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Politik

Merkels Wahlkampf wird zur Bühne für die AfD

Kay-Alexander Scholz
29. August 2017

Die Kanzlerin bekommt bei ihren Auftritten im Land derzeit viel Protest zu hören. In Bitterfeld, einst Chemiestandort der DDR, wurde das besonders greifbar. Eine Reportage von Kay-Alexander Scholz.

Deutschland Wahlkampf CDU- Merkel in Bitterfeld
Bild: DW/K.-A. Scholz

Bitterfeld ist eine der Städte in Deutschland, die es schwer hatten und haben. Sie ist voller Wunden: Zerstörung durch den letzten Krieg, dreckigster Industriestandort der DDR, Massenarbeitslosigkeit nach der Wende. Der Weg vom Bahnhof ins Stadtzentrum kann depressiv machen, selbst bei strahlendem Sonnenschein. Auf dem Marktplatz sitzen Rentner und Flüchtlinge. In den Straßen hängen nur wenige Plakate, die den Wahlkampfauftritt der Kanzlerin ankündigen. Bitterfeld ist eine Hochburg der AfD.

Die große Erfolgsgeschichte der Stadt ist der Goitzsche-See, der aus dem riesigen Erdloch entstanden ist, das der Braunkohle-Tagebau hinterlassen hat. Hier sind eine kleine Marina und schicke Mehrfamilienhäuser mit Seeblick entstanden. Hier tritt auch Angela Merkel auf. Schon Stunden vor ihrer Ankunft klingen von einer Bühne live gesungene Gute-Laune-Songs. Die CDU hat Bratwurststände und Bierzelte aufbauen lassen.

Bitterfeld: schwierige Vergangenheit, hohe ArbeitslosigkeitBild: DW/K.-A. Scholz

AfD ruft zu Protesten gegen Merkel auf

Am Rand sammeln sich die Truppen von der AfD. Die deutschen Rechtspopulisten sind hier im Bundesland Sachsen-Anhalt mit mehr als 20 Prozent im Landtag vertreten. Schon seit Tagen haben sie über die Sozialen Medien zu Merkel-Protesten aufgerufen - zum Beispiel mit dem Hashtag "#LautgegenMerkel". Lauter Protest begleitet Merkels Wahlkampftour seit Wochen. Die AfDler haben Plakate in der Hand, die eigentlich einen anderen Zweck hatten. Es waren offizielle Jubel-Plakate für den Auftritt der AfD-Chefin Frauke Petry vor einigen Tagen in Bitterfeld. Auf der Rückseite stehen nun Protestsprüche gegen die Kanzlerin.

Sie kam aus Halle, um gegen Merkel zu protestieren: "Die AfD ist die neue CDU"Bild: DW/K.-A. Scholz

Zwischendrin macht gerade ein älteres Ehepaar seine Fahrräder fest. Auf den ersten Blick könnten sie bürgerliche CDU-Wähler sein. Doch "Frau Krüger aus Halle", wie sie sich vorstellt, hält ein AfD-Fähnchen in ihren Händen. Es dauert nicht lange, und die Eheleute lassen ihren Frust raus, beklagen, dass das Geld für Flüchtlinge an anderen Stellen fehle. "Eigentlich ist die AfD die neue CDU", sagt sie, Merkel habe die CDU zu sehr nach links gerückt. Das Spektakel hier in Bitterfeld wollten sie aus der Ferne beobachten, kündigen beide an. Doch der Ehemann von Frau Krüger steht später auf einem der Holzbänke mitten im Pfeifkonzert und streckt Merkel eine Rote Karte entgegen.

Bild: Reuters/H. Hanschke

Buh-Rufe, Hau-Ab-Parolen und höhnisches Gelächter

Bevor Merkel zu reden beginnt, betritt Rainer Haseloff die Bühne, Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt. Schon bei ihm beginnt das Protest-Konzert, das die gesamte Rede der Kanzlerin begleiten wird: Buh-Rufe, Hau-Ab-Parolen und höhnisches Gelächter. Haseloff reagiert gereizt. Er zeigt auf das schöne Ambiente und ruft den Protestlern entgegen: "Schaut doch, ohne die CDU hätte es das hier alles nicht gegeben!" Als Antwort schlägt ihm "Hau ab!" entgegen.

