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Politik

Krisenstimmung in der katholischen Kirche

Sabine Kinkartz | Bettina Marx
24. Januar 2022

Der frühere Papst Benedikt XVI. hat eine wesentliche Aussage zum Münchner Missbrauchsgutachten korrigiert. Vielen Katholiken genügt das nicht. Sie fordern ein Schuldeingeständnis und sind tief enttäuscht.

Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz
Bild: Arne Dedert/dpa/picture-alliance

Wolkenlos blau wölbt sich der Himmel über dem Aachener Dom. Die kalte Wintersonne lässt die mehr als 1200 Jahre alte Kirche erstrahlen. Doch hinter der prächtigen Fassade gärt es. Von Zorn und Enttäuschung, Entsetzen, Trauer, Leid und Zweifeln sprach am Sonntag in seiner Predigt der Aachener Bischof Helmut Dieser und beschrieb damit die Reaktionen auf das am vergangenen Donnerstag veröffentlichte Münchener Gutachten zum Umgang kirchlicher Verantwortungsträger mit Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch.

In dem Gutachten wird der frühere Papst Benedikt XVI. schwer belastet. Als Kardinal Joseph Ratzinger hatte er das Erzbistum München und Freising von 1977 bis 1982 geführt. In dieser Zeit nahm er unter anderem an einer Sitzung teil, auf der beschlossen wurde, einen wegen sexuellen Missbrauchs vorbestraften pädophilen Priester im Erzbistum München aufzunehmen. Dort missbrauchte der Priester wieder Kinder.

Die Unfähigkeit, Schuld einzugestehen

"Mich bestürzt und macht traurig, aber auch wütend, wie unabsehbar das ganze Ausmaß der Einzelschicksale ist, und damit untrennbar verbunden auch das Ausmaß von Versagen der Führung, die bei den Bischöfen und ihren Verwaltungen lag und liegt", so der Aachener Bischof Dieser in seiner Predigt. "Und darüber hinaus die Unfähig­keit, die eigene Verantwortung bei sich selbst zu spüren und Schuld einzugestehen und Vergebung zu er­bitten oder wenigstens Bedauern und Schmerz über den eigenen An­teil an der Tragödie auszudrücken."

Blick auf den Altar des Aachener DomsBild: Sabine Kinkartz/DW

Als Bischof Dieser am Sonntag predigte, stand noch die Behauptung Benedikts im Raum, er habe an der Konferenz, auf der über den Essener Priester befunden wurde, nicht teilgenommen. Nachdem bekannt wurde, dass sein Name im Teilnehmerprotokoll stand, korrigierte der frühere Papst seine Aussage am Montag und sprach von einem "Fehler", der "keine böse Absicht" gewesen sei.

Selbst ein Papst kann schuldig werden

Doch mit solchen Sätzen wollen sich immer weniger Menschen in der katholischen Kirche zufrieden geben. "Es kann nicht dabei bleiben, dass Verantwortliche sich flüchten in Hinweise auf ihr Nichtwissen oder auf damalige andere Verhältnisse oder andere Vorgehensweisen", sagte der Aachener Bischof Dieser in seiner Predigt. "Denn deswegen wurden doch damals Täter nicht gestoppt und Kinder weiter von ihnen missbraucht!" Selbst ein ehemaliger Papst könne schuldig werden und das müsse er öffentlich beken­nen, "nicht nur im Gebet oder in der Beichte".

Auch hinter der prächtigen Fassade des Aachener Doms gärt esBild: Sabine Kinkartz/DW

Auch Passanten, die am Montag am Aachener Dom vorbeikommen, sind entsetzt. "Alle Priester müssten jetzt Stellung beziehen", fordert ein älterer Mann. Mit seiner Frau ist er sich einig, dass der Missbrauchsskandal, aber auch die Tatsache, dass über Jahrzehnte alles verleugnet und verdrängt wurde, der Kirche großen Schaden zugefügt haben. "Ich bin mir sicher, dass jetzt immer mehr Menschen aus der Kirche austreten", meint die Frau.

Gläubige müssen sich rechtfertigen

Von der einstigen Euphorie über die Wahl eines deutschen Kardinals zum Oberhaupt der katholischen Kirche ist wenig übrig geblieben. "Wir sind Papst" titelte 2005 eine deutsche Boulevardzeitung. Jetzt fordern immer mehr deutsche Bischöfe von Benedikt, seine Schuld im Missbrauchsskandal klar zu benennen.

