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Im Theater: Meine Akte und ich

Silke Bartlick30. April 2013

Wie hat die Geheimpolizei der DDR gearbeitet? Welche Auswirkungen hatten ihre Methoden? Und konnten Täter auch Opfer sein? – Diesen Fragen geht nun ein Theaterabend in Dresden nach.

Meine Akte und ich: Szenenbilder der Inszenierung von Clemens Bechtel im Schauspiel Dresden. *** April 2013
Bild: Matthias Horn

"Es ist noch nicht zu Ende", sagt Peter Wachs. Neuerdings gäbe es Menschen, die ihm ausweichen. Und er sei beschimpft worden. Als Verräter. Das habe angefangen, sagt Peter Wachs, nachdem im März in einer großen deutschen Wochenzeitung ein Artikel über die Proben zum Theaterstück "Meine Akte und ich" erschienen war. In dieser Inszenierung bringt Regisseur Clemens Bechtel neun Dresdner Bürgerinnen und Bürger auf die Bühne, die Erfahrung mit Akten der Staatssicherheit haben. Peter Wachs ist einer dieser Bürger. Ein besonderer, denn er war IM, inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. 30 Jahre lang.

Leute wie Peter Wachs hat es in der Deutschen Demokratischen Republik zuhauf gegeben - Menschen, die inoffiziell geschnüffelt, notiert und berichtet haben. Die über den Kollegen, die beste Freundin, den Chef weiter gaben, was irgendwie berichtenswert schien. Nach 1989, also nach dem Fall der Berliner Mauer und damit dem absehbaren Ende der DDR, sind all diese IMs abgetaucht und zu einer Art Phantom geworden. Keiner will es gewesen sein. Oder fast keiner. Menschen wie Peter Wachs sind jedenfalls selten, Menschen, die sich trauen, an die Öffentlichkeit zu gehen und ihre Geschichte zu erzählen.

Peter WachsBild: Matthias Horn

Zwischen Regalen, in denen sich Akten türmen, steht Peter Wachs nun auf der Bühne im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden. Das Sprechen fällt ihm nicht immer leicht, er muss hüsteln und wahrt Abstand zur eigenen Person, sagt nicht "ich" wie die anderen, sondern: „Stellen Sie sich vor, Sie sind….". Als Junge hat Peter Wachs die Bombardierung Dresdens miterlebt, danach wollte er nie wieder Krieg, wurde überzeugter Sozialist, wollte die DDR mit aufbauen und ließ sich mit knapp 20 Jahren von der so genannten Stasi anwerben, dem Ministerium für Staatsicherheit der DDR. Friedensarbeit war das für ihn. Er hat von dieser Friedensarbeit profitiert, durfte als Arbeiterkind nach Moskau und studieren. Und gleichzeitig hat er selbst die Absurdität des Systems DDR erfahren. Seine erste Liebe hat sich nur mit ihm eingelassen, um ihn auszuhorchen. Auch der Spitzel war vor Spitzelei nicht gefeit.

Kafkaesk

Franz Kafkas Romanfigur Josef K. wurde eines Morgens verhaftet, ohne dass er etwas Böses getan hätte. "Jemand musste ihn [Josef K.] verleumdet haben". Dieses Zitat stellt Clemens Bechtel seinem Theaterabend voran. Denn ähnlich kafkaesk muss es im geschlossenen System der DDR zugegangen sein. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR war nicht nur für den Auslandsgeheimdienst zuständig, sondern auch für die Überwachung, Kontrolle und Einschüchterung der eigenen Bevölkerung. Aus Angst vor Feinden in den eigenen Reihen ließ es über Jahrzehnte Hunderttausende zielorientiert observieren: man verfolgte "suspekte Objekte", die aufgrund ihrer politischen Gesinnung eine Gefahr für das sozialistische System zu sein schienen, aber auch nur vage verdächtige, ganz gewöhnliche Menschen, die durchaus angepasst lebten, und notierte in trockenem Verwaltungsdeutsch selbst Dinge aus dem intimsten Privatleben. Die Folgen waren nicht selten Verurteilungen und Haftstrafen. Und wem nichts nachzuweisen war, der wurde erst recht observiert – er könnte ja besonders geschickt vorgegangen sein!

Andreas WarschauBild: Matthias Horn

Wie die Geheimpolizei gearbeitet hat, wird nun am Beispiel der Menschen erfahrbar, die den Inhalt ihrer Akten auf der Dresdner Bühne gewissermaßen beglaubigen: Catherina Laube, die Theologie studierte und verhaftet wurde, weil in ihrem Lesekreis auch verbotene Schriften diskutiert wurden; der Lehrer Max Fischer, der sich nicht als IM, als Inoffizieller Mitarbeiter, anwerben ließ und gleichzeitig von Schülern und einem befreundeten Kollegen bespitzelt wurde; Andreas Warschau, der überzeugte Sozialist, der Verbesserungen der Produktionsbedingungen forderte und deshalb mit Wanzen und von mehreren Stasi-Mitarbeitern fast rund um die Uhr abgehört und beschattet wurde; Gottfreid Dutschke, der zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, weil er die Fluchtpläne seiner Freunde nicht verraten hatte. Oder Evelin Ledig-Adam, deren Ehe zerbrach, weil sie nicht mit dem Geheimnis leben konnte, dass sich ihr Mann, ein Musiker, als IM hatte anwerben lassen, um frei reisen zu können. Kleinigkeiten waren es zumeist, die etwas losgetreten haben, ein Blick, ein falsches Wort.

Ganz gewöhnliche Menschen

Wie in einem Kaleidoskop setzt sich in gut anderthalb Stunden das Leben dieser ganz gewöhnlichen Menschen zusammen, aus Erinnerungen, Tondokumenten, Aktennotizen und mit Fotos, zu denen sie erzählen, wer sie einmal waren und wer sie geworden sind. Von Angst ist oft die Rede, von Misstrauen und manchmal auch von Verzweiflung. Das Überwachungssystem der Staatssicherheit hat über berufliche Karrieren entschieden, es hat Familien zerrissen und Freundschaften beendet. Und es hat Spuren hinterlassen, die bis in unsere Gegenwart reichen. Im Alltag sind diese Spuren unsichtbar, nun, im Theater, ahnt man sie zumindest.

Evelin Ledig-AdamBild: Matthias Horn

Sein Stück, sagt Regisseur Clemens Bechtel, führt in einen absurden Raum, in eine absurde Welt, "die von Angst geprägt ist und von Kontrollwahn“. Entstanden ist es im Rahmen des internationalen Projekts "Parallel Lives", in dem Theater aus sechs ehemaligen Ostblock-Staaten die Geschichte ihrer Geheimdienste bearbeiten. Aktenberge wurden hier wie dort angehäuft, unterschiedlich sei die Form der Aufarbeitung, sagt Clemens Bechtel. Deutschland gilt dabei gemeinhin als Vorbild. Aber auch hier dauert der Versöhnungsprozess noch an. Ilona Rau ist seit 1991 Mitarbeiterin beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Außenstelle Dresden. Demnächst geht sie in den Ruhestand. "Dann gibt es vielleicht ein Leben ohne Akten ", sagt sie am Ende des Theaterabends. Und das sei gar nicht so eine schlechte Perspektive.

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