Merkel sagt gleich zu Beginn ihren inzwischen eingeübten Satz für diese Situationen. Dass die Mehrheit zuhören wolle, sie sich also nicht beirren lassen will. Doch hier in Bitterfeld sind die Merkel-Fans in der Minderzahl. Dem Protestblock mit erstaunlich vielen jungen Leuten steht eine schweigende Mehrheit gegenüber, die weder klatscht noch buht.

Auch Ministerpräsident Rainer Haseloff, rechts neben Angela Merkel, wird ausgebuhtBild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Als Merkel das Flüchtlingsthema anspricht und sich bei den Flüchtlingshelfern bedankt, wird der Lärm ohrenbetäubend. Dass sie die Menschen ins Land gelassen hat, nehmen ihr hier viele übel, wie auf Plakaten zu lesen ist. Applaus gibt es nur wenig zu hören. Auch nicht als Merkel ihre inzwischen restriktive Flüchtlingspolitik bewirbt und referiert, dass die Bundesregierung nun in Afrika viel gegen neue Fluchtbewegungen tun wolle. Alles nur Wahlkampfparolen, sagt eine Frau, die nicht namentlich genannt werden möchte. Sie holt ihr AfD-Fähnchen aus der Tasche, als ich sie frage, ob sie CDU wählen wird.

"Mobbing gegen Angela Merkel"

Ein junges Paar kämpft sich durch die Menge, der Mann hat Tränen in den Augen. "Das ist zu viel für mich", sagt er. "Das halte ich nicht aus, es ist hier so viel getan worden: Ich habe fünf Jahre am Stadhafen mitgearbeitet." Dann versagt seine Stimme.

Merkel redet währenddessen tapfer gegen den Protest weiter und lässt sich nicht provozieren. Die noch sehr heiße Sonne brennt ihr ins Gesicht, kein kühlender Windhauch ist zu spüren. Auch die Stimmung im Publikum kühlt nicht ab. Merkel sagt, sie habe die Arbeitslosigkeit halbiert. Weil alle in Rente seien, schimpft ein Mann ihr lauthals entgegen.

Es gab auch Merkel-Fans in Bitterfeld - sie gaben aber nicht den Ton anBild: Reuters/H. Hanschke

Eine Gruppe junger Frauen klatscht auffällig häufig für Merkel. Sie finden gut, was sie sagt, erzählen sie. Allerdings hätte Merkel noch das Thema Lehrermangel in den Schulen ansprechen sollen, sagt Julia aus Halle. Die Proteste um sie herum seien reines Mobbing gegen Angela Merkel. Als Lehrerin kenne sich mit diesem Thema gut aus.

AfD polarisiert die Menschen

Als Merkel ankündigt, es werde keine Koalition mit der AfD geben, klatschen besonders viele und es sind besonders viele "Buh"-Rufe zu hören. Die Menge ist polarisiert und die AfD spielt dabei eine entscheidende Rolle. Vor ihrem Auftritt in Bitterfeld hatte Merkel in ihrer traditionellen Sommer-Pressekonferenz vor der in- und ausländischen Hauptstadtpresse in Berlin einen gelassenen Umgang mit der AfD beschrieben: Konflikte wolle sie aushalten und verloren gegangene Wähler zurück gewinnen. Es macht an diesem Abend nicht den Eindruck, als sei ihr das in Bitterfeld schon gelungen.

Nachdem ihr gut einstündiger Auftritt beendet ist, wird hier und da weiter geschimpft. Der junge Mann, der zuvor besonders eifrig eine AfD-Fahne geschwungen hatte, ruft nun laut, er wolle mehr Hartz IV-Leistungen. Eine Frau neben ihm brüllt, nur Flüchtlinge mit Kindern dürften bleiben. Eine Gruppe Älterer schimpft über die CDU als "Bonzentruppe", genau so, wie einst über die Sozialistische Einheitspartei SED in der DDR geschimpft wurde.

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