"In die Sonne schauen" soll den Oscar für Deutschland holen
22. August 2025
Mascha Schilinskis Werk sei "formal kompromisslos, emotional existenziell und künstlerisch einzigartig - ohne Parallele im deutschen und internationalen Kino." So begründete die neunköpfige Jury ihre Entscheidung über den Film, der Deutschland in der Kategorie "Bester internationaler Spielfilm" bei der Oscar-Verleihung vertreten wird. Das Drama verwebe über ein Jahrhundert hinweg die Leben von vier Frauen, die gegen Enge, Gewalt und gesellschaftliche Zwänge kämpften.
"Als Werk von seltener Dringlichkeit, meisterhaft inszeniert, poetisch, universell und mutig, ist 'In die Sonne schauen' eine körperliche Erfahrung, die nachhallt und sich in das Gedächtnis einbrennt", fügte die unabhängige Expertenjury hinzu, die von German Films, der Auslandsagentur für deutsches Kino, ernannt wurde.
Die Entscheidung wurde am Donnerstag (21.08.2025) bekanntgegeben.
Der Film spielt auf einem abgelegenen Bauernhof in der Altmark, die seit der Wiedervereinigung zum Bundesland Sachsen-Anhalt gehört. Er erzählt die Geschichte von vier Frauen, die hier zu unterschiedlichen Zeiten zu Hause sind.
Vier Frauen, vier Geschichten
Alma wächst kurz vor dem Ersten Weltkrieg im deutschen Kaiserreich auf. Als sie erfährt, dass sie nach ihrer verstorbenen Schwester benannt wurde, lebt sie in ständiger Angst, deren Schicksal zu teilen. Erika lebt während des Zweiten Weltkriegs auf dem Hof. Sie ist von ihrem kriegsversehrten Onkel fasziniert und verliert sich in gefährlichen Fantasien. Angelika wiederum ist in den 1980er-Jahren beheimatet, also zu DDR-Zeiten, und balanciert auf einem schmalen Grad zischen Lebenshunger und Todessehnsucht. Nelly ist ein Kind der 2020er-Jahre, deren Eltern aus Berlin mit ihr hergezogen sind, um den mittlerweile heruntergekommen Hof zu renovieren.
Alle vier Frauen sind durch durch unausgesprochene Ängste, verdrängte Traumata und vergrabene Familiengeheimnisse auf unheimliche Weise miteinander verbunden. Ein tragisches Ereignis wiederholt sich und lässt die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen.
Ein "Jahrhundertfilm", der Cannes eroberte
Mascha Schilinskis Film "In die Sonne schauen" wurde aus fünf eingereichten Titeln ausgewählt und warf "Amrum" von Fatih Akin, "Cranko" von Joachim A. Lang, "Riefenstahl" von Andres Veiel und "Der Tiger" von Dennis Gansel aus dem Rennen.
"In die Sonne schauen" eröffnete bereits den offiziellen Wettbewerb der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes, wo er gemeinsam mit "Sirat" von Oliver Laxe den Preis der Jury erhielt.
Schilinskis Drama wurde auch von den Festival-Kritikern gefeiert; das Portal Filmstarts beschrieb es als "Jahrhundertfilm", der Hollywood Reporter lobte es als "fesselndes, mutiges Porträt der Weiblichkeit", während das Magazin Deadline feststellte, dass der "hervorragende Film eine Meisterleistung von ätherischer, beunruhigender Brillanz" sei.
Die Filmemacherin reagierte auf die Oscar-Nominierung mit einem Dankeschön im Namen des gesamten Produktionsteams: "Wir freuen uns unglaublich über die Anerkennung und den Zuspruch, den wir augenblicklich mit unserem Film erfahren. Im Namen des ganzen Teams möchte ich mich dafür bedanken, dass 'In die Sonne schauen' die große Ehre zuteil wird, Deutschland bei den Oscars vertreten zu dürfen", so Mascha Schilinski. Der Preis der Jury beim diesjährigen Filmfestival Cannes für ihren Film stehe dafür, "dass es sich lohnt, an die eigene künstlerische Vision zu glauben. Und dafür, dass man sich selbst treu bleiben kann - wenn man die richtigen Weggefährten findet." Sie wünschte sich, dass die Sichtbarkeit von diesem Film dazu führe, dass Filmkünstler- und Künstlerinnen in Deutschland auf mehr Offenheit und Unterstützung treffen, wenn sie versuchten neue erzählerische Wege zu gehen.
Nach seiner Premiere in Cannes wurde "In die Sonne schauen" auch auf Festivals in Schanghai, im tschechischen Karlovy Vary und bei verschiedenen australischen Veranstaltungen gezeigt. Anfang September feiert der Film seine Nordamerika-Premiere auf dem Toronto Film Festival; in die deutschen Kinos kommt er bereits am 28. August.
Der lange Weg zu den Oscars
Die Produzenten von "In die Sonne schauen" - Maren Schmitt, Lucas Schmidt und Lasse Scharpen - betonten, wie wichtig es sei, dass mehr Frauen bei den Oscars vertreten sind. Wie sie in ihrer Erklärung hervorheben, wurden bisher erst neun Regisseurinnen für den Oscar in der Kategorie "Beste Regie" nominiert.
Die Einreichung bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass der deutsche Film unter den Nominierten landen wird. Aus allen internationalen Spielfilmen, die bis zum 1. Oktober dieses Jahres eingereicht wurden, wählt die Akademie 15 Finalisten aus, die am 16. Dezember bekanntgegeben werden. Die Shortlist mit den fünf endgültigen Nominierten wird am 22. Januar 2026 veröffentlicht.
Für die Academy Awards ist ein internationaler Spielfilm ein Werk, das außerhalb der USA produziert wurde und überwiegend in einer anderen Sprache als Englisch gedreht wurde. Die eingereichten Filme müssen zwischen dem 1. Oktober 2024 und dem 30. September 2025 in den Kinos ihrer jeweiligen Länder erschienen sein.
Das letzte Mal sorgte ein deutscher Film 2023 bei der Oscarverleihung für Furore: Edward Bergers "Im Westen nichts Neues", ein Anti-Kriegs-Epos nach dem Roman von Erich Maria Remarque aus dem Jahr 1929, gewann nicht nur die Trophäe für den besten internationalen Film, sondern noch drei weitere Oscars.
Adaption aus dem Englischen: Suzanne Cords