In Berlin bauen jüdische Gemeinden neue Synagogen
27. Januar 2025Es ist eine typische Berliner Baulücke. In der Nachbarschaft hier und da die unverputzten Wände von gewiss 100 Jahre alten Häusern, fünf, sechs Etagen hoch. Dazwischen freie Flächen und nur der Rest eines einst repräsentativen Baus. Hier, am Fraenkelufer in Berlin-Kreuzberg, stand bis zu den judenfeindlichen Pogromen der Nationalsozialisten im November 1938 eine der größten Synagogen Berlins. Der Bau aus dem Jahr 1916 bot einst Platz für 2000 Menschen.
Aber in der Nacht des 9. November 1938 ging sie als erste Berliner Synagoge in Flammen auf. Das, was nach den Zerstörungen durch die Nazis und den Krieg übrig blieb, wurde Ende der 1950er Jahre abgerissen. Nur ein Nebengebäude blieb - und dient seit einigen Jahren einer jüdischen Gemeinde wieder als Gotteshaus.
Jetzt soll gebaut werden. Auch wenn in der deutschen Hauptstadt seit vielen Monaten die Zahl antisemitischer Vorfälle auf einem hohem Niveau ist, auch wenn alle paar Tage israelkritische oder -feindliche Demonstrationen stattfinden und sich Jüdinnen und Juden verängstigt zeigen. Das Bauvorhaben könne "ein Zeichen für Dialog und Versöhnung" sein, sagte der Vorsitzende des "Kuratoriums zum Wiederaufbau der Synagoge am Fraenkelufer", Raed Saleh, Fraktionschef der SPD im Berliner Landesparlament, bei der Präsentation des Entwurfs.
Die Idee zur Wiedererstehung des jüdischen Lebens an dieser Stelle ist indes weit älter als die Eskalation im Nahen Osten seit dem Hamas-Terror vom 7. Oktober 2023. Als Saleh, der als Fünfjähriger mit seiner Familie aus dem israelisch besetzten Westjordanland nach Berlin kam, vor mehr als sieben Jahren eine Initiative für einen Wiederaufbau der Synagoge Fraenkelufer startete, sorgte das in der Stadt für breites Aufsehen. Seit der Gründung des Kuratoriums 2019 ist er dessen Vorsitzender.
Die Architekten? Aus Kreuzberg
Seitdem wurde viel diskutiert und - hinter den Kulissen - auch miteinander gestritten um Zuständigkeiten, Mitsprache und das künftige Konzept. Klar ist: Das Land Berlin finanziert den Aufbau. Dafür stehen nach Angaben der zuständigen Stellen 24 Millionen Euro bereit.
Klar ist nach der am 17.01.2025 vorgestellten Entscheidung des Preisgerichts auch: Statt des Wiederaufbaus des historischen großen Gebäudes soll es ein "Jüdisches Zentrum Fraenkelufer" mit kleinen Gärten und drei Gebäuden geben, die zum heute als Synagoge genutzten Bau hinzukommen: eine Kindertagesstätte mit 45 Plätzen, ein Bildungs- und Kulturzentrum, ein Gemeindezentrum. Und falls an hohen jüdischen Feiertagen die heute genutzte Synagoge für die Zahl der Besucher zu klein ist, soll das Gemeindezentrum als Synagogenraum dienen. Der Entwurf, der sich im anonymen Wettbewerb durchsetzte, kommt vom Architekturbüro Staab und dem Atelier LOIDL Landschaftsarchitekten. Beide haben ihre Büros in Kreuzberg.
Der Baubeauftragte Engelbert Lütke Daldrup stellte den weiteren Ablauf vor: Im Februar solle das Kuratorium tagen und werde gewiss dem Votum des Preisgerichts zustimmen, dann folge die Feinarbeit der Architekten. Für den Sommer 2026 sei die Baugenehmigung vorgesehen.
"Ich möchte eigentlich erreichen, dass wir am 9. November 2026 den Grundstein legen", sagte Lütke Daldrup. Ende des Jahrzehnts solle der Bau abgeschlossen sein. Und alle Beteiligten versicherten, sie wüssten darum, dass die Gelder ausreichen müssten. Die Senatsbaudirektorin und Staatssekretärin für Stadtentwicklung, Petra Kahlfeldt, unterstrich den historischen Rang des Projekts: "Unser Ziel ist eine zügige Umsetzung des Baus."
Kompromiss zwischen Schutz und Sichtbarkeit
Der Vorsitzende des "Jüdischen Zentrums Synagoge Fraenkelufer", Dekel Peretz, sagte, das Konzept bringe die verschiedenen Bedürfnisse der jüdischen Gemeinschaft sowie die Spannung zwischen Schutz und Sichtbarkeit in Einklang. "Nun kann der Standort Fraenkelufer endlich wieder zum Mittelpunkt jüdischen kulturellen, religiösen und sozialen Lebens an dieser Stelle werden."
