisher nur 2.500 Stellen anbietet.

"Jede Stadtbehörde in diesem Land sollte doch das Recht haben, in Eigenregie zu entscheiden, ob und wie viele Müllarbeiter in ihrem Zuständigkeitsbereich nötig sind", protestiert der Athener Bürgermeister Giorgos Kaminis. Er stößt aber auf taube Ohren. Kaminis bemüht sich um Schadensbegrenzung und erweitert den Notdienst: Am vergangenen Donnerstag rückten Abfallwagen in der Innenstadt vor, wenige Stunden später sah der Verfassungsplatz vor dem Parlament, die gute Stube der Stadt, so aus, als hätte es hier keinen Streik gegeben.

Auch die Schaufenster sind nicht mehr attraktiv Bild: DW/J. Papadimitriou

Der üble Geruch bleibt trotzdem. Viele Athener bringen ihren Abfall gar nicht erst zur Mülltonne, sondern lagern ihn auf dem Balkon. Eine Lösung im Müllstreit ist nicht in Sicht und wird zusätzlich durch Kompetenzgerangel erschwert: Die Gewerkschaft der Stadtangestellten POE-OTE protestiert gegen die Regierung, die wiederum der konservativen Opposition vorwirft, die Streikenden zu radikalisieren, während die direkt betroffenen Städte und Gemeinden zunächst außen vor bleiben. Laut Gesetz hat der zuständige Minister zwar das Recht, die Streikenden zu "mobilisieren" und die Müllabfuhr per Dekret zu erzwingen. Regierungssprecher Dimitris Giannakopoulos erklärt allerdings, diese arbeiterfeindliche Regelung gehöre abgeschafft. Möglich sei es aber, dass nun die Armee den Müll sammelt.

Testfall Thessaloniki

Es wäre nicht das erste Mal: Schon 2011 mussten die Militärs in der zweitgrößten Stadt Thessaloniki die Müllabfuhr kurzzeitig übernehmen, nachdem die POE-OTA zum Dauerstreik aufgerufen hatte. In diesem Sommer will sich der linksgerichtete Bürgermeister Jannis Boutaris nicht darauf verlassen und versucht deshalb, einen privaten Betreiber für die Müllabfuhr zu gewinnen. Am Sonntag veröffentlichte die Stadt Thessaloniki eine entsprechende Ausschreibung. Damit würde eine heilige Kuh der Gewerkschaften geschlachtet. POE-OTA droht mit neuen Streiks für diesen Fall.

Städtische Angestellten vor dem Parlament in Athen zu Beginn des Streiks Bild: Getty Images/AFP/A. Messinis

Laut Medienberichten sei der Vertrag mit dem privaten Betreiber in Thessaloniki schon unterschriftsreif, aber Boutaris wolle bis Ende der Woche warten, bevor er der Vergabe endgültig zustimmt. Sein Kalkül: Am Donnerstagabend soll die streikfreudige Gewerkschaft POE-OTA erneut mit der Regierung Tsipras verhandeln - und sich vielleicht doch noch auf einen Kompromiss einlassen.

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