Benedikt XVI. im Jahr 2009Bild: Getty Images/AFP/V. Pinto

Die Situation laste ungeheuer auf vielen Gläubigen, sagt der Bischof von Limburg, Georg Bätzing, der Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist. Sie müssten sich bei Freunden und Familie dafür rechtfertigen, "dass sie noch zu diesem Verein gehören". Man müsse klar sehen, was an "desaströsem Verhalten" auch von der Führung und den Spitzen der Kirche "bis hin zu einem emeritierten Papst angerichtet" worden sei. "Ich verstehe alle, die mit der Kirche und uns Verantwortlichen hadern und wenn ich mir die Fakten aus München vergegenwärtige, dann schäme ich mich für diese Kirche."

Organisierte Verantwortungslosigkeit

Die klaren Worte von Bischof Bätzing machen den Laien in der katholischen Kirche Mut. "Ich sehe unter den Bischöfen viele auch mit einem guten Willen. Ich fände es sehr ungerecht, alle über einen Kamm zu scheren", sagt Irme Stetter-Karp, Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZDK). Auch sie ist entsetzt und erschüttert über das Ausmaß der Vertuschung. "Die organisierte Verantwortungslosigkeit", mit der die Kirche auf die Missbrauchsfälle reagiert habe, müsse ein Ende haben, sagte sie der DW.

Irme Stetter-Karp, Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen KatholikenBild: Bernd von Jutrczenka/picture alliance/dpa

Auch Stetter-Karp ist enttäuscht über den früheren Papst Benedikt. "Aus meiner Sicht ist das alles andere als glücklich, dass er entgegen seiner anderslautenden schriftlichen Aussage jetzt nur das eingesteht, was nicht mehr zu leugnen ist. Die uneingeschränkte Übernahme persönlicher Verantwortung für das damalige Fehverhalten, das ist jetzt notwendig."

Bewährung oder Scheitern

Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken ist die größte Laienorganisation der katholischen Kirche in Deutschland. Zusammen mit der Deutschen Bischofskonferenz hat das ZDK den auf zwei Jahre angelegten sogenannten "Synodalen Weg" eingeschlagen, ein Gesprächsformat, das aus der Auseinandersetzung mit den Missbrauchsfällen in der Kirche entstanden ist.

Joseph Kardinal Ratzinger bei seinem Abschied aus München 1982Bild: picture alliance / --/dpa

Anfang Februar treffen sich Laien und Kleriker zur dritten Synodalversammlung. "Von dieser Wegmarke, von dieser Versammlung geht dann entweder ein entschiedener Reformschritt aus, so meine Hoffnung, oder wir werden an einem sehr kritischen Punkt stehen, der das Scheitern des synodalen Weges einleitet," erklärt Stetter-Karp im Gespräch mit der DW. "Ich sehe, dass wir tatsächlich vor einer ernsten Bewährungsprobe stehen."

Vor allem die Jungen wollen aus der Kirche austreten

Für viele junge Gläubige in der katholischen Kirche ist die Ampel bereits rot. In den Jugendverbänden spüre man deutlich, wie tief die Verunsicherung sei, sagt Gregor Podschun, Mitglied im vierköpfigen Vorstand des Bundes der Katholischen Jugend (BDKJ). Viele junge Menschen überlegten, ob sie in der Kirche noch eine Heimat hätten. Derzeit erreichten den BDKJ zahlreiche Anfragen von Jugendlichen, die aus der Kirche austreten, aber Mitglied in den Jugendorganisationen bleiben wollten.

Gregor Podschun, Bundesvorsitzender des BDKJBild: Christian Schnaubelt/BDKJ-Bundesstelle

"Wir erleben, dass sich junge Menschen die Frage stellen nach der Kirche und nach ihrem Glauben." Sie würden feststellen, dass die Institution Kirche nicht einhalte, was das Evangelium verspreche. "Es gibt also eine Spaltung zwischen ihrem Glauben und der Institution Kirche, und das kann dazu führen, dass sie aus der Kirche austreten aber weiterhin gläubig bleiben."

Kirche neu aufbauen

Podschun will die Türen für Jugendliche, die an ihrer Kirche verzweifeln, offen halten. Mit der Institution Kirche aber geht er hart ins Gericht. "Die Kirche darf sich nicht selbst retten. Wenn wir Leid aufklären und verhindern wollen und dafür in Kauf nehmen, dass wir diese Kirche, so wie sie ist, zerstören, dann muss dieser Weg gegangen werden und erst danach kann der nächste Schritt sein, die Kirche neu aufzubauen."

Für ihn sei das Münchner Gutachten nicht überraschend gewesen, fügt Podschun im Interview mit der DW hinzu. "Die Kirche ist monarchisch strukturiert, sehr zentralisiert, das heißt, das Machtsystem wird ja vom Vatikan aus gestützt und geschützt, und von daher ist es wenig überraschend, dass Dinge, die die Kirche beschädigen würden, vertuscht werden." Der junge Katholik hofft, dass die Erschütterung dazu führt, dass die Kirche "ernsthaft über Reue und Umkehr" nachdenke.

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