Sein "an dieser Stelle" verweist auf Spannungen im Umfeld. Die andere Uferseite des Landwehrkanals gehört bereits zum Bezirk Neukölln. Der kaum zwei Gehminuten entfernte Kottbusser Damm ist mit seinen Geschäften, Cafes und Restaurants eine der arabisch geprägten Straßen der Stadt. Peretz ist Wissenschaftler und arbeitet seit Jahren im Rahmen eines internationalen Forschungsprojekts zu muslimisch-jüdischen Begegnungen in Berlin.
Peretz und Saleh, der Jude und der Muslim - da haben sich zwei gefunden. Berlin, sagt Saleh, sei der Ort, "an dem es gelingen kann, dass Menschen zusammenkommen, egal ob Jude, Muslim oder Christ, ob man glaubt oder nicht glaubt. Und ich bin überzeugt, dass Berlin ein Vorbild auch für andere Metropolen sein kann." Für ihn sei der Wiederaufbau der von den Nazis zerstörten Synagoge auch ein Zeichen gegen die "Ewiggestrigen" und jene politischen Kräfte, die "immer das Trennende und nicht das Gemeinsame nach vorne schieben".
"Ich bin selbst in Palästina geboren", sagte der SPD-Politiker der Deutschen Welle. "Wir können hier zeigen, wie es hier in Kreuzberg und in unmittelbarer Nachbarschaft zu Neukölln gelingen kann, an einem Ort zusammenzukommen und gut in Nachbarschaft miteinander zu leben." Es gehe ihm um das "einander-verstehen". Der 47-Jährige engagiert sich seit langem für das kulturelle und religiöse Miteinander in der Stadt. Er reiste auch schon mit muslimischen Jugendlichen nach Auschwitz.
Saleh bemühte einen ganz großen Vergleich: Vielleicht könne das auch "dazu beitragen, dass insgesamt zwischen Juden und Muslimen, zwischen Israelis und Palästinensern der Prozess einer Versöhnung fortschreitet. Es geht am Ende nur mit einer Zweistaatenlösung, es geht am Ende nur damit, dass beide Völker zu ihrem Recht kommen und beide Völker in Würde und Anerkennung und auch in Wohlstand leben können."
Und die Entscheidung über das Bauvorhaben in Kreuzberg war nicht die einzige Neuigkeit zu Projekten jüdischer Gemeinden in der deutschen Hauptstadt. Nur Tage zuvor hatte sich Rabbiner Yehuda Teichtal von der in vielem orthodox geprägten Chabad-Bewegung geäußert. Der in Berlin populäre Rabbiner hatte bis Mitte 2023 im Westen Berlins ein repräsentatives Jüdisches Zentrum errichtet. Nun teilte er einen wesentlichen Fortschritt für ein weiteres Bau-Projekt mit.
Teichtal will die Synagoge des "Jüdischen Campus" seiner politisch konservativen Chabad-Bewegung vergrößern und im Grunde neu bauen. "Unsere Synagoge ist mit 250 Plätzen viel zu klein", sagte er bereits 2023 der DW. Dass die erst 2007 eingeweihte Synagoge nun deutlich vergrößert werden müsse, sei "ein Zeichen von Vertrauen".
Jetzt habe die Gemeinde die Genehmigung für den Bau erhalten, sagte er nun der Berliner "Morgenpost". Er hoffe auf einen Baubeginn Ende 2025, spätestens Anfang 2026. Kalkulierte Kosten für die Erweiterung auf eine Synagoge mit 600 Plätzen: 20 Millionen Euro.
Der Rabbiner schätzt die Zahl der in Berlin lebenden jüdischen Menschen auf 50.000. Davon seien rund 20.000 Israelis. Wer den Campus von Teichtals Gemeinde besucht, muss durch eine Sicherheitsschleuse, wie sie auch an Flughäfen oder an Gebäuden des Deutschen Bundestages üblich ist. Jüdische Bauten in Deutschland sind stets besonders gesichert und meist rund-um-die-Uhr bewacht.
Beratung durch das Landeskriminalamt
Der Sicherheitsaspekt ist auch beim geplanten Neubau am Fraenkelufer immer mit im Blick. Sogar bei der bisherigen Entwurfs-Planung seien Experten des Landeskriminalamtes eingebunden gewesen, heißt es. Auch hier sind Sperren und Schleusen fest vorgesehen. Und schon jetzt steht ständig Polizei vor der Tür.
Aber Dekel Peretz will das nicht als ewige Lösung abhaken und möchte dazu noch etwas sagen. Alles kann sich ja ändern. Er finde es schön, so Peretz, dass die Architekten bei aller Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen zum jetzigen Zeitpunkt auch "an einen Rückbau der Sicherheitsschleusen gedacht" hätten. Irgendwann. Vielleicht werde es eines Tages ja einen Zustand geben wie vor 100 Jahren.