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Regisseur Hans W. Geißendörfer im Gespräch

3. März 2011

Zuletzt wurde seine Fernsehserie "Lindenstraße" 25 Jahre alt. Jetzt kommt Hans W. Geißendörfers neuer Spielfilm "In der Welt habt ihr Angst" in die Kinos. Ein Gespräch mit dem Regisseur.

Anna Maria Mühe in einer Szene des Films In der Welt habt ihr Angst (Foto: Movinet Filmverleih/ Alexander Fischerkoesen)
Anna Maria MüheBild: Movienet Verleih/Alexander Fischerkoesen

"In der Welt habt ihr Angst" erzählt die Geschichte eines jungen drogenabhängigen Pärchens im fränkischen Bamberg. Eva (Anna Maria Mühe) und Jo (Max von Thun) spritzen sich Heroin, planen aber ein neues Leben in Neuseeland um dort den Entzug zu wagen. Doch dazu kommt es nicht. Wie der Versuch sich von den Drogen und den Zwängen der kleinbürgerlichen und provinziellen Umwelt zu befreien zunächst scheitert, das erzählt Geißendörfer als überspitzt inszeniertes Melodrama. "In der Welt hab ihr Angst" ist eine Liebesgeschichte mit vielen Facetten.

Schlachtfeld der Gefühle

DW-WORLD.DE: Ihr neuer Kinofilm bietet ja ein Schlachtfeld der Gefühle. Wie ist vor diesem Hintergrund der Titel zu verstehen?

Hans W. Geißendörfer: "In der Welt habt ihr Angst" ist ein biblischer Titel und von Johann Sebastian Bach benutzt worden für eine Kantate. Zuerst hatte ich die Hauptdarsteller im Kopf, davon ist allerdings nur Anna Maria Mühe übriggeblieben. Dann hatte ich den Titel und die Geschichte roh im Kopf. Die hatte ich mit dem Vater von Anna Maria Mühe (dem verstorbenen Schauspieler Ulrich Mühe) schon grob entworfen, weil wir im Film eigentlich die Familie auf der Leinwand zusammenbringen wollten.

Der Titel war dann hart umkämpft. Als ich den Film finanzieren wollte und einen Verleiher suchte, fragte man mich immer, was das denn für ein Titel sei? Da gehe doch keiner rein, sagte man mir. Die Kids könnten das gar nicht richtig kapieren. Es ist ja auch ein komischer Sprachrhythmus. Ich habe das zwischenzeitlich auch geändert. "Schwarzer Strand" war lange der Arbeitstitel. Dann kamen aber die Schauspieler bei den Dreharbeiten und meinten, sie würden nicht weiterdrehen ohne den ursprünglichen Titel. Ich war sehr glücklich, dass die erkannt haben, dass der Titel das widerspiegelt, was wir hier machen.

Große Liebe in einer schwierigen Situation: Eva (Anna Maria Mühe) und Jo (Max von Thun)Bild: Movienet Verleih/A. Fischerkoesen

Wie würden Sie Ihren Film einordnen, welchem Genre gehört er an?

Das ist eindeutig ein Melodrama mit fast allen Gesetzen des Genres. Nur der Schluss ist kein Melodrama. Der Schluss ist ziemlich offen. Ansonsten ist es ein Liebefilm. Um Gottes willen kein Film über Drogen! Es geht zwar im Hintergrund um Drogen, die Grundlage der Liebesgeschichte ist auch die Sucht, die erfolgreich bekämpft wird. Am Ende sind die beiden Hauptdarsteller Eva und Jo clean. Aber im Grunde ist es ein Liebefilm. Im Zentrum steht die junge Liebe der beiden, die so stark ist, dass sie sich von der Sucht lösen, so stark, dass sie miteinander kommunizieren können, auch wenn sie getrennt sind. Und dann gibt es noch die Liebe zwischen Vater und Tochter und die etwas abgeflachte und stumpf gewordene Liebe eines mittelalterlichen Ehepaars.

Reinstes Melo

Als ich den Film gesehen habe, dachte ich, das ist ja tatsächlich ein richtiges Kinomelodram. Es hat etwas Übersteigertes, etwas Übertriebenes. Man wird an Regisseure wie Fassbinder erinnert, an Douglas Sirk.


Ja, das betrifft auch die Dialoge. Die Dialoge sind keine Dialoge, die zum Beispiel wir beide miteinander führen würden oder die ich mit meinen Freunden oder Mitarbeitern führe. Es sind alles "Endergebnisse". Es sind Endstufen eines Gespräches. Die Anfänge der Dialoge sind nicht vorhanden. Das wirkt dann oft unrealistisch, aber es ist das Endergebnis einer Beobachtung. Es sind die Ergebnisse langer Dialoge, die eben nicht auf der Leinwand stattgefunden haben, sondern in den Herzen der Protagonisten.

Im Knast auf kaltem Entzug: Jo (Max von Thun)Bild: Movienet Verleih/A.Fischerkoesen

Die Zuschauer müssen da aber schon mitmachen. Sie müssen diese Lücken füllen. Ist das nicht auch ein großes Risiko, diese Bereitschaft der Zuschauer vorauszusetzen?

Ich sehe das Risiko weniger darin, dass die Zuschauer das nicht verstehen. Das habe ich bisher auch nicht beobachtet. Das Risiko betrifft eher die Emotionen. Manche Zuschauer sind nicht bereit sich auf eine solch hohe Emotionsstufe einzulassen. Sie schützen sich durch falsches Lachen, sie distanzieren sich von dem "Emotionsbrei". Der Film ist ein Drama und die Emotionen sind handlungstreibend, wie es in Meldramen auch sein muss. Es sind nicht Logik und Ratio, die den Film vorantreiben, sondern es sind die Emotionen, die neue Dinge bewegen, die die Bewegung überhaupt erst herstellen.

Ein Drehbuch voller "jugendlicher" Emotionen

Sie haben auch das Drehbuch geschrieben. Es ist ja fast ein Buch, das aus der Feder eines jungen Menschen stammen könnte, voller Emotionen, sehr kraftvoll. Im kommenden Monat werden sie 70. Ist das noch einmal ein Versuch anzuknüpfen an frühere Jahre?

Es freut mich, dass Sie das sagen. Man hat in meinem Alter nicht nur sehr viel Selbstkritik im Kopf, sondern man hat auch Angst, dass man eine Sprache spricht oder Geschichten erzählt, die junge Leute nicht mehr erreichen oder nicht mehr verstehen, die vielleicht nur in meiner Generation noch Wirkung haben. Aber es ist trotzdem nicht der Versuch an etwas Vergangenes anzuknüpfen. Ich halte den Film für einen typischen Geißendörfer-Film. Es geht in fast allen meinen Filmen um Liebe und um Frauen. Es gibt keinen einzigen Film von mir, wo der Mann der Held ist. Ich habe das gar nicht bewusst gemacht. Außerdem ist es ein Film über das Thema Schuld. Das sind die Dinge, die mich persönlich immer wieder beschäftigen.

Das Gespräch führte Jochen Kürten

Redaktion: Conny Paul